Süddeutsche Zeitung

Ein Anruf bei ...:Alfio Borzì

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Der Mathematiker an der Uni Würzburg hat ein mathematisches Modell gegen Zusammenstöße entwickelt, wie sie in Fußgängerzonen und auf Spielfeldern vorkommen.

Interview von Thilo Adam

Das menschliche Miteinander ist voller Tücken. Der Marsch durch die Fußgängerzone etwa. Wirklich unfallfrei, also ohne Rempeln und Fast-Kollisionen, geht er an einem Samstag selten vonstatten. Alfio Borzì, Mathematikprofessor in Würzburg, hat das Problem mathematisch untersucht. Dabei half ihm die Erkenntnis: Alles ist ein Spiel.

SZ: Herr Borzì, stoßen Sie öfter mal mit anderen Menschen zusammen?

Alfio Borzì: Wenn mir beim Spazierengehen jemand entgegenkommt, tanzen wir manchmal ein bisschen. Das kennen Sie sicher selbst: Beide versuchen, in dieselbe Richtung auszuweichen, dann geht es hin und her.

Und dieses Problem haben Sie jetzt mathematisch gelöst?

Ich versuche eigentlich immer, was ich fühle oder erlebe, mathematisch zu beschreiben. Und ich hatte mich auch schon davor damit beschäftigt, wie sich Partikel oder Bakterien bewegen, wenn sie kollidieren. Als Nächstes habe ich mich dann gefragt, ob Ähnliches vielleicht auch für uns Menschen gilt.

Und?

Ich habe mit meiner Assoziation von einem Tänzchen begonnen. Und vom Tanzen ist es nicht mehr weit zum Spielen. Wir Mathematiker denken da sofort an die Spieltheorie von John F. Nash. Das klassische Beispiel geht so: Es gibt drei Männer und drei Frauen. Wenn alle Männer dieselbe Frau wollen, gehen mindestens vier Menschen leer aus. Das ist schade, denn eigentlich könnten alle sechs vergeben sein. Es geht um ein Gleichgewicht aus persönlichem Ziel und dem, was in der Situation möglich ist.

Und was hat das mit Fußgängern zu tun?

Angenommen, ich möchte im Supermarkt an ein bestimmtes Regal und jemand kommt mir entgegen, der zu einem Regal möchte, das hinter mir ist. Wenn wir beide auf unserem Kurs beharren, blockieren wir uns gegenseitig. Wenn aber jeder ein bisschen abweicht, erreichen wir beide unser Ziel.

Nachvollziehbar. Aber was macht man damit?

Als Mathematiker habe ich das riesige Glück, dass mich das nicht kümmern muss. Wir bringen nur menschliche Intuition in eine konkrete mathematische Formulierung. Aber die Methode hilft zum Beispiel beim autonomen Fahren. Solange ein Auto nicht weiß, was die anderen Autos machen, wird es zur Kollision kommen. Wenn sie aber vernetzt sind, wissen alle Autos im Verkehr: Ah, wir müssen abweichen. Die Autos lösen in diesem Moment also gemeinsam ein Spielproblem.

Wir Fußgänger sind aber nicht vernetzt.

Genau. Es gibt einen Unterschied zwischen sogenannten dynamischen Nash Games, bei denen man Informationen tauscht, und statischen Nash Games, bei denen man keine Ahnung hat, was der andere macht. Wie bei "Schere, Stein, Papier".

Es gibt auch ein mathematisches Modell für "Schere , Stein , Papier"?

Natürlich. Pro Spieler gibt es eine Gleichung. Sie enthält mehrere Parameter, die Ziel und mögliche Abweichungen von der ursprünglichen Verhaltensstrategie beschreiben. Die Berechnung ist kompliziert, aber mit Computern problemlos möglich. Selbst die Evolution wird heute mit der Spieltheorie beschrieben. Wie ich gerne sage: Das ganze Leben ist ein Spiel.

Kommt man damit auch schneller durch die Fußgängerzone?

Mathematisch ist alles möglich. Wenn ich dem Ziel eines einzelnen Spielers mehr Gewicht gebe, wird dieser Spieler wichtiger. Wenn Sie also spät dran sind, sagen Sie zu den anderen: Ich bin spät dran, bitte lassen Sie mich durch, mein Ziel ist wichtiger als Ihres! Sie machen es zu einem dynamischen Spiel. Das hat schon immer funktioniert, oder?

Wir müssen also einfach mehr kommunizieren, um Tänzchen in der Fußgängerzone zu vermeiden.

Ach, ich tanze eigentlich gern. Meine nächste Idee ist, echtes Tanzen in ein mathematisches Modell zu bringen. Man will sich ja möglichst nahe sein, aber auch nicht gegenseitig auf die Füße treten.

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Quelle:
SZ vom 11.10.2017
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