Ein-Kind-Politik in China:Die verbotenen Kinder des Herrn Zhang

Zhang Yimou

Zerknirscht und voller Reue: Der Regisseur Zhang Yimou hat gestanden, gegen die chinesische Ein-Kind-Politik verstoßen zu haben.

(Foto: dpa)

Er war der Liebling der chinesischen Regierung, ein Mann für die ganz großen Bilder: Nun kam heraus, dass der bekannte Regisseur Zhang Yimou gegen die Ein-Kind-Politik verstoßen hat. Seine Ehefrau war gleich drei Mal schwanger - mindestens.

Von Kai Strittmatter, Peking

Ein Steckbrief, die ganze Titelseite. So erschien am vergangenen Dienstag die Nanjinger Tageszeitung EasternGuardian. "GESUCHT" brüllte es da in großen Schriftzeichen den Leser an, und dann las dieser den Namen des Gejagten: Zhang Yimou. Geschlecht: männlich. Alter: 63. Besonderes Kennzeichen: Shaanxi-Akzent. Beruf: Regisseur. Das hätte man nun nicht unbedingt dazuschreiben müssen, denn Zhang Yimou, Schöpfer von Filmen wie "Das rote Kornfeld" und "Hero", Choreograf der Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele 2008, ist wahrscheinlich der bekannteste Regisseur des Landes.

Allerdings war Zhang Yimou seinem Land zu dem Zeitpunkt gerade abhanden gekommen. Oder vielmehr: Es war die für Zhang zuständige Familienplanungsbehörde der Stadt Wuxi in der Provinz Jiangsu, der es in den vergangenen Monaten trotz größter Anstrengung nicht gelungen war, den Regisseur aufzustöbern. Dabei hatten sie doch zuerst "ein Arbeitsteam nach Peking geschickt", das dort an alle möglichen Türen klopfte und dann sogar noch "ein Dutzend Briefe geschrieben hat", wie die Nachrichtenagentur Xinhua sorgsam rekonstruierte. Vergebens. "Wir haben bislang keine zufriedenstellende Antwort erhalten", erklärte die Behörde bedauernd.

Von Zhang Yimou zu dem Zeitpunkt also kein Mucks. Dafür ein umso größerer Radau von Chinas Netzgemeinde, die nicht wusste, ob sie weinen oder lachen sollte. Wo doch jeder wusste, dass Zhang Yimou gerade die Dreharbeiten an seinem neuen Film "Rückkehr" begonnen hatte. Mit seiner alten Muse Gong Li in der Hauptrolle. Mitten in Peking. Mitten in allen Klatschmagazinen. Viele entschieden sich für den Spott. In den Mikroblogs machte der Hashtag "zhangyimougesucht" die Runde. Die Hatz begann. Ach ja, was war noch mal das Verbrechen des Herrn Zhang?

Zhang Yimou hat vier Kinder. Mindestens. Davon drei mit seiner zweiten Frau, der 31-jährigen Schauspielerin Chen Ting. Das aber ist im Reich der Einkindpolitik verboten. Strengstens. Na ja, meistens. Jedenfalls für alle, die nicht reich genug sind, um sich einfach freikaufen zu können. Zhang Yimou ist reich. Hat er sich freigekauft? Das ist noch unklar. Immerhin: Jetzt hat er sich gestellt, der sündige Vater. Zerknirscht und voller Reue, wie es das Ritual in China gebietet.

Zhang und seine Frau stellten Sonntagnacht einen offenen Brief ins Netz, in dem sie sich entschuldigten. "Zhang Yimou und seine Frau Chen Ting haben in der Tat zwei Söhne und eine Tochter", heißt es in dem Brief. Zhang werde "die Bestrafung gemäß der Gesetze" akzeptieren: "Wir wollen uns ehrlich bei der Öffentlichkeit entschuldigen für die negativen Auswirkungen, die dieser Fall nach sich gezogen hat."

