Ein Jahr nach Brand in Behindertenwerkstatt:In aller Stille

Ein Jahr nach Brandkatastrophe in Titisee-Neustadt

Die Behindertenwerkstatt von Titisee-Neustadt ein Jahr nach der Brandkatastrophe.

(Foto: dpa)

Der Versuch, zur Normalität zurückzukehren: Im März sollen die Mitarbeiter der Behindertenwerkstatt von Titisee-Neustadt in ihre Räume zurückkehren. Wo es heute aussieht wie auf jeder Baustelle, starben vor einem Jahr 14 Menschen im Feuer. Die Staatsanwaltschaft will schon bald über eine Anklage entscheiden.

Von Roman Deininger, Titisee-Neustadt

Wer an einem trüben Novembernachmittag durch die kleine Fußgängerzone von Titisee runter ans Wasser spaziert, der sieht ein Dutzend Chinesen mit Kuckucksuhren aus einem Schwarzwald-Laden kommen und dann in einem chinesischen Restaurant verschwinden. Der sieht Plakate für das große Skispringen im Dezember, nach sechs Jahren kehrt der Weltcup auf die Hochfirstschanze zurück. Der sieht nichts, was an die Brandkatastrophe erinnert, die an diesem Dienstag genau ein Jahr zurückliegt.

Es war 13 Uhr 58 am 26. November 2012, als bei der Feuerwehr der Alarm einging. Nur sechs Minuten später erreichte die ersten Rettungskräfte die Caritas-Behindertenwerkstatt im Gewerbegebiet von Titisee-Neustadt, einen modernen, dreistöckigen Zweckbau. Die Helfer kamen schnell, aber für 14 Menschen doch zu spät.

Aus einem Gasofen war Gas ausgetreten, das haben die Ermittler später rekonstruiert. Mitten im vorweihnachtlichen Werkstatt-Hochbetrieb löste ein einziger Funke eine gewaltige Explosion aus. 13 behinderte Menschen und eine Betreuerin waren wohl sofort tot. Weitere 14 wurden verletzt, rasend schnell breitete sich giftiger Rauch aus. Etwa 90 Menschen konnten sich in Sicherheit bringen. Am Brandort spielten sich ergreifende Szenen ab: Einige geistig behinderte Mitarbeiter drängten angsterfüllt zurück in die Flammen, weil die Werkstatt für sie immer Sicherheit und Geborgenheit bedeutet hatte.

Nikolausfiguren, die auf Anstrich warten

Heute umgibt ein Gerüst das Caritas-Gebäude, aber die Spuren des Feuers sind längst beseitigt. Man könnte das hier für eine ganz normale Baustelle halten. Drinnen, hört man, stehen in den unberührten Räumen die zu bemalenden Nikolausfiguren noch genau so da, wie sie die Flüchtenden vor einem Jahr verlassen haben. Die Mitarbeiter sind wenige Wochen nach der Katastrophe in einer Ausweichwerkstatt im nahen Löffingen untergekommen. Im März nächsten Jahres sollen sie zurückkehren - an einen Ort, den sie im besten Fall nicht mehr wiedererkennen. Die Renovierung soll eigentlich eine gründliche Umgestaltung sein. Die Mitarbeiter haben mitreden dürfen beim Konzept.

Um die Betroffenen kümmert sich seit einem Jahr ein Psychologenteam, zu dem auch der Kölner Traumaforscher Thomas Weber gehört. Nach dem Amoklauf von Winnenden hat Weber schon die Albertville-Realschule auf ihrem Weg zurück in den Alltag begleitet. Mehr als 300.000 Euro an Spenden hat die Caritas erhalten, das Geld soll komplett in die Opfer-Nachsorge gehen. Derweil will die Staatsanwaltschaft Freiburg bald entscheiden, ob sie in dem Fall Anklage erhebt: Sie prüft derzeit noch, ob die Explosion auf einen Bedienfehler am Ofen zurückzuführen ist und ob Sicherheitsvorschriften missachtet wurden. Die Werkstatt-Betreuerin war bei dem Unglück selbst ums Leben gekommen.

Den Jahrestag der Katastrophe wird Titisee-Neustadt still begehen, auf Wunsch der Überlebenden und der Angehörigen der Toten. Beim Gedenkgottesdienst im Münster sind nicht einmal Ansprachen vorgesehen.

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