E-Mail verbreitet Fatwa gegen Musiker:Im Namen der Unbarmherzigen

Etliche in Deutschland lebende Iraner haben kürzlich eine E-Mail zugeschickt bekommen. Im "Namen Gottes des Barmherzigen" wird darin auf das Urteil wegen Ketzerei gegen den Musiker Shahin Najafi aufmerksam gemacht. Das vermeintlich harmlose Info-Schreiben kann für den Exil-Iraner lebensgefährlich werden. Stammt der Absender aus diplomatischen Kreisen?

Daniel Brössler, Klaus Ott und Marc Felix Serrao

Shahin Najafi hält sich versteckt, irgendwo in Deutschland, wo er seit 2005 im Exil lebt. Der iranische Musiker, den Geistliche aus seiner Heimat in einer Fatwa - einem islamischen Rechtsgutachten - als Ketzer verurteilen, fürchtet um sein Leben.

E-Mail verbreitet Fatwa gegen Musiker: Hält sich an einem unbekannten Ort in Deutschland versteckt: der iranische Musiker Shahin Najafi.

Hält sich an einem unbekannten Ort in Deutschland versteckt: der iranische Musiker Shahin Najafi.

(Foto: AP)

Dazu hat der 31-Jährige wohl allen Grund, seitdem er Anfang Mai ein Lied veröffentlicht hat, den Rap-Song "Naghi", von dem sich einige ranghohe schiitische Gläubige beleidigt fühlen. Mehrere Religionswächter in Iran haben inzwischen deshalb eine Fatwa verkündet. Und bestimmte Kreise in Deutschland tragen eifrig dazu bei, diese Verdammnis zu verbreiten. Es stellt sich nun die Frage: Sind darunter auch Diplomaten der Islamischen Republik, die ihr Land in der Bundesrepublik vertreten?

Etliche Leute, die aus Iran stammen und in Deutschland leben, haben kürzlich eine ganz besondere E-Mail zugeschickt bekommen. Ausgerechnet im "Namen Gottes des Barmherzigen" wird darin auf das Urteil wegen Ketzerei gegen Najafi aufmerksam gemacht. Von einer "Beleidigung der Heiligkeiten des schiitischen Glaubens" ist die Rede. Der Musiker wird wörtlich als "Verdammter" bezeichnet.

Systematische Verbreitung aus dem Konsulat heraus?

Einer der Empfänger sagt, er habe diese E-Mail von einem Angestellten des iranischen Generalkonsulats in München erhalten. Der Name des Absenders steht in der Mail, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Es handelt sich um eine zuvor über Tage hinweg mehrmals weitergeleitete Mail, was zu der Annahme führt, dass dieser elektronische Brief systematisch an zahlreiche in Deutschland lebende Iraner gesendet wurde. Von Konsulats-Mitarbeitern, die dienstlich Zugriff auf Adressen haben?

Die iranische Botschaft in Berlin erklärt, von ihr und von den Generalkonsulaten seien solche Mails nicht verschickt worden. Das dementiere man "auf das schärfste". Könnte es aber sein, dass Konsulats-Angestellte ihr Wissen und ihre Kontakte für solche Aktionen nutzen?

"Es kann sein, dass jemand die Möglichkeit hatte, die Adressen zu bekommen", sagte der Pressesprecher der Botschaft. "Es kann aber auch etwas anderes sein." Der Sprecher beteuert, offiziell sei so etwas nicht geschehen. Man habe auch nie die Absicht gehabt, "so etwas zu versenden". Der Botschafter sei "aus dem Häuschen" wegen dieses Verdachts, den man ausdrücklich zurückweise. "Wir halten uns an die Gesetze."

Najafis Manager Shahryar Ahadi ist entsetzt, als er am Donnerstag durch die SZ von dieser Mail erfährt. Ahadi sagt, in den vergangenen Tagen habe sich die Lage weiter zugespitzt. Es gebe inzwischen fünf Fatwas aus Iran gegen den Musiker. Najafi befinde sich an einem geheimen Ort in Deutschland und stehe unter Polizeischutz.

