Eduard Reisch aus Bayern:Lizenz zum Sprengen

Vorbereitungen Sprengung AfE-Turm

Sprengmeister Eduard Reisch erklärt den Ablauf der Sprengung.

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Noch nie zuvor wurde in Europa ein so hohes Gebäude gesprengt wie der AfE-Turm in Frankfurt. Der Mann, der die 950 Kilogramm Sprengstoff am Sonntag zünden wird, kommt aus einem kleinen bayerischen Dorf und trägt den Spitznamen "Krater-Edi".

Von Jana Stegemann, Frankfurt am Main

An sein erstes Mal erinnert sich Eduard Reisch, als wäre es gestern gewesen - auch wenn das fast 30 Jahre her ist. Der Stolz ist deutlich zu hören, wenn er von dem Tag im Allgäu erzählt. Dem Tag seiner ersten Sprengung. "Es war ein großer Felsbrocken, ein Findling mit etwa fünf Kubikmetern. Er lag zwischen zwei Hotelanlagen", sagt Reisch im herzhaften Bairisch, "das war nicht ungefährlich." Doch sein Ausbilder vertraute ihm. Nach stundenlangen Berechnungen und Messungen sprengte der junge Reisch den Felsen. Der Stein brach sauber genau in der Mitte durch.

Seit diesem Tag im Allgäu, an dem Reisch das Fundament für seine spätere Karriere legte, sind drei Jahrzehnte vergangen. Der Mann, der schon als Fünfjähriger fasziniert von Feuerwerkskörpern war und von klein an alles über Sprengungen in sich aufsog, sagt: "Aus meiner Sprengberechtigung ist eine Leidenschaft geworden." Mittlerweile zählt der 52-Jährige zu den erfahrensten Sprengmeistern Deutschlands. Er hat schon Gebäude auf der ganzen Welt gesprengt, gilt als Experte für Unterwassersprengungen. Seine Firma hat ihren Sitz in Apfeldorf, etwa 90 Kilometer von München entfernt.

Als "Krater-Edi" sorgte Reisch 1995 schon einmal bundesweit für Aufsehen. Halb Deutschland glaubte an einen Meteoriten-Einschlag in der Nähe des Klosters Andechs, Polizei und Feuerwehr waren auf dem Weg zu einem Großeinsatz. In Wirklichkeit hatte Reisch nur für einen befreundeten Bauern einen drei Meter tiefen Krater in den Boden gesprengt. "Zur Schaffung eines neuen Biotops", lautete die Begründung von Reisch; die Erlaubnis für die Sprengung hatte er.

"Niemals hundertprozentige Sicherheit"

Reisch wird am morgigen Sonntag um Punkt zehn Uhr den 116 Meter hohen, knapp 40-stöckigen AfE-Turm an der Robert-Mayer-Straße in Frankfurt zum Einsturz bringen - und damit Geschichte schreiben. Noch nie wurde in Europa ein so hohes und 50 000 Tonnen schweres Gebäude in die Luft gejagt, vor allem mitten in einer Großstadt. In unmittelbarer Nachbarschaft stehen Wohnhäuser, ein Hotelturm mit Glasfassade, ein Labor, das Senckenberg-Museum und zahlreiche andere denkmalgeschützte Gebäude. Nur knapp 50 Meter entfernt verlaufen zudem zwei U-Bahn-Röhren.

Reisch ist sich der Gefährlichkeit seines millionenschweren Auftrages bewusst. "Bei dem was wir tun, gibt es niemals hundertprozentige Sicherheit. Aber es gibt Wahrscheinlichkeiten. Und bei diesem Gebäude liegt sie bei über 99 Prozent, dass alles so läuft, wie geplant." Das heißt, dass noch nicht mal ein Reagenzglas im Labor zerbricht oder eine Vase im Marriott-Hotel umfällt, wenn es alles so läuft, wie Reisch es plant. Die gesamte Aktion ist mit 32 Millionen Euro versichert.

Sicherheitsdienst bewacht Afe-Turm

Sprengmeister Eduard Reisch

Reisch zeigt auf einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main den Dummy eines Zünders, mit dem er und sein Team den AfE-Turm sprengen werden.

(Foto: dpa)

Etwa ein Jahr hat er zusammen mit seinem Team die Sprengung vorbereitet. Die Planung begann mit einer Machbarkeitsstudie und detaillierten Berechnungen. Im Januar begannen dann die praktischen Vorbereitungen. 950 Kilogramm eines extrem starken Sprengstoffes (Nitropenta) wurden auf sechs Etagen in 1400 Bohrlöchern an den Stützpfeilern eingebracht. Je nach Lage des Pfeilers wurden 400 Gramm bis 1,2 Kilo in ein Bohrloch gesteckt. Jedes einzelne Bohrloch hat Reisch persönlich kontrolliert.

