Süddeutsche Zeitung

Eigentum:Im Namen des Vaters

Der ehemalige Leipziger Zoodirektor Johannes Gebbing hat dem Tierpark in den 1930er- Jahren mehrere Skulpturen geliehen, sein Sohn fordert sie nun zurück. Doch die Stadt stellt auf stur. Will sie das Problem nur aussitzen?

Von Susanne Hermanski, Leipzig

Die Statuen sind von hohem symbolischen und auch finanziellen Wert für den Leipziger Zoo: zwei wütende Stiere samt ihrem Bändiger, eine Quellnymphe, eine schöne Badende und ein sich imposant verrenkender Sportler. Am kostbarsten dürfte die Jason-Gruppe des Bildhauers Walter Lenck sein, eine überlebensgroße Bronzeskulptur. Und auch "Der Athlet" des in Leipzig geborenen Künstlers Max Klinger, der als "der deutsche Rodin" gehandelt wird, würde auf dem Kunstmarkt wohl eine sechsstellige Summe erzielen. 71 Jahre nach Kriegsende erhebt nun Johannes Gebbing junior, Sohn des früheren Zoodirektors, Besitzansprüche auf die Kunstwerke.

1944 traf eine Bombe das Terrarium, in der Pleiße schwammen plötzlich Krokodile

Warum jetzt? Das erklärt Gebbing, 86, mit dem Tod seines Bruders, der sämtliche Akten des Vaters besessen hatte und erst vor einigen Monaten, mit über 90 Jahren, in Leipzig gestorben war. Aus diesen Unterlagen gehe hervor, dass einige der Kunstwerke, die sich bis heute im Zoo befinden, vom Vater privat erworben worden waren. Dass er sie, solange er im Zoo arbeitete, als Leihgabe an seinen Arbeitgeber, die Stadt Leipzig, verstand, deren Tiergarten er auf diese Weise "um einige zusätzliche Attraktionen bereichern" würde. Was sich in den Akten ebenfalls findet, sind Briefe des Vaters, in denen er bereits 1944 die Herausgabe dieser Leihgaben von den Nazis forderte. Denn die hatten ihn fristlos gekündigt - "nach einem Kesseltreiben, das man mit Aberwitz bestritt", schreibt der alte Gebbing 1957 in seinen Memoiren mit dem Titel "Ein Leben für Tiere". Er gewann den Arbeitsrechtsprozess, musste den Tiergarten einige Zeit später trotzdem verlassen. Sein Vertrag wurde nicht verlängert, nach 35 Jahren.

Johannes Gebbing senior war seit 1909 Direktor des Zoologischen Gartens in Leipzig und wohnte mit seiner Familie auf dem Gelände. "Der Tierpark war mein Abenteuerspielplatz", sagt sein Sohn Johannes Gebbing. "Auf einem Nashorn zu sitzen, war für mich so normal wie für andere Kinder das Ponyreiten."

Die vier Skulpturen, um die nun gestritten wird, führte Gebbing senior 1944 in seinen Briefen gegenüber der Stadt Leipzig dezidiert auf, und er wies darauf hin, dass sie als sein Eigentum auch aus dem Inventarverzeichnis des Zoologischen Gartens hervorgehen müssten. Das Ringen um sein Privateigentum - oder eine angemessene finanzielle Entschädigung dafür - fand allerdings seinerzeit schnell ein Ende. Weil es von existenziellen Fragen überdeckt wurde: "Nachdem eine Bombe das Aquarium und Terrarium zerstört hatte, schwammen in der Pleiße Krokodile und Schlangen. Und wir haben sie dann wieder eingefangen", erzählt Gebbing junior. Schließlich fiel die Ostfront, die Sowjets rückten näher. Über den Verbleib von tonnenschweren Bronzeplastiken - oder gar, wie man sie als Privatperson mit sich nehmen könnte - dachte lange Zeit niemand mehr nach. In den Jahrzehnten der DDR galten in Leipzig dann ohnehin andere Eigentumsgesetze. Im Zweifelsfall war alles schnell zum Volkseigentum erklärt.

Wie stehen die Chancen für Gebbing? Ein Sprecher der Stadt Leipzig erklärt, dass es "nach vorläufiger Recherche" keinen Hinweis darauf gebe, "dass der ehemalige Zoodirektor Herr Johannes Gebbing Eigentum an den Skulpturen erworben hätte". Die Stadt sehe "daher momentan keine Rechtsgrundlage", die die Herausgabeansprüche stützen würde.

Dass die Ansprüche verjährt sein könnten und die Stadt die Eigentumsrechte "ersessen" hat, wie Juristen sagen, schließt der Anwalt von Gebbing junior aus. Die DDR-Jahrzehnte könnten nicht angerechnet werden. Vertreten wird Gebbing durch Hannes Hartung, der in Kunstrechtskreisen bekannt ist: Er war der erste Anwalt von Cornelius Gurlitt nach der Beschlagnahme von dessen Bildern. "Es ist meines Erachtens unglaublich, wie die öffentliche Hand hier mit Privateigentum umgeht", sagt er. "Sie ignoriert sogar die Eigentumsnachweise und Bescheinigungen von Personen, die damals an den Privatmann Gebbing verkauft haben. Gleichzeitig weist sie aber selbst den Erwerb von ihrer Seite nicht nach."

Gebbing jr. hat ein ereignisreiches Leben hinter sich. Er lebte nach dem Krieg im Westen, doch die Liebe zu den Tieren ließ ihn nie los. Er war eng befreundet mit Zoodirektor, Tierfilmer und Fernsehmoderator Bernhard Grzimek; die beiden reisten bis in die Antarktis zusammen. Zehn Jahre lang unterhielt Gebbing jr. einen privaten Zoo, in dem ihn Freunde wie Harald Juhnke, Götz George und Gunther Philipp besuchten. Heute wohnt er nahe Frankfurt und arbeitet immer noch in seinem Import-Handel für afrikanisches Kunsthandwerk.

"Ich habe versucht, die Angelegenheit gütlich zu regeln, es geht mir ja um mein Recht und nicht darum, die Skulpturen aus dem Tiergarten zu nehmen", sagt Gebbing, der nach dem Ende der DDR regelmäßig den Leipziger Zoo besuchte. Erst seit er Ansprüche angemeldet habe, verhielten sich die Verantwortlichen "feindselig". Gesprächstermine, zu denen er eigens angereist war, hätten die Verantwortlichen ohne echte Begründung abgesagt. Er ist der Letzte seiner Familie, und er ist sich sicher: "Ich bin 86, die Stadt Leipzig spielt auf Zeit."

Was er mit Jason, dem Athleten, der Badenden und der Nymphe anfangen würde, wenn er sie auf juristischem Wege zugesprochen bekäme? "Ich habe einen großen Garten, andere würden es wohl einen Park nennen. Da könnten sie stehen. Und öffentlich zugänglich machen könnte ich sie für Besucher auch."

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SZ vom 28.12.2016
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