Es gehe ihm "den Umständen entsprechend, mal besser, mal schlechter", sagt sein Manager. Je nachdem, wie viele Morddrohungen per E-Mail gerade ankämen. Mal seien es nur zwei oder drei am Tag, mal zehn. Mal auf Englisch: "We will kill you." Mal auf Persisch, und dann lautet der Text übersetzt: "Wir werden dich finden, wir haben Kontakte."

"Wie im Mittelalter, wenn jemand für vogelfrei erklärt wurde"

In Deutschland lebende Iraner, die das Regime in Teheran ablehnen, halten die Attacken auf Najafi für gesteuert. Sie verweisen auf entsprechende Seiten im Internet und sprechen von einer "Hetzjagd". Einige dieser Seiten seien von dem Betreiber der betreffenden Internet-Plattform glücklicherweise gelöscht worden. Bleibt aber noch die besagte Mail, die seit einigen Tagen auch der Münchner Staatsanwaltschaft vorliegt.

Die Strafverfolger sehen nach einer ersten, vorläufigen Einschätzung keine Möglichkeit, aktiv zu werden. Der Inhalt ist nach deutschem Rechtsverständnis kein expliziter Aufruf zu Mord und Totschlag, was als "Störung des öffentlichen Friedens" gegen das Strafgesetzbuch verstieße - sondern eher ein Hinweis auf die Fatwa, eine Information.

Mit deutschem Recht nicht zu fassen

In einem anderen Kulturkreis könnte der Inhalt der Mail aber ganz anders ankommen. Der Empfänger der Mail sagt über deren Inhalt, das sei "so wie im Mittelalter in Deutschland, wenn jemand für vogelfrei erklärt wurde". Das bedeute, jeder Gläubige dürfe Najafi töten. Er empfinde eine "ohnmächtige Wut" darüber, dass das mit deutschem Recht nicht zu fassen sei.

Ungestraft wäre es allerdings auch geblieben, wenn es sich um einen direkten Mordaufruf gehandelt hätte. Konsulats-Mitarbeiter genießen Diplomaten-Status und sind als solche juristisch nicht verfolgbar. Die Münchner Staatsanwaltschaft hätte dann höchstens das Auswärtige Amt in Berlin einschalten können, und das hätte dann den iranischen Botschafter herbeizitieren und einzelne Diplomaten zu unerwünschten Personen in Deutschland erklären können.

Im Auswärtigen Amt wird versichert, man nehme die gegen Najafi gerichteten Drohungen sehr ernst und stehe in dem Fall auch in Kontakt mit der iranischen Botschaft. Ein diplomatischer Konflikt ist zumindest nicht ausgeschlossen, da nach dem Wiener Übereinkommen Botschaften "den Schutz der Interessen des Entsendestaates und seiner Angehörigen im Empfangsstaat" zu wahren haben. Die Verbreitung von Drohungen dürfte nach deutschem Verständnis eher nicht dazu gehören.

Najafis Vergehen ist, dass er sich in seinem Lied an den schiitischen Imam Ali al-Hadi al-Naghi wendet, der im neunten Jahrhundert lebte. Er fordert ihn mit ironischem Ton auf, in Iran vorzugehen gegen Sexualisierung, Korruption und falsche Prediger. Das Lied sei keine Kritik am Islam, sondern an der Verlogenheit in Iran, sagt Najafi.

Nach Angaben seines Managers hat die Staatsanwaltschaft in Teheran Ermittlungen gegen den Musiker aufgenommen, wegen Blasphemie und Beleidigung des Imams. Vor der deutschen Botschaft in Teheran haben Demonstranten diese Woche die Auslieferung von Najafi verlangt. Und das alles wegen eines Liedes eines ironisch gemeinten YouTube-Videos, in dem der Künstler eine Moschee in der Form einer weiblichen Brust abbildet, aus deren Spitze eine Regenbogenfahne ragt.

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