Eingestürztes Stadtarchiv:Als das Wasser durch die Wand kam

Was Augenzeugen in der Baugrube erlebten und warum die Ereignisse in Köln so verblüffend an eine Beinahe-Katastrophe in Amsterdam erinnern.

M. Widmann

Das Unglück ist minutengenau dokumentiert: Um 18.45 Uhr sahen die Arbeiter unten in der Baugrube das Wasser aus der Wand rinnen, ein wenig nur am Anfang. Fünf Minuten später barst die Betonwand, das Grundwasser schoss in die U-Bahn-Baustelle, und oben, in den Fachwerkhäusern der Altstadt, begann der Boden instabil zu werden, sechs Gebäude fingen an, sich bedrohlich zu senken. Sekunden nur blieben den Arbeitern, um zu reagieren. Sie kippten von innen Lehm gegen das Leck, sie injizierten Beton in die Wand, sie stoppten schließlich den Einbruch und verhinderten so wohl eine Katastrophe.

Eingestürztes Stadtarchiv: Inzwischen ist der Untergrund wieder so fest, dass die Helfer mit Baggern in der Grube arbeiten können.

Inzwischen ist der Untergrund wieder so fest, dass die Helfer mit Baggern in der Grube arbeiten können.

(Foto: Foto: dpa)

Was sich am 9. September 2008 in Amsterdam abspielte, erinnert verblüffend an das Unglück von Köln: In beiden Städten wird eine Nord-Süd-Linie unter der historischen Innenstadt gegraben, weit unter dem Grundwasserspiegel. Beide Male quoll Wasser in die Grube. In Köln kam es zum Unglück mit zwei Todesopfern, in Amsterdam wurde das Schlimmste zweimal nur knapp verhindert. Schon im Juni waren dort vier Gebäude abgesackt, sieben Familien mussten in Sicherheit gebracht werden. Im September wurden noch einmal 20 Menschen obdachlos.

Schuld daran waren die Seitenwände der Baugrube, sogenannte Schlitzwände, sagt Frits van Tol, Geotechniker an der Technischen Universität Delft. In seinem Bericht für die Stadt Amsterdam bescheinigte er den beteiligten Firmen aus Deutschland, Belgien und Großbritannien eine "außerordentlich schlechte Qualität" der Wände am Unglücksort.

Wo steinharter Beton sein sollte, fand er bisweilen eine graue, zähe Substanz in der Wand. Vermutlich war es Bentonit - ein Platzhalter, der beim Bau der Seitenwände den Boden so lange offen halten soll, bis die Wand schließlich mit Beton gegossen wird. Beim Betonieren ist wohl etwas Füllmasse in der Wand geblieben, einen "Einschluss" nennen das die Fachleute. "Eigentlich sind solche Wände sehr verlässlich", sagt van Tol. Aber nur, wenn sie korrekt errichtet werden.

In Köln wurden nach Angaben der Verkehrsbetriebe bis zum Unglück keine Fehlstellen in den Wänden entdeckt. Auch der Baugrund dort unterscheidet sich deutlich. Dennoch machen die vier Arbeiter der thüringischen Brunnenbaufirma Conrad, die den Wassereinbruch am 3. März in der Grube am Waidmarkt selbst erlebt haben, auch hier die Schlitzwand verantwortlich: "Unsere Leute haben eindeutig gesehen, dass das Wasser durch die Wand kam", sagte ein Conrad-Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung.

Die Männer sind die einzigen direkten Augenzeugen des Unglücks - zusammen mit den Arbeitern der hessischen Baufirma Lauber. Seine vier Männer hätten "unterschiedliche Erinnerungen", sagte Geschäftsführer Christoph Lauber am Dienstag. Manche sahen das Wasser durch die Wand schießen, andere aus dem Boden. Lauber selbst hält einen Kollaps der Wand keinesfalls für ausgeschlossen. "Es kann zum Beispiel sein, dass beim Betonieren an der Seite etwas Sand oder Kies reinrieselt", sagte er. Nicht immer könne man die gefährlichen Stellen von außen erkennen. Wenn das Grundwasser dann gegen die Fehlstelle drückt, kann diese nach einiger Zeit nachgeben.

Im Ausland und auf manchen deutschen Baustellen werden die Wände daher mit Ultraschall auf Einschlüsse untersucht. In Köln sei das nicht passiert, beklagt Josef Steinhoff von der Fachhochschule Köln. "Man hätte die Qualitätsstandards höher gestalten können." Das beteiligte Bauunternehmen Bilfinger Berger teilt mit, man habe einen sogenannten Inklinometer eingesetzt. Mit diesem Messinstrument kann man lediglich überwachen, ob die Wand sich verformt. Noch am Morgen des Unglückstags seien alle Werte in Ordnung gewesen, hieß es bei den Kölner Verkehrsbetrieben.

Die deutsche Baufirma Züblin ist sowohl in Amsterdam wie auch in Köln beim U-Bahn-Bau im Einsatz. Konsequenzen aus den Vorfällen in den Niederlanden wurden für die deutsche Baustelle allerdings nicht gezogen. Eine Konzernsprecherin teilte am Dienstag mit, Züblin sei in Amsterdam nicht mit dem Bau der Wände, sondern nur mit der "Herstellung der Bohrtunnel" beauftragt worden, diese Arbeit beginne erst im Jahr 2010.

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