Eine Woche mit "Explosiv":Hier sieht die Welt ganz anders aus

Man wird nicht zwangsläufig dümmer beim RTL-Magazin. Man weiß plötzlich, dass Bunte-Chefin Riekel drei Lippenstifte spazieren trägt, oder dass es ein Parfum für Hunde gibt. Man wollte das nie wissen, aber was soll's?

Von Hans Hoff

Würde man mal Zeit und Muße finden, eine Woche abzuschalten, mit niemandem zu sprechen, keine Zeitung zu lesen, kein Radio zu hören und im Fernsehen ausschließlich das RTL-Boulevard-Magazin Explosiv zu schauen, die Welt sähe plötzlich ganz anders aus.

Explosiv

Das ist Petra Schweers. Sie war Praktikantin bei Spiegel TV und moderiert jetzt das ehemalige Sex&Crime Magazin Explosiv. Petra Schweers ist sehr nett, sehr freundlich und hat eine sehr gleichmäßige Ausstrahlung.

(Foto: Foto: RTL)

Sie drehte sich dann vielleicht um Petra Schweers, eine nette 29-jährige Moderatorin, die mal Praktikantin bei Spiegel TV war und jetzt beim größten deutschen Privatsender jedes Thema mit einer überaus freundlichen Einheitlichkeit in Blick und Ausstrahlung übergießt. Sie erklärt für wichtig, was immer die ExplosivRedaktion zum Beitrag erkoren hat.

Längst sind das nicht mehr die Themen, die früher den ramponierten Ruf des Magazins ausmachten, als Barbara Eligmann noch mit eiskaltem Domina-Blick die Schlechtigkeit der Welt in die Herzen ihrer Zuschauer hämmerte. Da hielten viele Menschen Explosiv für eine visuell belebte Sex&Crime-Postille, in der es vor allem um Blut, Busen und das Böse ging.

Wer in der vergangenen Woche nach diesen Bestandteilen forschte, ging fast leer aus, musste sich in Sachen Kriminalität mit ein paar angeblich betrügerischen Reisehändlern und Hundezüchtern abfinden, bekam noch ein paar gewalttätige Wespen dazu, und das war's dann aber schon in Sachen Crime.

Auch mit dem roten Stoff geizt man inzwischen bei Explosiv. Den kleinen Bluthunger zwischendurch stillt das Boulevardmagazin längst nicht mehr an Tatorten oder Unfallschwerpunkten, sondern mit Vorliebe im Operationssaal.

In den wird man im Laufe einer Woche mehrfach geführt, darf im wahrsten Wortsinne hautnah erleben, wie einem krankhaften Schwitzer die Schweißdrüsen abgesaugt und einer 20-Jährigen die Brüste gerichtet werden. Schönheitsoperateure sind gern gesehene Gäste bei Explosiv.

Es muss da nicht immer nur der RTL-Haus-und-Hof-Schnibbler Werner Mang sein, der sich vor einer Woche wunschgemäß über Kinder empörte, die es schon mit neun Jahren unters Messer treibt, es darf durchaus auch mal ein anderer Körpersanierer ran. Er muss nur mittels Filzstift die Haut einer jungen Dame zum Schnittplan veredeln, dann ist die Botschaft für den Zeugen vor dem Bildschirm schnell klar: Auch du brauchst das.

Hier sieht die Welt ganz anders aus

Selbst das Böse ist nicht mehr immer und überall. Von Petra Schweers als eher bedrohliche Law & Oder-Vertreter angekündigte Campingplatz-Cops oder Freibad-Bodyguards entpuppen sich als brave Ermahner, die Schwierigkeiten haben, wirklich Anstößiges aufzudecken.

In Wahrheit ist die Welt von Explosiv eine kreuzbrave, denn die Mehrheit der Beiträge übt sich in zwischenmenschlicher Verbraucherberatung. Die Fragen, warum ein Drittel aller Männer nicht täglich die Unterwäsche wechselt, warum Textil-Verkäuferinnen lügen ("Das steht Ihnen gut") und warum sich Paare beim Kofferpacken in die Haare kriegen oder Urlaubslieben nicht unbedingt daheim funktionieren, werden wieder und wieder erörtert und mit einem klaren "mal so, mal so" beantwortet.

Überaus gerne packt Explosiv den dicken Zeigefinger aus. Wenn man den mehrfach vor dem geistigen Auge gesehen hat, weiß man, dass man beim Autobahnrasen nicht zu dicht auffahren sollte, Staus nicht über Rastplätze umgehen und mit dem Mountainbike nicht rücksichtslos durch die Fußgängerzone brettern darf.

Das wirkt staatstragend und könnte den Ruf einer moralisch integren Institution Explosiv begründen, hätten sich die RTL-Reporter beim Thema Amok-Biker nicht allzu offensichtlich mit den gezeigten Zweirad-Rowdies zur Inszenierung verabredet. Die Maskierten tragen im Film nämlich genau die Helmkameras, die für RTL die Bilder von zurückschreckenden und strauchelnden Fußgängern zeigen. Inszenierte Wirklichkeit - man kennt's ja.

Mobile Kameras sind ein beliebtes Stilmittel bei Explosiv, gerne auch in der versteckten Version. Man filmt den Menschen, der sich unbeobachtet glaubt und konfrontiert ihn hinterher mit seinem Tun. Mit Freude wird auf diese Weise das so genannte "Lemming-Phänomen" beobachtet: Was sind Menschen zu tun bereit, wenn andere es vormachen? Ziehen Besucher eines Hausbootes freiwillig Schwimmflügelchen an, wenn es der Vorausgehende vormacht? Zahlen sie eine erfundene Grillsteuer, wenn ein Uniformierter sie einfordert? Und schauen sie konzentriert auf den Boden, wenn es nur mehrere andere Menschen vormachen?

Sie tun's, und der Kommentator sagt: "Es bildet sich eine Traube, die auf nichts starrt." Ach so? "Je mehr Menschen in der Gruppe bereits warten, desto eher hält jemand an und gafft mit." Und ganz sicher tragen solche Beiträge zum nicht gerade überschwänglichen, allerdings soliden Erfolg von Explosiv bei. Zwischen den RTL-Nachrichten und dem regelmäßigen Quotensieger Gute Zeiten, schlechte Zeiten sackt das Scharnier-Programm häufig leicht ab, hält aber im Wesentlichen die von Peter Kloeppel und Konsorten übergebene Zuschauerschar bei der Stange.

Man wird nicht zwangsläufig dümmer bei Explosiv. Man weiß plötzlich, dass die Bunte-Chefredakteurin Patrizia Riekel drei Lippenstifte in der Handtasche spazieren trägt, dass es ein Eau de Toilette für Hunde gibt und dass Kinder, die mit neun Jahren ins Kosmetikstudio getrieben werden, manchmal affektiert näseln wie C-Promis von der Alm. Man wollte das nie wissen, aber was soll's?

Nur am Namen muss gearbeitet werden, denn Explosiv passt nicht. Wo nichts zu bersten droht, wo alles nur gleichmäßig gleitet, muss einer neuer Titel her. Wie wäre es mit Geschmeidig?

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