Als Erneuerer und Rebell des chinesischen Kinos gestartet

Die "negativen Auswirkungen": Das war die erregte Debatte über Sinn und Unsinn der Familienpolitik des Landes - und über den Missbrauch von Privilegien im neureichen China, wo, so der Generalverdacht im Volk, Macht und Geld über alles Recht erhaben sind. Da schlummert viel Hass, und Zhang Yimou bekam eine gehörige Ladung davon ab. "Die Politik ist nur für Arme", schrieb ein Nutzer auf dem Mikrobloggingdienst Weibo. "Reiche wie Zhang Yimou machen, was sie wollen." Und ein anderer: "Wenn einfache Bürger schwanger sind, dann entführt das Familienplanungskomitee die Schwangere ins Krankenhaus und tötet die ungeborenen Kinder. Warum haben sie bei Zhang Yimous Kindern keine Zwangsabtreibung gemacht?"

Zhang war mit Filmen wie "Das rote Kornfeld" oder "Rote Laterne" einst als Erneuerer und Rebell des chinesischen Kinos gestartet, bevor er mit aufwendig inszenierten Historienspektakeln ("Hero", "House of Flying Daggers") und Ergebenheitsadressen an Chinas Führung zum Liebling der KP wurde. Er ist längst Teil des Establishments, auch deshalb war er für viele die perfekte Zielscheibe.

Der Zorn auf die Einkindpolitik ist aber mindestens so groß wie der auf die Privilegierten, das wurde bei der zweiten Gruppe von Debattierern deutlich, die sich allesamt für Zhang Yimou in die Bresche warfen. "Ich mag seine Filme nicht", schrieb einer am Montag, "aber jeder sollte das Recht haben, so viele Kinder zu bekommen, wie er möchte."

Der Pekinger Maler Yang Ermin, der selbst nur ein Kind hat, sagt: "Das ist doch etwas Normales. Wieso leben wir in einem Land, in dem etwas Normales als abnormal angesehen wird? Ist das ein abnormales Land?" Der Kolumnist Zhao Jicheng kritisierte die Angreifer als Heuchler: "Ihr verflucht die Familienplanung und sagt gleichzeitig, andere sollen bestraft werden - ist das kein Widerspruch? Wart ihr nun so lange Eunuchen, dass ihr so viel Zeugungskraft nicht mehr ertragt?"

Die Einkindpolitik gilt seit mehr als drei Jahrzehnten und sollte anfangs nur für eine Übergangszeit gelten. Immer mehr Experten auch im Land forderten ihre Abschaffung und das nicht nur aus Menschenrechtsgründen: China altert mittlerweile schnell. 2012 schrumpfte erstmals die Anzahl der Erwerbstätigen um mehr als drei Millionen. Die Partei konnte sich im November aber erst einmal nur zu einer kleinen Lockerung durchringen: Von nun an dürfen Eltern zwei Kinder bekommen - wenn einer der Elternteile selbst als Einzelkind aufgewachsen ist.

Keine sieben Kinder

Zhang Yimou nutzte seinen offenen Brief auch, um Gerüchten entgegenzutreten, wonach er nicht bloß vier, sondern mindestens schon sieben Kinder in die Welt gesetzt habe. Die Gerüchte waren im Frühjahr aufgekommen, ein Blogger servierte dem dürstenden Publikum damals gar die haarsträubende Geschichte von einem mysteriösen achten Kind, einem Jungen, den Zhang verlassen habe. Das Kind sei später Reporter geworden und habe nun die Existenz der sieben anderen Kinder enthüllt, aus Rache an seinem herzlosen Vater. Wer solche Räuberpistolen weiterverbreitet, der darf von jetzt an mit einer Klage rechnen.

Und Zhang Yimou selbst, was droht ihm? Zhang Zhouzhang, ein Anwalt aus Wuxi, sagte der South China Morning Post, die örtlichen Regeln diktierten Vater und Mutter jeweils eine Strafe in acht- bis zehnfacher Höhe des Durchschnittseinkommens. Das lag in Wuxi zuletzt knapp unter 36.000 Yuan (knapp 4400 Euro). Ein solches Strafmaß wäre für den Regisseur jedenfalls weit angenehmer als die 160 Millionen Yuan (19 Millionen Euro), die sich Chinas Medien vor ein paar Monaten als angebliche Strafe ausgedacht hatten.

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