Süddeutsche Zeitung

Edeka-Werbeträger Friedrich Liechtenstein:Supergeile Alge

Als "Kinky King" gehört Lebenskünstler Friedrich Liechtenstein zu den Berliner Lokalgrößen. Der Auftritt im Edeka-Werbefilm hat ihn weltweit bekannt gemacht. Seinen Erfolg erklärt er mit einem Pflanzenbild.

Von Michaela Vieser

Das Haus in der Berliner Linienstraße 40 ragt wie ein gezacktes, schwarzes Raumschiff in die Kreuzung Rosa-Luxemburg-Platz hinein. Ganz oben im Gebäude gibt es eine Wohnung, die eigentlich nicht bewohnbar ist. Sie besteht aus mehr Terrassen als Wohnraum, es gibt keine Küche, dafür viele Treppen. Die Aussicht aber ist phantastisch. Man fühlt sich hier oben frei, erhaben und fern von der Welt. Der Architekt Roger Bundschuh hat sich diesen Luxus ausgedacht, als Klause für einen modernen "Schmuck-Eremiten", und endlich lebt so einer jetzt hier. Er heißt Friedrich Liechtenstein - der Mann aus der Edeka-Werbung, die inzwischen wohl das halbe Land im Netz gesehen hat.

Ein Schmuck-Eremit oder "ornamental hermit" war eine bizarre Erfindung des englischen Adels im ausgehenden 18. Jahrhundert. Die Lords und Ladies lustwandelten damals in ihren Parks und dachten sich, wie schmuck es doch wäre, darin echte Eremiten anzutreffen - also wurden entsprechende Stellen geschaffen. Die Schriftstellerin Edith Sitwell porträtierte ein paar der professionellen Sonderlinge in ihrem 1933 erschienenen Klassiker "Englische Exzentriker". Es gab sogar Zeitungsartikel, die freie Stellen bewarben oder bestimmte Schmuck-Eremiten vorstellten.

Friedrich Liechtenstein, Jahrgang 1956, bezeichnet sich selbst als Schmuck-Eremiten, und er lebt nach eigenen Angaben gut damit. Liechtenstein hat keinen Besitz, kaum Geld, nicht einmal ein Handy, schon gar keinen Computer. Und doch trifft man ihn nur mit perfekt gestutztem Bart und Anzug an. Wie in dem Werbefilmchen, das inzwischen auch in den USA ein großes Echo ausgelöst hat. Das Fachblatt Adweek feierte den Dreiminuten-Clip als "den verrücktesten Supermarkt-Spot der Welt". Darin sieht man Liechtenstein zu einem schleppenden Elektropop-Beat minutenlang verschiedene Produkte der deutschen Supermarktkette anpreisen. Mal badet er in Milch, mal schnuppert er an Bockwürsten als wären es feine Zigarren. Dazu singt er: "Supersüß, supersexy, supereasy, supergeil . . ."

Ein besitzloser Werbeträger

Als Kunstfigur gibt es Friedrich Liechtenstein seit 2003. Davor war er jemand anderes, hieß Hans-Holger Friedrich und fand andere Dinge interessant. Er hat Theater gespielt, mal als Schauspieler, mal mit Puppen, er hat "Mittagsschlafsalons" angeboten und nebenher vier Kinder großgezogen. Aber all das, sein alter Name und sein altes Leben, interessiert ihn heute nicht mehr, sagt er. Liechtenstein will nur noch Liechtenstein sein. Die Kunstfigur. Der tanzende und singende Schmuck-Eremit der Berliner Gesellschaft. Einer, der tagsüber durch die Straßen flaniert und nachts als melancholisch distanzierter Gast auf Partys auftaucht. Zwei Musikalben hat Liechtenstein produziert, sein drittes Album soll im März erscheinen. Es trägt den Titel "Bad Gastein", wie der einst mondäne, dann vergessene und vor wenigen Jahren von ein paar Hipstern wiederentdeckte Skiort in Österreich.

"Wie weit ich so schon gehen konnte, verwundert mich selbst", sagt Liechtenstein beim Gespräch. "Das ist ein gutes Zeichen für eine Gesellschaft oder eine Stadt wie Berlin, dass sie das zulassen." Die Räume, in denen er lebt, dienen eigentlich als Showroom für eine Brillenfirma. Ab und zu kommen Kunden vorbei, doch die meiste Zeit steht die Bude leer. Der besitzlose Werbeträger hinterlässt ebenfalls keine Spuren, nirgendwo liegen persönlichen Gegenstände herum. Wer vorbeikommt, würde nicht erraten, dass hier jemand wohnt.

Seinen Erfolg erklärt Liechtenstein mit einem Pflanzenbild: der Alge. "Die Zeit der Eiche ist vorbei", sagt er. "Die Alge ist ein besserer Guide durchs moderne Leben als ein Baum. Sie ist unscharf, verwandelbar und geht Symbiosen ein. Ich verwende sie immer als Konstrukt, um plaudern zu können, die verborgene Grundstruktur für mein nach außen chaotisches Leben."

Liechtenstein sagt, dass er schon früh Leute unterhalten wollte. Als Kind in Stalinstadt (heute Eisenhüttenstadt) habe er seine Tante imitiert und dafür Lob von den Eltern erhalten. Später habe er sich dann Verschiedenes abgekupfert. So war er in den 70er Jahren mal in der Nähe von Dresden bei einer internationalen Tanzshow. Da wurden auch afrikanische Tänze dargeboten, und die Art, aus der Brust heraus mit dem Rhythmus zu gehen, begeisterte ihn. Man sieht die Technik auch in seinem Supermarkt-Spot, wenn er mit angewinkelten Armen zwischen den Regalen herumtanzt.

Eine andere Rolle, die sie in Berlin besonders lieben, ist die des Entertainers, den Friedrich Liechtenstein auf verschiedenen Bühnen spielt. Liechtensteins Shows sind manchmal großartig und manchmal furchtbar peinlich. Man weiß es vorher nie. Den Künstler kümmert das wenig. "Wenn Du eine Scheiß-Show von mir siehst, dann ist das keine Scheiß- Show, sondern ein sehr genauer Film von einer Scheiß-Show", erklärt er. Liechtenstein nimmt seine Zuschauer nicht an die Hand, wie es gerne heißt. Am Anfang einer Show vielleicht, doch dann lässt er sein Publikum fallen. Entweder man folgt ihm in sein eigenartiges Privatkönigreich, in dem Liechtenstein als "Dolphin Man", "Kinky King" oder "Elevator Man" auftritt und mal nach Bad Gastein und mal zum Atomium in Brüssel reist. Oder man lässt es.

"Ich bin keiner, der die Leute sicher am Nasenring durch die Songs führt", sagt er. "Wenn Sie mir aber mit Ihrem Bauchgefühl folgen, kann ich Ihnen alles erklären. So ist es mit der Kunst. Entweder es vermittelt sich, oder nicht." Mit Worten erklären könne man das alles nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1901097
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.02.2014/ahem
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.