Einsturz des Kölner Stadtarchivs:Noch mehr illegale Brunnen

Offenbar wurden in Köln die Vorgaben in noch größerem Ausmaß ignoriert als bislang bekannt: Unter der Einsturzstelle am Waidmarkt wurden 23 Brunnen gebaut - statt der genehmigten vier.

Neue Erkenntnisse zum Bau der Kölner Nord-Süd-Stadtbahn: Offenbar sind unter der Unglücksstelle am Waidmarkt wesentlich mehr Brunnen gebaut worden als genehmigt. In einer Pressemitteilung der Stadt Köln ist die Rede von insgesamt 23 Brunnen - 19 mehr als erlaubt. Diese neuen Erkenntnisse stammen aus Unterlagen über durchgeführte Brunnenbohrungen am Gleiswechselbauwerk Waidmarkt, die die Projektleitung der Nord-Süd-Stadtbahn der Unteren Wasserbehörde im Umweltamt der Stadt Köln zur Verfügung gestellt hat.

Einsturz des Kölner Stadtarchivs: Der schiefe Kirchturm, die Überschwemmung in der Baugrube: Beim Kölner U-Bahn-Bau wurde viel ignoriert - in Bildern.

Der schiefe Kirchturm, die Überschwemmung in der Baugrube: Beim Kölner U-Bahn-Bau wurde viel ignoriert - in Bildern.

(Foto: Foto: dpa)

Damit sind die Vorgaben in noch größerem Maße überschritten worden als bislang bekannt: Erst vor wenigen Tagen hatte Umweltdezernentin Marlies Bredehorst eingeräumt, dass die beauftragten Firmen hinter dem Rücken der Behörden mehr Brunnen gebaut haben als genehmigt. Bisher war aber die Rede von 15. In der wasserrechtliche Erlaubnis sind nur vier Brunnen vorgesehen.

Diese neuen Erkenntnisse sind insbesondere vor dem Hintergrund brisant, als Experten hinter dem Einsturz einen hydraulischen Grundbruch in der Baugrube vermuten. Das übermäßige Abpumpen von Grundwasser könnte den Zusammenbruch des Stadtarchivs am 3. März verursacht haben.

Es hieß, mit den 15 Brunnen seien bis zu 750 Kubikmeter Grundwasser pro Stunde abgepumpt worden. Erlaubt waren lediglich 450 Kubikmeter. Wieviele der 23 Brunnen nun mit welcher Förderleistung tatsächlich betrieben wurden, gehe aus den jetzt vorgelegten Unterlagen nicht hervor. Bekannt sei lediglich, dass am 30. Juni 2008 der erste zusätzliche Brunnen mit einer Pumpe ausgerüstet worden ist, heißt es in der Pressemitteilung.

In den kommenden Tagen soll nun diskutiert werden, ob die Kölner Verkehrsbetriebe die Bauaufsicht über das Projekt Nord-Süd-Stadtbahn behalten soll, sagte ein Sprecher der Stadt Köln im Gespräch mit sueddeutsche.de. Demnach wollten mehrere Stadträte im Kölner Rathaus der KVB die Bauaufsicht entziehen und auf die Stadt Köln übertragen.

Am Dienstag wurde aus Kreisen des Aufsichtsrats der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) bekannt, dass dem KVB-Vorstandsdirektor, Walter Reinarz, die Beurlaubung oder die Entlassung droht. Drei Wochen nach dem Einsturz des Stadtarchivs ist jetzt auch bei den KVB von Konsequenzen die Rede: Der Aufsichtsrat wolle Ende März in einer Sondersitzung über "eventuell erforderliche Konsequenzen" entscheiden, kündigte Aufsichtsratschef Wilfried Kuckelkorn nach einer Sitzung des Gremiums an.

Der Aufsichtsrat habe sich vom Vorstand ausführlich über "die Sachlage beim Bau der Nord-Süd-Stadtbahn und mögliche Zusammenhänge mit dem Einsturz des Historischen Archivs" informieren lassen. Man müsse nun die sehr umfangreiche und detaillierte Darstellung des Sachverhalts prüfen und bewerten, sagte Kuckelkorn. Er fügte hinzu, an der Informationspolitik des Vorstandes sei Kritik geäußert worden: "Teilweise war von Vertrauensverlust die Rede."

Archiv stand nicht auf Liste gefährdeter Gebäude

Das eingestürzte Archiv stand einem Zeitungsbericht zufolge nicht auf einer Liste besonders gefährdeter Gebäude entlang der Kölner U-Bahn-Trasse. Das berichtete die Rheinische Post unter Berufung auf Ermittlerkreise. Auf der Liste seien Gebäude aufgeführt worden, für die spezielle Setzungsprognosen angefertigt worden seien.

In der Aufstellung genannt seien das Polizeipräsidium und die Kirche Sankt Johann Baptist, die in der Nähe der Unglückstelle liegen. Die Zeitung berichtete, in der Stadtverwaltung werde die Panne Baudezernent Bernd Streitberger (CDU) angelastet. Dieser hätte auf die Listung des Stadtarchivs bestehen müssen, hieß es.

Am Montag hatte der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma bereits ein Disziplinarverfahren gegen Streitberger eingeleitet. Die Begründung: Dieser habe wichtige Informationen nicht unverzüglich an ihn und den zuständigen Krisenstab weitergegeben.

Der Baudezernent hatte demnach am vergangenen Freitag in einer Sitzung erklärt, seit 12. März von Protokollen aus Baubesprechungen der KVB gewusst zu haben. Darin wurde unter anderem von einem sogenannten hydraulischen Grundbruch bereits im September und von Wasserdurchlässigkeiten bei Schlitzwänden berichtet.

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