Gewalt in Ecuador:Massaker im Hochsicherheitstrakt

Deadly Ecuador prison riot, in Guayaquil

Angehörige bangen um ihre inhaftierten Familienmitglieder in Ecuadors größter Stadt Guayaquil.

(Foto: VICENTE GAIBOR DEL PINO/REUTERS)

Explosionen und Enthauptete: Bei einem Gefängnisaufstand in Ecuador werden mehr als 100 Insassen getötet. Das Land ist schockiert über die Gewalt - aber auch über die zunehmende Macht der Drogengangs.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Erst langsam wird das Ausmaß des Grauens bei einem Gefängnisaufstand in Ecuador erkennbar: Schon am Dienstag gegen 9.30 Uhr Ortszeit waren Kämpfe ausgebrochen in einem Hochsicherheitstrakt der Penitenciaría del Litoral, einer Haftanstalt im Großraum der ecuadorianischen Hafenstadt Guayaquil. Schüsse krachten, es gab Explosionen. Erst nach Stunden schafften es schwer bewaffnete Polizisten, in den Bereich vorzudringen, in dem die Gewalt begonnen hatte.

Noch am Dienstagabend erklärte dann Fausto Buenaño von der Polizei in Guayaquil, man habe mehrere Tote in dem Gefängnistrakt gefunden, mindestens fünf von ihnen seien enthauptet worden. Das allerdings war nur ein kleiner Vorgeschmack auf den Horror, der noch kommen sollte.

Mittlerweile ist klar, dass der Aufstand im Gefängnis von Guayaquil der schlimmste war, den es in der Geschichte Ecuadors je gegeben hat. "Wir bergen noch die Toten", sagte am Mittwochnachmittag der eben erst neu ernannte Direktor der nationalen Gefängnisverwaltung, Bolívar Garzón. Wie viele Opfer es genau seien, wisse man noch immer nicht: "Schon jetzt sind es mehr als 100."

Zu viele Häftlinge in maroden Zellen

Ecuador ist geschockt von der Gewalt, zeigt sie doch, wie marode das Gefängnissystem des Landes ist - und wie wenig Kontrolle der Staat eigentlich noch hat über seine Haftanstalten.

Schon vor dem Gewaltausbruch am Dienstag hatten Menschenrechtsorganisationen teils unmenschliche Bedingungen angeprangert. Viel zu viele Häftlinge säßen in viel zu vollen und oft maroden Zellen. Wachpersonal gebe es oftmals zu wenig, dazu seien die Aufseher oft nur unzureichend ausgebildet.

Ähnliche traurige Konditionen findet man in vielen Ländern Lateinamerikas. Inmitten von Wirtschaftskrisen und steigender Gewalt haben die Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch Geld in das Justizsystem gesteckt. Mit schicken neuen Knästen kann man in Lateinamerika bei Wahlkämpfen keine Stimmen holen.

Blutiger Machtkampf der Gangs

Längst nutzen Gangs und kriminelle Gruppen diese Situation für sich: Sie haben die Kontrolle über die Gefängnisse übernommen. Aus ihren Zellen heraus steuern die Bosse ihre Geschäfte, auf den Gängen und Höfen werden immer neue Mitglieder rekrutiert. Und wenn es an einem nicht mangelt in lateinamerikanischen Gefängnissen, dann sind es neue Insassen.

Immer wieder kommt es zwischen den Gangs und Gruppen zu blutigem Streit darüber, wer welche Anstalt und welchen Trakt beherrscht. In Brasilien nehmen die Auseinandersetzungen schon seit Jahren die Ausmaße wahrer Massaker an. Gangmitglieder metzeln ihre Kontrahenten nieder, verstümmeln sie und hängen Leichenteile an die Zäune. Auch in Peru, Venezuela oder Argentinien bricht immer wieder Gewalt aus. In Ecuador war die Lage lange vergleichsweise ruhig. Seit ein paar Jahren aber ändert sich dies.

Ecuador liegt eingeklemmt zwischen Peru und Kolumbien, zwei der größten Koka-Produzenten der Region. Längst läuft der weltweite Drogenschmuggel auch über ecuadorianische Häfen, Gangs streiten sich um lukrative Routen und die Macht im Markt.

Die Kämpfe werden dabei nicht nur auf der Straße ausgetragen, sondern eben zunehmend auch in Gefängnissen. Schon im Februar dieses Jahres waren am gleichen Tag scheinbar koordinierte Aufstände in drei verschiedenen Haftanstalten in Ecuador ausgebrochen. Bilder von abgehackten Köpfen und Gliedmaßen gelangten damals ins Netz, fast 80 Menschen starben.

Im Juli war es dann abermals zu einem Gewaltausbruch gekommen, wieder starben mehr als ein Dutzend Gefangene. Die aktuellen Kämpfe aber sind bisher beispiellos. Zu den mehr als 100 Toten kommen noch mindestens 80 Verwundete, allesamt Insassen der Anstalt.

Präsident verhängt Ausnahmezustand

Ecuadors Präsident Guillermo Lasso sagte, es sei "höchst bedauerlich, dass Gefängnisse von Banden für ihre Machtkämpfe missbraucht werden". Mittlerweile hat das Staatsoberhaupt den Ausnahmezustand über die Haftzentren des Landes verhängt. Das Militär übernimmt somit die Kontrolle, Insassen dürfen ihre Zellen nicht mehr verlassen und können nur begrenzt Kontakt zur Außenwelt aufnehmen.

Ecuador prison riot, in Guayaquil

Das Militär hat die Kontrolle über die ecuadorianischen Haftzentren übernommen.

(Foto: VICENTE GAIBOR DEL PINO/REUTERS)

Man werde mit "absoluter Entschlossenheit" die Kontrolle über das Gefängnis in Guayaquil zurückerlangen, sagte Präsident Lasso. Ebenso werde man verhindern, dass sich ähnliche Szenen in anderen Haftanstalten in Ecuador wiederholen.

Vor der Penitenciaría del Litoral sind mittlerweile Soldaten postiert. Gleichzeitig zeigen lokale Medien verzweifelte Familienmitglieder, die vor der Anstalt auf Informationen warten über ihre inhaftierten Angehörigen.

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