Süddeutsche Zeitung

"Eine Ohrfeige für die Mafia":Der Mut, einfach Addio zu sagen

In Palermo sind es schon 100: Sizilianische Geschäftsleute haben angefangen, der Mafia die Zahlung von Schutzgeld zu verweigern.

Stefan Ulrich

Vor ein paar Wochen funktionierte die Klingel in Maurizio Varas kleinem Hotel nicht mehr. Der 37 Jahre alte Besitzer ging auf die Straße und sah, dass die Sprechanlage mit Klebstoff verschmiert war. Ein Bubenstück? Keineswegs.

Vara erschauerte. Er wusste, wie jeder Sizilianer, was dieses Signal bedeutet: einen Mahnbescheid des Schattenstaates, die Steuern zu zahlen.

Der Schattenstaat, das ist die Mafia, und ihre Steuer der "Pizzo", das Schutzgeld, das sie von Siziliens Geschäftsleuten verlangt.

Bleiben die Mahnbescheide erfolglos, wird vollstreckt, mit Brandanschlägen oder Schlimmerem. Doch Maurizio Vara hat sich geschworen: "Ich zahle nicht mehr." Ein Geschäftsmann, der sich erpressen lasse, verliere seine Freiheit, sagt er mit düsterem Blick. "Das musste ich selbst erleben."

"Wir geben der Mafia eine Ohrfeige"

Der füllige Mann mit der leisen Stimme wirkt nicht gerade wie ein Rebell, wie er hantiert im blitzblanken Frühstücksraum seines Hotels in Palermos Zentrum. Doch er ist einer. Er gehört zu einer Gruppe von Geschäftsleuten, die der Mafia in aller Öffentlichkeit die Stirn bieten. Mitten in der Altstadt Palermos sagen 100Reisebüros und Kleidergeschäfte, Bars, Pensionen, Buchläden, Biomärkte, Bäckereien und Sportclubs auf einmal: Addio Pizzo. Die Namen der Betriebe stehen im Internet und auf einem Faltblatt.

Vor kurzem wurden sie auf einer Piazza in Palermo gefeiert. "Wir geben der Mafia eine Ohrfeige", stand auf einer Banderole. Und die Geschäftsleute verkündeten den staunenden Bürgern: "Wir zahlen kein Schutzgeld mehr."

Für die Cosa Nostra ein unerhörter Akt. Denn so wird ihre Hoheit über das Territorium offen herausgefordert. Das ist für jeden Staat gefährlich, und besonders für einen Schattenstaat, der auf Einschüchterung und Unterwerfung baut. "Bis jetzt schaut die Mafia noch zu und beobachtet uns", sagt Enrico Colajanni, der bei seinem Freund im Hotel vorbeischaut. "Doch wenn wir noch stärker werden, dann schlägt sie zu." Colajanni liegt der Widerstand im Blut. Sein Vater Pompeo war ein Partisanenführer während der Nazi-Besatzung Italiens. Der Sohn, ein 55Jahre alter Mann mit Schnurrbart und verwegenem Blick, kämpft nun gegen andere Okkupatoren.

Konsum als Waffe

Er gehört zu den Organisatoren der Bewegung "Addiopizzo". "Wir wollten nicht nur gegen die Mafia protestieren", sagt er, "sondern auch etwas Konkretes tun." Dabei hätten sie die Idee verworfen, Unternehmen zu boykottieren, die Schutzgeld gewähren. Lieber wollten sie jene unterstützen, die den Mut aufbringen, keinen Pizzo zu zahlen. "Die beste Waffe der Bürger ist der Konsum", sagt Colajanni. Mehr als 7000 Palermitaner hätten sich bereits verpflichtet, bei Addiopizzo-Betrieben einzukaufen.

