Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":"Das gefrorene Brusthaar gab den Ausschlag"

Jedes Jahr hüpfen in Kanada ein paar Menschen bei minus 30 Grad in eine Thermalquelle und lassen ihr Haar gefrieren. Der Sieger bekommt umgerechnet 1300 Euro Preisgeld. Ein Gespräch mit dem amtierenden Gewinner.

Von Stefan Wagner

Die Teilnehmer des "Eishaar-Wettbewerbs" im Norden Kanadas lassen jedes Jahr ihre Haare im Thermalbad Takhini Hot Springs im Yukon Territory zu bizarren Formen gefrieren. Sie haben dafür Zeit bis April, ehe eine Jury den Sieger verkündet. Wegen der Pandemie konnte der Wettbewerb diesen Winter bislang nicht beginnen. Nikolai Paterak, 35, der Sieger im vergangenen Jahr, über sein Erfolgsrezept, nackte Haut bei minus 38 Grad und Schmerzensschreie im Wasser.

SZ: Herr Paterak, Sie sind der amtierende Sieger des "Hair Freezing Contest", bestimmt wollen Sie Ihren Titel dieses Jahr verteidigen. Wie ist das Leben als "König des Eishaars"?

Nikolai Paterak: Es war ein unverhoffter Triumph. Ich hätte nie gedacht, dass ich zum Sieger gekürt würde, es waren immerhin fast 300 Teilnehmer. Bei uns hier im Yukon Territory, im Norden Kanadas, ist der Wettbewerb ein Riesending, und ich bin richtig stolz auf den Sieg. Ich war auf der Titelseite der Lokalzeitung, Dutzende Kollegen und Freunde riefen an, in den sozialen Medien ging es richtig ab. Aber es ist nicht so, dass mich jetzt Menschen auf der Straße ansprechen. Schließlich laufe ich nicht jeden Tag mit Haar herum, das auf meinem Kopf 30 Zentimeter hoch zu einer Pyramide gefroren ist.

Wie sieht jetzt Ihre Vorbereitung aus? Sitzen Sie viele Stunden in Eislöchern und arrangieren Ihre Haare?

Das würde ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen. Man will das nicht wirklich trainieren, es ist einfach zu kalt. Der Wettbewerb findet in einer heißen Thermalquelle statt. Die ist aber derzeit wegen Corona geschlossen. Der Wettbewerb für diesen Winter endet im April. Das heißt, die Teilnehmer hüpfen erst in den letzten Wochen ins Wasser, wenn das Thermalbad - hoffentlich - wieder geöffnet hat. Das Wichtigste ist die Idee, nicht das Training. Ein wenig Spontaneität mit einem Schuss Verrücktheit. Es hilft natürlich, lange Haare zu haben.

Aha, und deshalb haben Sie gewonnen?

Nicht nur. Die meisten lassen ihre Haare gefrieren und versuchen, nur den Kopf aus dem heißen Wasser der Thermalquelle herausragen zu lassen, um nicht auszukühlen. Ich bin aufgestanden und war auch mit dem Brustkorb über dem Wasser. Diese Extraportion Masochismus hat dazu geführt, dass mein Kopfhaar schneller gefroren ist, weil es weiter weg vom heißen Wasser war. Auch an meinem Oberkörper sind die Haare vereist. Ein Jurymitglied hat mir verraten: Das gefrorene Brusthaar gab den Ausschlag für meinen Sieg.

Wie läuft der Wettbewerb ab?

Ziemlich unspektakulär. Wer teilnehmen will, steigt in den Thermalpool und arrangiert sein Haar, während der aufsteigende Wasserdampf die Haare gefrieren lässt. Ist man bereit, ruft man einen Bademeister, der ein Foto macht. Manche spritzen heimlich kaltes Wasser auf die Haare oder reiben sie mit Schnee ein, um den Prozess zu beschleunigen, aber das ist nicht erlaubt.

Damit das Haar gut gefriert, sind Temperaturen unter minus 30 Grad ideal, heißt es.

Es geht schon ab minus 20 Grad ganz gut, aber natürlich funktioniert es besser und vor allem schneller, wenn es richtig kalt ist. Am Tag, an dem mein Foto aufgenommen wurde, zeigte das Thermometer minus 38 Grad. Mir war schon nach der ersten Minute richtig kalt. Es wurde dann immer schlimmer, weil ich im Vergleich zu anderen Teilnehmern viel mehr Hautfläche außerhalb des Wassers hatte und schnell ausgekühlt bin. Nach etwa 20 Minuten war mein Haar bereit für das Foto. Der Rest ist Geschichte.

Wie halten Sie die Kälte aus?

Das Quellwasser ist 40 Grad warm, der Unterschied für den Körper also fast 80 Grad Celsius. Ein anderer Wettkämpfer, der ebenfalls sein Haar gefrieren lassen wollte, hat nach zehn Minuten angefangen vor Schmerz zu schreien. Schließlich ist er untergetaucht - und alles war umsonst.

Und warum macht man so etwas nun?

Eigentlich mag ich die Kälte, ich gehe im Winter gerne an gefrorenen Wasserfällen zum Eisklettern, bin auf Skitouren in der Einsamkeit unterwegs. Übrigens hatte ich nur deshalb so lange Haare, weil ich in eine Gletscherspalte gestürzt war, mich schwer am Rücken verletzt hatte und deshalb lange eine Halskrause tragen musste. Da war es schwierig, die Haare richtig zu schneiden, prima Voraussetzungen für den Wettbewerb. Es ist ja auch nicht so, dass es bei uns im Yukon-Territorium sonst viel zu tun gäbe im Winter. Es ist fast immer eiskalt und stockdunkel.

Was machen Sie mit dem Preisgeld?

Ich bin Klempner in einer großen Goldmine hier in der Nähe, und die 2000 Dollar Preisgeld waren natürlich schon ein Anreiz durchzuhalten und auf den Sieg zu hoffen. Ich kaufe mir davon ein Mountainbike, für den Sommer.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5203464
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/min
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.