Süddeutsche Zeitung

Effenberg in Ostwestfalen:Gott erschuf in seinem Zorn: Bielefeld und Paderborn

Was Stefan Effenberg erwartet, wenn er nach Paderborn zieht.

Von Hans von der Hagen und Kristiana Ludwig

Es gibt Sätze, an die man sich noch lange erinnert. Weil sie so dermaßen gelogen waren, dass man nur noch ächzen kann. Zum Beispiel als Helmut Kohl sagte, wegen der deutschen Einheit müssten nie die Steuern erhöht werden. Oder als Argentiniens früherer Meisterfußballer behauptete, ein fälschlich zuerkanntes Tor bei der Fußball WM 1986 sei Folge einer Kombination von seinem Kopf und Gottes Hand.

Als Stefan Effenberg am vergangenen Dienstag über Paderborn sprach, genauer: über seinen neuen Job, sagte er: "Das ist einfach nur geil." Ob sich dieser Satz später einmal zu den großen Lügen oder aber zu den erstaunlichen Wahrheiten reihen wird, kann heute unmöglich beurteilt werden. Immerhin lässt sich aber feststellen, dass der deutsche Fußball regelrecht durchsetzt ist mit Trainern aus Paderborn: André Breitenreiter, derzeit Trainer bei Schalke, war zuvor in Paderborn. Genauso wie wie Roger Schmidt, der von Paderborn über den Umweg Salzburg zu Bayer Leverkusen kam.

Aus der Münchner Ferne tun sich viele Leute leicht, bedenkenlos über Paderborn zu richten ("Wie, die haben eine Uni?"). Dummerweise finden auch die Ostwestfalen in unmittelbarer Nachbarschaft kaum ein freundliches Wort über diese Stadt. Dröge. Schwarz. Autokennzeichen: PB, das chemische Elementsymbol für Blei.

Ruhige Gangart

Jeder kennt entsetzliche Geschichten aus Paderborn. Zum Beispiel die über den Basketball Zweitligisten Finke Baskets. Die sollte auch Effenberg kennen. Die Finke Baskets mussten vor wenigen Monaten die 2. Bundesliga verlassen, weil ein Spiel gegen Chemnitz nicht rechtzeitig begann. Der Grund: Die Anzeigetafel war mit einem herkömmlichen Rechner verknüpft - und weil auf dem gerade ein Windows-Update lief, gelang es nicht, die Anzeige einzurichten und das Spiel zu starten. Maximal 15 Minuten Verzögerung sind zulässig, Paderborn brauchte leider 25 Minuten. Drei Punkte Abzug, die den Abstieg perfekt machten, obwohl das Spiel später noch gewonnen wurde. Erst nach Wochen des Bangens und einem Berufungsverfahren gelang es, den Zwangsabstieg abzuwenden. So ist das bei den Paderbornern.

Die knapp 150.000 Einwohner mitsamt der 20.000 Studenten sind auch jenseits des Sports eher eine ruhige Gangart gewohnt. Kulturell bietet ihnen Paderborn vor allem den Katholizismus. Touristenmagnet ist ein Kirchenfenster, in das drei Hasen gemeißelt wurden. Jährliche Großereignis: Das feierliche Umhertragen der sterblichen Überreste eines Mannes, der Liborius hieß und ein Heiliger war. Sein Schrein ist aus Gold, anschließend ist Kirmes, gesprochen: Kiames.

Der Rest ist dank Herrn Nixdorf Wissenschaft. Nur hier konnte der mathematische Beweis der Catalanschen Vermutung gelingen.

Geist, Technik und Tradition führen eben ein übermütiges Nebeneinander. Würden die Paderborner Trachten dulden - keine andere Stadt dürfte mit so viel Berechtigung von Laptop und Lederhosen reden. So aber gilt: Laptop und Wollpulli.

Aber da Effenbergs Frau aus dem nahegelegenen Sauerland stammt, dürfte ihn der zuweilen mühsame Umgang mit der wollpullihaften Mentalität kaum vor Probleme stellen.

Andererseits, und da lohnt auch kein drumherumreden: Die Stadt ist zu 100 Prozent glamourfrei. Klar: In der zweiten Liga spielt das noch keine Rolle. Aber jemand wie Effe, für den Münchner Schick Alltag ist, wird sich erst daran gewöhnen müssen.

In Paderborn könnte es ihn in die Diskothek Residenz ziehen. Das Resi war früher mal ein Kino. Heute spielt es ziemlich allein in der Liga der gehobenen Nachtclubs.

Die Großraumdisse Ox brannte vor sechs Jahren ab. Seitdem feiern Paderborner einmal im Jahr eine Gedenkparty im Bürgerhaus des nahegelegenen Schloss Neuhaus oder in einem Club im Nachbarort Lippstadt. Immerhin: Es fährt ein Partybus ins Umland. Ob Effenberg ihn einmal besteigen wird, mag auch davon abhängen, wie schnell er sich an die Herausforderungen des Paderborner Nachtlebens gewöhnt. Die vielen mittelständischen Industriellen im Raum Westfalen-Lippe tun sich damit schwer, weswegen sie am Wochenende scharenweise nach Sylt, München oder London fliehen.

Eine Stadt für die, die wissen, was sie wollen

Wohin auch sonst? Der Sauerländer Ski-Berg Kahler Asten verhält sich zum Münchner Hausberg Brauneck wie das Brauneck zu Zermatt. Und verglichen mit der Pader, dem kürzesten Fluss Deutschlands, ist die Isar der Nil.

Die Wut über Niederlagen kann also nur mit Korn erledigt oder im Schwimmbad weggekrault werden. Die Paderborner lieben die Schwimmhalle mit dem eindrucksvollen 50-Meter-Becken so sehr, dass sie sie Oper nennen. Es ist die einzige Oper in Paderborn.

Flucht kann also für Effenberg zum Thema werden. Darum: Hat Paderborn einen Flughafen? Die Antwortet lautet: schon. Er hat zwar nicht das lässige Münchner Format und Paderborn teilt ihn sich mit Lippstadt. Aber angesichts der in Paderborn zu leistenden zeitfordernden Aufbauarbeit im Fußball dürfte das zunächst reichen.

Paderborns intellektuell-geistliches Aushängeschild, der Theologe Eugen Drewermann, soll vor Jahren im Interview gesagt haben: "Paderborn ist die richtige Stadt für jemanden, der weiß, was er will." Ob Effenberg immer weiß, was er will, ist unklar. Aber jetzt wollte ihn Paderborn und er wollte die Stadt. Die beiden könnten also nach Drewermann ein Traumpaar werden.

Wie geil wäre das denn.

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