Süddeutsche Zeitung

Einsturz des Kölner Stadtarchivs:"Das war ein Risiko"

Waren Sparmaßnahmen der Grund für die Katastrophe? Der frühere Kölner Baudezernent Bela Dören erhebt nach dem Einsturz des Archivs schwere Vorwürfe.

D. Graalmann, J. Nitschmann und M. Widmann

Nach dem Einsturz des Historischen Archivs hat der ehemalige Kölner Baudezernent Bela Dören schwere Vorwürfe gegen die Stadtspitze und die Kölner Verkehrsbetriebe beim U-Bahn-Bau erhoben.

Die Verfahren und Techniken beim Bau der unterirdischen Nord-Süd-Bahn im Grundwasserbereich seien "eindeutig risikobehaftet" und bei vorangegangen U-Bahn-Bauten in der Domstadt nicht angewendet worden, sagte Dören im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Er könne nicht verstehen, weshalb die KVB bei den U-Bahn-Arbeiten im Grundwasserbereich nicht die erprobten Verfahren wie Unterwasser-Beton oder Gefriertechniken angewandt worden seien.

Stattdessen habe sich der Bauherr entschieden, das Grundwasser abzupumpen. Dies aber sei möglicherweise die Ursache für Bodenverschiebungen und einen so genannten "hydraulischen Grundbruch", der mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Archiv-Einsturz geführt habe.

Dören, der zwischen 2001 und 2003 Baudezernent der Stadt war, erklärte er könne sich vorstellen, dass die KVB das Abpumpen des Grundwassers "alleine aus Kostengründen" favorisiert habe. Die Gefriertechnik, bei denen lanzenförmige Kältestangen in den Tunnelboden eingebracht würden, oder das Anbringen von Unterwasser-Beton mit Hilfe von Tauchern sei dagegen eindeutig kostspieliger.

"Die sicheren U-Bahn-Bauten der Stadt Köln bei Grundwasser-Problematiken" seien 30 Jahre lang auch im Ausland ein Vorzeigeobjekt gewesen, erklärten Dören. "Sogar die Chinesen haben sich dies hier angeschaut, um davon zu lernen." Deshalb sei es für ihn "völlig unverständlich", weshalb die KVB von diesen herkömmlichen Bautechniken bei der Nord-Süd-Bahn abgewichen sei.

Der Sprecher der KVB, Joachim Berger, bestätigte auf Anfrage, dass Unterwasserbetonage oder Gefriertechniken bei der U-Bahn-Baustelle am Kölner Waidmarkt, die unmittelbar an das eingestürzte Archiv angrenzt, "in der Planung nicht vorgesehen gewesen" seien. Auf die Frage, ob sich die KVB aus Kostengründen für das umstrittene Abpumpen des Grundwassers entscheiden habe, antwortete Berger: "Diese Fragestellung kann so nicht beantwortet werden, da die Kosten nur ein Faktor unter vielen sind."

Die Frage des Bauverfahrens sei "im Rahmen eines Planungsprozesses erarbeitet und entschieden worden, unter Berücksichtigung der jeweiligen Randbedingungen". Das Unglück geschah genau zu dem Zeitpunkt, als die Baugrube am verwundbarsten war: Am Tag des Unglücks hatten Arbeiter der Baufirma Lauber aus dem hessischen Dillenburg den letzten Kies und Sand aus der Grube gebaggert und die Endtiefe von 28 Metern erreicht. Nur drei Tage später, am 6. März, sollte der Boden betoniert werden, was die Grube stabilisiert hätte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie vier Grubenarbeiter am Unglückstag zu Helden wurden.

"Das war natürlich der kritischste Zustand in der Bauphase", sagte Geschäftsführer Christoph Lauber der SZ. Derzeit gilt als wahrscheinliche Ursache ein Grundbruch, wonach Wasser und Sand von unten die Baugrube innerhalb von nur drei Minuten geflutet haben. Auch Mängel in den Seitenwänden sind denkbar.

Vier Arbeiter der Firma Lauber waren am Unglückstag in der Grube beschäftigt. Mit leichtem Gerät ebneten sie den Boden ein. "Am nächsten Tag wäre der Eisenflechter gekommen", sagt Lauber. Seine Männer gelten in Köln mittlerweile als "Helden". Als das Wasser einbrach, brüllte einer von Ihnen: "Raus hier, alle raus!"

Ein Kollege an der Oberfläche hörte die Rufe und trommelte mit seinen Fäusten gegen die Fenster des Archiv-Lesesaals - die Menschen konnten sich rechtzeitig retten. Ein anderer stoppte einen vollbesetzten Schulbus des nahen Gymnasiums, Sekunden, ehe die Straße wegbrach. "Das war schon sehr bemerkenswert", lobt Lauber seine Mitarbeiter, bei anderen Unfällen seien Arbeiter auch schon in Panik einfach nur weggerannt.

Der Tote ist Khalil G.

Zwei Menschen sind bei dem Unglück am 3. März ums Leben gekommen. Bei der Leiche, die am Donnerstagabend unter dem Trümmerberg des Archivs gefunden wurde, handelt es sich wie vermutet um den 24-jährigen Khalil G. Der Vater habe seinen Sohn zweifelsfrei identifiziert, teilte die Polizei mit. Der Leichnam war nach neuntägiger Suche in gut neun Metern Tiefe entdeckt und anschließend zur Obduktion in die Rechtsmedizin gebracht worden.

Die Untersuchung ergab, dass "davon ausgegangen werden muss, dass der Tod noch während des Hauseinsturzes eintrat." Darauf deuten sowohl die schweren äußeren Verletzungen des 24-Jährigen hin als auch der Umstand, dass der Design-Student unter einer mehreren Meter dicken Trümmerschicht begraben lag. Khalil G., der noch am Freitag zur Bestattung in seine Heimat Marokko überführt werden sollte, hatte wie das zweite Todesopfer, der 17-jährige Kevin K., in der Dachgeschosswohnung eines angrenzenden Hauses gewohnt.

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SZ vom 14.03.2009/aho
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