Ein Jahr danach:Hält das WM-Gefühl noch an?

Es war der WM-Sommer unseres Lebens. Doch was ist ein Jahr danach noch übrig davon? Gibt es den neuen Patriotismus noch, und wurden wirklich mehr Babys geboren? Fakten und Einschätzungen von Experten.

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Sind wir im Fußball wieder Weltspitze? "Der deutsche Vereinsfußball gehört nicht zur Weltspitze, die Nationalelf schon. Das hat auch etwas damit zu tun, dass einige der großen Nationen im Moment keine großen Mannschaften haben. Aber die Deutschen sind zurzeit schon auch ganz gut. Beim Spiel am vorigen Mittwoch gegen die Slowakei waren die Spieler am Ende völlig platt; aber trotzdem sind sie heute in der Lage, als Team solche Arbeitssiege einzufahren. Trainer Jogi Löw spielt für den Erfolg eine überragende Rolle. Er hat es geschafft, das Niveau der WM zu halten - und das Team sogar noch ein Stück vorangebracht." (Steffen Simon, WM-Kommentator der ARD)

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Was bleibt vom positiven Patriotismus? "Es bleibt die positive Erfahrung, dass man ein freudiges und auch ein bisschen stolzes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln kann, ohne aggressiv, feindselig und borniert zu sein. Aber von einem neuen Patriotismus zu sprechen, hielt ich von Anfang an nicht für angebracht. Was wir bei der WM erlebt haben, war vor allem die Freude daran, sich zu begegnen, ein gemeinsames Thema zu haben, nach den Spielen draußen zu sitzen in wunderbaren, sommerlichen Nächten und noch ein Bier zu trinken. Und dann eben auch Erfolg zu haben. Aber das ist kein Indiz für einen neuen Patriotismus. Das wäre etwas viel Differenzierteres und demokratisch Reflektiertes - und nicht nur ein ungefiltertes Hochgefühl darüber, dass die deutsche Mannschaft gewinnt." (Gesine Schwan, Rektorin der Universität Frankfurt/Oder)

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Hat sich das Public Viewing etabliert? "Die WM war erst der Anfang einer neuen Kultur des Zuschauens. Die Zahl derjenigen, die zum Public Viewing gehen, wird weiter zunehmen. Das DFB-Pokalfinale haben in Stuttgart, Nürnberg und vor dem Brandenburger Tor 200000 Menschen auf Videowänden gesehen. Bei Bundesligaübertragungen gibt es noch Rechteprobleme, die auf lange Sicht aber gelöst werden. Fanfeste sind Gemeinschaftserlebnisse in einem weniger reglementierten Rahmen als in den Stadien, die oft Hochsicherheitstrakten ähneln. So entwickelt sich ein neuer Typ Zuschauer: eine Mischung aus Fan und Flaneur, aus Fußballbegeistertem und einem, der eher den Volksfestcharakter des Public Viewings genießt." (Hans-Jürgen Schulke, Sportsoziologe)

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Sind die Gäste Freunde geblieben? "Die Freundschaft zu Togo war in Wangen kein Hype, der aufgehört hat, als die Mannschaft wieder weg war. Da ist wirklich etwas geblieben. Ein Ärzteteam unserer Initiative war im Frühjahr noch mal in Togo, um zwei Patienten nachzuversorgen, die während der WM in Deutschland operiert wurden. Zwei Togolesen machen gerade eine Ausbildung in Wangen, eine im damaligen Teamhotel von Togo, der andere wird Maschinenschlosser. Schon vor der WM haben hier etwa 30 Togolesen gelebt. Die bieten den anderen Wangenern jetzt an, im Sommer gemeinsam nach Togo zu fahren. Und Ende Juli spielt die deutsche U-17-Nationalmannschaft in Wangen gegen Togo. Ein Highlight für uns im Allgäu." (Christian Skrodzki, Initiative ,,Wangen hilft Togo'')