Von der Politik können die Rebellen keine große Hilfe erwarten. Siziliens Regionalpräsident Salvatore Cuffaro bestreitet, dass die meisten Geschäftsleute Pizzo zahlen. Wer das behaupte, gefährde das Image der Insel. Gerade wurde Cuffaro bei der Regionalwahl bestätigt. In Sachen Pizzo aber ist er kein glaubwürdiger Zeuge. Schließlich steht er in Palermo wegen Begünstigung der Mafia vor Gericht.

Der Leiter der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft, Pietro Grasso, schätzt, 70 bis 80Prozent der Geschäftsleute Siziliens zahlten Schutzgeld. Mit fatalen Folgen. "Die guten Unternehmer gehen weg", sagt Colajanni. "Andere investieren nicht mehr oder beugen sich der Mafia und verlieren alles."

Aus dieser Misere ist Addiopizzo entstanden: An einem Junimorgen vor zwei Jahren klebten an Hauswänden, Türen und Ampeln Palermos plötzlich Hunderte weiße Zettel mit schwarzem Trauerrand. "Ein ganzes Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde", stand darauf. Der Polizeipräfekt berief eine Sondersitzung ein, und die ganze Stadt rätselte über die Urheber. Schon bald traten sie an die Öffentlichkeit: Es waren sieben junge Leute, die nach dem Studium eine Bar aufmachen wollten und auf das Pizzo-Problem stießen. Da beschlossen sie, "ein kleines und zerbrechliches Zeichen des Widerstands" zu setzen.

Maurizio Vara hat diese Rebellion aufmerksam verfolgt. Schließlich musste er sich angesprochen fühlen. Er selbst hatte einst den Pizzo bezahlt und sich so in einen "teuflischen Schlund begeben, der nicht nur mein ganzes Leben, sondern auch meine Moral verschlang". Vara hatte bei Palermo einen Metallbetrieb aufgebaut.

Noch während das Gelände eingezäunt wurde, sprach die Mafia vor. Vara zahlte, doch die Verbrecher wollten mehr. Sie zwangen ihn, bestimmte Arbeiter einzustellen und mischten sich in die Geschäfte. "Ich fühlte mich nicht mehr wie der Herr im eigenen Haus, war allein, hatte Angst, gehorchte und habe ihren Hunger so nur noch vergrößert." Einmal versuchte er symbolischen Widerstand und zahlte den Pizzo in 1000-Lire-Scheinen. "Da wurden sie sehr wütend."

"Wir müssen die Augen weit offen halten"

Der Konflikt eskalierte. Die Gangster zündeten sein Büro an und versuchten, ihn zu entführen. Vara rettete sich mit einem Sprung aus einem fahrenden Auto, schickte seine Familie nach Norditalien und verbarrikadierte sich im Haus. Dann trieb ihn der Mut der Verzweiflung zur Polizei. Erst als seine Peiniger im Gefängnis saßen, fühlte er sich sicherer. Seine von der Mafia ausgesaugte Firma aber musste er zum Spottpreis verkaufen. Mit dem kleinen Hotel fängt er nun von vorne an.

"Amarcord", heißt das Haus, nach einem Fellini-Film. Der Dialekt-Begriff bedeutet: Ich erinnere mich. Weil sich Maurizio Vara so gut an die Cosa Nostra erinnert, macht er bei Addiopizzo mit. Doch die Mafia lässt nicht locker, wie die Sache mit dem Klebstoff beweist. Andererseits spürt der Hotelier den Rückhalt der 100 Unternehmer. Ihm ergeht es wie einem kleinen Fisch, der im Schwarm viel sicherer vor Räubern lebt als ein Einzelgänger.

"Wir haben mit der Polizei abgesprochen, die Aufmerksamkeit auf die Betriebe gleichmäßig zu verteilen", beschreibt Enrico Colajanni die Strategie. Zudem hätten sich in den vergangenen Wochen 60 weitere Geschäftsleute bei Addiopizzo beworben. Einige Kandidaten seien jedoch problematisch. "Wir müssen die Augen weit offen halten", sagt Colajanni. "Denn wenn uns die Mafia unterwandert, ist die Arbeit von Jahren dahin."

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SZ vom 03.06.06
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