Seitdem ist das Gebäude ein Hochsicherheitstrakt und wird rund um die Uhr von Beamten des Landeskriminalamtes und des Spezialeinsatzkommandos der Polizei sowie von einem bewaffneten Sicherheitsdienst bewacht. Nicht auszudenken, wenn jemand Falsches sich dort Zutritt verschaffen würde.

25 Sprengberechtigte und zehn Helfer werden Reisch am Sonntag bei der Sprengung unterstützten. Die Bundeswehr schickt zusätzlich zehn Soldaten als Fortbildungsmaßnahme nach Frankfurt; sie sollen Reisch beobachten und von ihm lernen. Insgesamt werden mehrere hundert Einsatzkräfte von Polizei und Technischem Hilfswerk (THW) vor Ort sein, sowie Dutzende Sanitäter. 40 000 Schaulustige aus Frankfurt und der Umgebung werden erwartet. Reisch weiß sogar von Sprengtouristen aus Belgien.

Tragisches Unglück in Hamburg

Uni-Turm Frankfurt

Der AfE-Turm der Goethe-Universität in Frankfurt am Main wird am Sonntag gesprengt.

(Foto: dpa)

Wie geht einer wie er mit einem solchen öffentlichen und auch persönlichen Druck um? "Innere Ruhe und Selbstvertrauen sind das wichtigste. Dann die persönliche Erfahrung. Die gewinnt man über die verschiedensten Sprengungen und regelmäßige Fortbildungen. Die Sicherheit der Menschen steht für mich an erster Stelle. Erst, wenn ich hundertprozentig sicher bin, dass sich niemand mehr in der Gefahrenzone im Radius von 250 Meter um den Turm herum befindet, werde ich die finale Sprengung einleiten. Aber der soziale Stress ist da, natürlich."

Im Februar 2008 sprengte Reisch das 52-Meter hohe Agfa-Gebäude am Mittleren Ring in München. Es wies eine ähnliche Struktur auf wie der AfE-Turm. Damals klappte alles wie am Schnürchen. Weltweit erstmals sei dabei die Sprengung eines Gebäudes mit elektronischen Zündern per Funkzündung ausgelöst worden, schreibt Reisch auf seiner Webseite. Auch den 150 Meter hohen Kamin der Südzucker-Fabrik in Regensburg ließ er lehrbuchmäßig 2009 einstürzen, ebenso eine 700 Meter lange Autobahnbrücke.

"Einen besseren Mann kann man nicht finden"

In seiner 28-jährigen Karriere passierte jedoch im Jahr 2000 ein tragisches Unglück.

Zwei befreundete Mitarbeiter des Sprengmeisters kamen ums Leben, als das Kesselhaus eines Heizkraftwerks in Hamburg umstürzte und auf sie fiel - noch bevor es wie geplant gesprengt werden sollte. Das Landgericht Hamburg verurteilte Reisch aufgrund dieses Vorfalls 2003 wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr Haft auf Bewährung, dazu verlor er für vier Jahre seine Sprengerlaubnis, Begründung: Reisch sei "in Krisensituationen nicht belastbar". Der Sprengmeister war von der Unfallstelle in Hamburg im Schock davongelaufen und erst am nächsten Tag wieder aufgetaucht. Die Bild-Zeitung hatte vor einigen Tagen eine Diskussion um die Eingnung des Sprengmeisters angestoßen. Frank Junker, Chef der städtischen Wohnungsbauholding ABG, dem Auftraggeber der Sprengung, sagte über Reisch: "Einen besseren Mann kann man nicht finden."

Eigentlich hätte Reisch die Sprenung vom Dach des Marriott-Hotels zünden sollen, doch die Verhandlungen mit dem Eigentümer des Hotels, der RFR-Holding, scheiterten. Dem Vernehmen nach soll RFR unangemessen hohe Geldbeträge als "pauschale Aufwandsentschädigung" verlangt haben. Die Rede ist von etwa 20.000 Euro.

Nun wird Reisch die Sprengung von der Straße aus einleiten. Per elektronischer Funkfernzündung. "Von oben hätten wir die bessere Aussicht, aber unten gibt es auch kein Problem", sagte Frank Junker. Zunächst einmal sollen die Außenwände des Turms, das Skelett, fallen. Dreieinhalb Sekunden später wird die zweite Sprengung das Innere des Gebäudes zu Fall bringen. "Wie zwei Böllerschüsse" wird sich das für die Schaulustigen anhören, beschreibt Reisch.

Nur eines könnte ihm noch einen Strich durch die Rechnung machen: das Wetter. Sollte er keine klare Sicht auf den Turm haben, wird er die Sprengung nicht durchführen. "Ich gehe kein Risiko ein", sagt Reisch. Aktuell regnet es in Frankfurt.

Die Sprengung können Sie am Sonntag live ab 8.30 Uhr auf Süddeutsche.de verfolgen.

Mit Material von dpa

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