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Hat die deutsche Wirtschaft profitiert? "Die wirtschaftlichen Auswirkungen der WM hielten sich in sehr engen Grenzen. Im Juni 2006 gab es durch die WM zwar etwas mehr Beschäftigung im Gastgewerbe, aber dieser Effekt ist gleich wieder verpufft, als die WM vorbei war. Natürlich kamen aufgrund der WM mehr ausländische Gäste nach Deutschland. Doch selbst wenn man sehr großzügig rechnet und unterstellt, dass ein Gast pro Tag etwa 200 Euro ausgegeben hat, kamen nur 500 Millionen Euro mehr in die Kassen. Das liegt weit unter den Erwartungen der Veranstalter, gesamtwirtschaftlich ist diese Summe völlig irrelevant." (Karl Brenke, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung)

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Wie verkaufen sich Deutschland-Fahnen? "Während der WM war der Fahnenverkauf enorm, man konnte das ja auch sehen, an den Fenstern, den Autos, überall. Wir als kleiner Kiosk haben bis zu 70 Deutschlandfahnen am Tag verkauft. Die letzte Woche der WM waren sie dann sowieso ausverkauft. Aber nach der WM war's sofort vorbei. Das ist genau wie beim Oktoberfest. Zwei Tage danach ist der Artikel, auf dem Oktoberfest draufsteht, der älteste, den du haben kannst. Jetzt kommen in der Woche vielleicht noch fünf Deutschlandfahnen weg, meistens kaufen sich Amerikaner oder Engländer die als Souvenir. Und ganz selten kommt auch mal ein Deutscher, der sich die Fahne in den Garten hängen will." (Günter Malescha, Kioskbesitzer am Münchner Marienplatz)

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Gab es wirklich einen WM-Babyboom? "Der angebliche Babyboom ist ein Konstrukt der Medien. Bis jetzt gibt es keine verlässlichen Daten, mit denen man überprüfen könnte, ob es während der WM einen signifikanten Geburtenanstieg gegeben hat. Umfragen unter einer geringen Zahl von Standesämtern, wie sie einige Medien gemacht haben, sind jedenfalls nicht geeignet, dies zu beurteilen. Das ist Kaffeesatzleserei. Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Großereignis wie die WM dazu geführt hat, dass mehr Babys zur Welt kamen. So haben Wissenschaftler überprüft, ob es nach den großen Stromausfällen in den USA in den Jahren 1965 und 1989 tatsächlich einen Babyboom gab, wie die Medien berichtet hatten. In beiden Fällen hat sich das als falsch herausgestellt." (Ralf Ulrich, Institut für Bevölkerungs- und Gesundheitsforschung)

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Sind wir im Ausland beliebter geworden? Nach meiner Einschätzung hat kein Ereignis je das Deutschlandbild in Großbritannien so rasch, massiv und nachhaltig verbessert wie die WM. Unsere Botschaft hat nach der WM zahllose Anrufe, E-Mails und Briefe erhalten, in denen britische Fans uns mitteilen wollten: Wir wussten ja gar nicht, wie nett die Deutschen sind. Wir fahren auf jeden Fall wieder dorthin. Ich werde bis heute oft und begeistert auf die WM angesprochen. Und ich habe seit einem Jahr hier keinen Deutschlandartikel mehr in der Zeitung gelesen, über den ich mich ärgern musste. Ein Sportreporter einer großen britischen Boulevardzeitung erklärte mir sogar: Das Deutschen-Bashing ist jetzt bei uns in der Redaktion verpönt." (Wolfgang Ischinger, deutscher Botschafter in London)

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Was hat die WM für den Nachwuchs gebracht?,,Der Kinder- und Jugendfußball hat von der WM-Euphorie deutlich profitiert, zumindest an der Basis. Für die Saison nach der WM haben die Vereine 20 bis 30 Prozent mehr neue Spielerpässe ausgestellt als noch im Jahr davor. Allein beim Westdeutschen Fußball- und Leichtathletikverband waren es etwa 11500 mehr Neuzugänge, hauptsächlich bei den Fünf- bis Zehnjährigen. Und die Mädchen ließen sich von den männlichen WM-Idolen genauso mitreißen wie die Jungs. Einige Vereine sind durch den Mitgliederboom allerdings an ihre Leistungsgrenze gestoßen. Sie konnten den Ansturm kaum mehr bewältigen.'' (Bernd Barutta, Leiter der DFB-Jugendabteilung)

Bildquellen: dpa/ddp/Rolf Seyboldt

Protokolle: Wolf Schmidt

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