Süddeutsche Zeitung

Ein Anruf bei ...:Rüdiger von Nitzsch, Erfinder eines Entscheidungsnavis

Der Mensch muss ständig Entscheidungen treffen. Ein Hochschulprofessor hat nun ein Entscheidungsnavi erfunden. Hilft einem das wirklich?

Interview von Friederike Zoe Grasshoff

Gouda oder Emmentaler, London oder Bad Vilbel, Affäre oder Ehe? Ständig muss der Mensch kleine und größere Entscheidungen treffen. Zum Glück hat der Hochschulprofessor Rüdiger von Nitzsch nun ein Online-Entscheidungsnavi entwickelt.

SZ: Herr Nitzsch, kann eine Software wirklich helfen, wenn man nicht weiß, ob der Mann einer fürs Leben ist oder man sich im Beruf wie Falschgeld fühlt?

Rüdiger von Nitzsch: Das Entscheidungsnavi kann zumindest helfen, seine Gedanken ein bisschen zu ordnen. Entscheidungen werden häufig unreflektiert getroffen.

Intuition ist doch eine praktische Sache.

Stimmt. Aber die Menschen erliegen oft ihren intuitiven Entscheidungsmustern, fallen auf sich selbst herein oder reagieren über. Wenn man in der Zeitung gelesen hat, dass Fritten krebserregend sind, isst man in den nächsten Wochen vielleicht gar keine Fritten mehr - aber dafür Sachen, die noch ungesünder sind. Vernünftig ist das nicht, aber nachvollziehbar: Der Mensch kann die Komplexität der Umwelt nicht immer ganz erfassen und trifft vereinfachte Entscheidungen, um schnell zum Ergebnis zu kommen.

Überforderung also. Wie viele Entscheidungen muss ein Mensch am Tag treffen?

Das kann man schlecht messen. Es ist ja auch eine Entscheidung, wenn man die Hand hebt, um die Tür zu öffnen. Bauch- und Gewohnheitsentscheidungen machen 99 Prozent aus. Analytische Entscheidungen, bei denen abgewogen wird, sind relativ selten - und sehr anstrengend.

Ich habe Ihr Navi ausprobiert und nach anderthalb Stunden Ziele, Parameter, Handlungsalternativen und Prioritäten eingeben schließlich aufgegeben ...

Na, fünf bis sechs Stunden muss man schon investieren! Allein die Überlegung, welche Ziele und Werte wichtig sind für eine Entscheidung, dauert eine Stunde. Die Menschen sollen ja reflektieren und nicht irgendwas machen. Es geht schließlich nicht um Marmelade oder Käse aufs Brot, sondern: Welchen Beruf wähle ich, wo studiere ich, gründe ich eine Familie?

Manchmal grübelt man auch jahrelang.

Diese Gedankenfolter bringt einen gar nicht weiter. Weil man nicht genau analysiert, welche Konsequenzen die Entscheidung haben wird. Aufschreiben hilft! Menschen tun sich am schwersten, wenn sie noch nicht wissen, worauf es ankommt und wenn es eine große Unsicherheit gibt, was alles passieren könnte.

Wenn es aber um den Partner geht? Gefühle kann man doch schlecht fassen.

Seine Emotionen muss man ja bei jeder Entscheidung mitberücksichtigen. Die Messskalen in unserem Navi sind so flexibel, dass man auch solche Fragen beantworten kann. Man muss sich nur selbst klar darüber werden, welche Emotionen man bei bestimmten Handlungsalternativen haben wird, also: Geht es mir besser, wenn ich mich scheiden lasse - oder so schlecht wie vorher?

Bringen Sie irgendwann eine App raus, mit der das schneller und einfacher geht?

Nein, ich will ja genau das Gegenteil bewirken. Ich will, dass die Menschen wirklich nachdenken. Ich will Entschleunigung.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2017
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