Düsseldorf:Haftstrafe für Erzieher

Ein Gericht verurteilt ehemalige Mitarbeiter eines evangelischen Heims. Sie sollen autistische Kinder gequält haben.

Das Mädchen wird angespuckt und angeschrien, in seinem Gesicht spiegelt sich die Panik, es würgt und fleht: "Hört auf." Doch sie hören nicht auf, im Gegenteil: Sie lachen höhnisch. Es sind schwer erträgliche Szenen, die Richterin Karin Michalek am Dienstag beschreibt. Sie könnten aus einem Foltergefängnis stammen, aber sie stammen aus einem evangelischen Heim in Hilden bei Düsseldorf.

Die Opfer, die dort malträtiert werden, sind keine Terrorverdächtigen, sondern autistische Kinder. Und ihre Peiniger sind keine Folterknechte, sondern ehemalige Mitarbeiter von Educon, dem inzwischen aufgelösten Tochterunternehmen der Graf-Recke-Stiftung. Für das, was die Betrachter im Gerichtssaal verstört zurücklässt, findet Richterin Michalek klare Worte: "Sadismus. Sie hatten an ihrem menschenunwürdigen Verhalten Spaß und genossen es", hält sie den zwei Frauen und einem Mann auf der Anklagebank vor.

Kinder wurden stundenlang auf dem Boden gefesselt und es ähnelt tatsächlich Folterpraktiken wie dem berüchtigten "Waterboarding", wenn ihnen Wasser in Mund, Nase und Augen gespritzt wird, sie husten und röcheln. Ein Mädchen zittert vor Kälte, schaut seiner Erzieherin in die Augen und sagt: "Hilf mir bitte." Doch niemand hilft ihr.

"Räuberhöhle" hieß die Wohngruppe, in der sich die Szenen vor rund zehn Jahren abgespielt haben. Die autistischen Kinder waren 9 bis 15 Jahre alt. Auf über 200 Stunden Videomaterial wurde das Geschehen dokumentiert. Ausschnitte wurden im Gerichtssaal gezeigt.

Die inzwischen 44-jährige Leiterin der Wohngruppe ist die einzige Verantwortliche, die dafür absehbar ins Gefängnis muss, sollte das am Dienstag verkündete Urteil rechtskräftig werden. Zu zwei Jahren und und acht Monaten Haft wird sie wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen verurteilt. Sechs Monate werden wegen der langen Verfahrensdauer als verbüßt eingestuft. Der Staatsanwalt hatte vier Jahre gefordert.

Der 55 Jahre alte Ehemann der Gruppenleiterin, der ebenfalls in der Einrichtung arbeitete, wird zu einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss er 3600 Euro zahlen. Eine 44-Jährige weitere Erzieherin erhält ein Jahr und drei Monate auf Bewährung, muss 1800 Euro zahlen. Berufsverbote, wie sie der Staatsanwalt gefordert hat, hält das Gericht für nicht notwendig.

Die damalige Gruppenleiterin hatte ihr Verhalten zunächst gerechtfertigt: Sie habe lediglich die fachlich anerkannte Festhalte-Therapie angewendet, um die Kinder vor der Einweisung in die Psychiatrie zu bewahren. Die erfolgreichen Maßnahmen seien mit dem Therapiegründer abgesprochen gewesen. Doch der widerspricht der Behauptung im Zeugenstand energisch. "Es ist klar, dass ich schwere Schuld auf mich geladen habe", sagt die 44-Jährige und schluchzt. "Ich wollte niemals ein Kind erniedrigen, quälen oder brechen. Ich habe es dennoch getan. Ich bin schuldig. Ich wache jeden Tag mit dem Gedanken auf: "Wie habe ich das tun können?"

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