Düsseldorf:Die reichste Obdachlose Deutschlands

Der Rollator vom Discounter: Der Handel entdeckt die Senioren

In Düsseldorf lief Betia M. viele Jahre mit ihrem Rollator durch die Straßen, ein Kopftuch übergeworfen, die Schritte langsam.

(Foto: Marin Gerten/dpa)

Eine 83-Jährige stirbt, sie hinterlässt einen Beutel mit 50 000 Euro. Nun rätseln die Helfer, weshalb Betia M. ihre letzten Jahre im Düsseldorfer Obdachlosenheim verbrachte.

Von Bernd Dörries, Düsseldorf

Auf den Fluren nannte man sie "die Gräfin". Weil sie immer so gebildet klang, wenn sie mal etwas sagte. Viel redete sie allerdings nicht. Meist saß sie in ihrem Zimmer und las Zeitung, was hier sonst nicht so viele taten. Wenn sie jemand auf der Straße fragte, wo sie denn wohne, dann sagte Betia M., sie sei bei den Guttemplern untergekommen. Das klang besser als Obdachlosenheim.

Die Eisenstraße hinter dem Düsseldorfer Hauptbahnhof ist so etwas wie die Grenze zwischen jenem Teil des Viertels Oberbilk, das schon ein wenig durchgentrifiziert wurde, in dem neue Bars und Läden in die alten Häuser gezogen sind. In der Eisenstraße gibt es viele schöne Altbauten, vor denen große Mengen Hundekot liegen, was wiederum als Indikator gelten kann, dass es sich hier um eine eher traditionelle Bahnhofsgegend handelt. Eine Gegend, in der Menschen angespült werden, die vom Rand der Gesellschaft ins Bodenlose gefallen sind.

Hier lief Betia M. viele Jahre mit ihrem Rollator durch die Straßen, ein Kopftuch übergeworfen, die Schritte langsam. Abends schob sie ihr Wägelchen in einen Eingang, vor dem der Orden der Guttempler ein schönes Schild angebracht hat, in dem aber vor allem Obdachlose in kleinen Zimmern untergekommen sind. Obdachlose wie Betia M., die zum Schluss niemanden mehr hatte im Leben, keine Familie, keine Freunde. Solange sie noch lebte, gab es nicht viele, die sich für ihr Leben interessierten. Und andersherum war es ähnlich, Betia M. interessierte sich nicht für das Leben der anderen. Jetzt aber wollen viele wissen, warum sie dieses Leben führte, in einem Obdachlosenheim - obwohl sie doch anders gekonnt hätte. Zumindest das Geld hatte sie dazu.

Ein kleiner Schatz, von dem Betia M. niemandem erzählt hatte

Betia M. starb Ende Juli in einem Düsseldorfer Krankenhaus, letztlich an ihrem Alter, sie wurde 83 Jahre alt. Die letzten drei Jahre hatte sie bei den Guttemplern auf wenigen Quadratmetern gewohnt, mit Gemeinschaftsküche und Bad auf dem Flur. Und nach ihrem Tod gab es dann diese große Überraschung: Ihre Sozialarbeiterin entdeckte einen Beutel mit 45 000 Euro und 6648 Dollar. Ein kleiner Schatz, von dem Betia M. niemandem erzählt hatte. Seitdem gilt die Verstorbene als die reichste Obdachlose Deutschlands und als ein großes Rätsel noch dazu. So einen Fall hatten wir noch nicht, heißt es aus dem Amtsgericht, das sich um den Nachlass kümmert.

Der Nachlass, das ist das Geld, ein wenig Schmuck - und drei Blumentöpfe, die nun im Büro der Sozialarbeiter stehen, die sich um die Obdachlosen kümmern. Und die jetzt ständig gefragt werden, wer die Dame denn nun gewesen sei. "Sie war sehr gebildet", sagt ihre Sozialhelferin, die anonym bleiben möchte. Betia M. stammte aus der Republik Moldau und sprach ein Deutsch, das nicht immer leicht zu verstehen war, das dort wohl viele Jahrhunderte konserviert wurde und schon aus der Zeit gefallen war, als Betia M. vor 25 Jahren nach Deutschland kam.

"Nach einem Arztbesuch konnte sie zwar auf Deutsch nicht immer sagen, was sie hat. Aber auf Lateinisch kannte sie die Diagnose", sagt die Sozialarbeiterin. Die alte Dame habe früher im Gesundheitswesen gearbeitet, ein normales Leben geführt, soweit man das beurteilen kann. Der Bruch war wohl der Tod ihres Mannes. Betia M. wohnte nun allein, war allein, wurde schwierig und landete auf der Straße - ein zwangsgeräumtes Leben.

Sie irrte umher, mit 80 Jahren, Mitarbeiter des Ordnungsamtes brachten sie in die Unterkunft in der Eisenstraße. Die ist eigentlich nur für den Übergang gedacht, nach einiger Zeit sollen die Obdachlosen dort untergebracht werden, wo sie am besten hinpassen: in eine eigene Wohnung, in eine Betreuungseinrichtung oder in ein Pflegeheim. Letzteres wäre wohl das Beste gewesen, sagt Betia M.s Sozialarbeiterin. Weil die alte Dame dauernd stürzte und nur noch bedingt in der Lage war, sich selbst zu versorgen. "Wenn jemand aber nicht mitmachen will, haben wir keine Chance. Sie wollte ihre Selbständigkeit behalten", sagt die Sozialarbeiterin.

Kein Besuch, kaum Kontakt zu Mitbewohnern

"Jeder in Deutschland hat das Recht auf eine Wohnung", sagt Sozialamtsleiter Roland Buschhausen. Aber eben auch das Recht darauf zu bestimmen, wo dieses Dach ist. Betia M. wollte in der Obdachlosenunterkunft bleiben, die ein dauerhaftes Zuhause wurde. Besuch hat sie dort nicht bekommen und kaum Kontakt zu Mitbewohnern gehabt.

Einmal, so erzählt es die Sozialarbeiterin, habe sie darum gebeten, ihrem Sohn zu schreiben, der in den USA lebt. "Wenn Klienten das Gefühl haben, dass sie nicht mehr lange zu leben haben, bitten uns viele, noch einmal Kontakt zur Ursprungsfamilie aufzunehmen." Doch der Sohn wollte keinen Kontakt mehr. Der Nachlassverwalter hat ihn nun noch einmal angeschrieben, um das Erbe zu regeln. Von diesem wird aber wohl nicht viel übrig bleiben: Betia M. hat Grundsicherung bezogen, dazu die Kosten für Unterbringung und Pflegedienst, die der Staat nun zurückhaben will. Das wird die rund 50 000 Euro auffressen, von denen niemand sagen kann, woher sie eigentlich kommen.

Manche Menschen haben Ziele im Leben, aber nicht das Geld dafür. Betia M. hatte Geld, aber vielleicht keine Ziele mehr, für die sie es hätte brauchen können.

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