Drogenumschlagplatz Görlitzer Park:Coffeeshop für die Wissenschaft

Görlitzer Park

Ohne Anquatschen kein Spaziergang, die Drogendealer am Görlitzer Park sind seit Jahren ein Problem. Der offizielle Coffeeshop soll Abbhilfe schaffen.

(Foto: dpa)

Mit dem bundesweit ersten offiziell genehmigten Coffeeshop will das Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg Cannabis legalisieren und das Dealerproblem in der Nachbarschaft lösen. Doch Wunsch und Realität klaffen weit auseinander.

Von Anna Günther

Morgens halb zehn in Kreuzberg. Schon auf dem Weg zur Arbeit können sich die Anwohner rund um den Görlitzer Park im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit Stoff versorgen. Nur, dass es hier keine Waffeln in Schokolade gibt. Sondern Drogen. Cannabis sei da schon Standard, auch MDMA, Ecstasy oder Heroin böten die Dealer rund um den "Görli" an, sagt ein Bewohner der Liegnitzer Straße. Die Hierarchien sind strikt, die Gebiete klar abgegrenzt. Konflikte unter den Verkäufern sind an der Tagesordnung, da fliegen schon mal wegen 20 Euro die Fäuste. Und angesprochen wird jeder, unabhängig von Alter oder Geschlecht.

Um der Situation Herr zu werden, hat das Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg nun einen ungewöhnlichen Antrag der Grünen verabschiedet: ein sogenanntes Cannabis-Modellprojekt im Görlitzer Park. Nach niederländischem Vorbild soll in einem Coffeeshop legal Marihuana verkauft werden. "Wir müssen jetzt ungewöhnliche Lösungen denken", sagt die Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne). Die Verbotspolitik der letzten Jahrzehnte sei gescheitert, die Polizei bekomme die Situation mit Kontrollen und Platzverweisen nicht in den Griff. Der Verkauf von Drogen ist in Deutschland grundsätzlich verboten, eine Ausnahme kann nur das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn erteilen. Mit den Drogenberatungsstellen und Anwohnern wollen die Bezirkspolitiker jetzt einen Antrag erarbeiten und zum BfArM nach Bonn schicken.

Die Realisierung ist fraglich

Dort reibt man sich die Augen. "Es entsteht der Eindruck, man müsse sich nur ein Formular runterladen und dann den Antrag einschicken. Das ist aber nicht so", sagt der BfArM-Sprecher Maik Pommer. Es gibt kein standardisiertes Antragsverfahren für Coffeeshops, die Gutachter haben erst aus der Presse von dem Projekt erfahren. Direkten Kontakt zur Arzneimittelbehörde haben die Kreuzberger Politiker bisher nicht gesucht. Erst wenn überhaupt ein Antrag im Institut eingegangen und gründlich geprüft worden sei, können man das Projekt einordnen, sagt Pommer. Wie groß die Chance auf Erfolg ist, lässt er offen.

Bisher hat die Behörde nur in Einzelfällen den Erwerb von Cannabisblüten oder -extrakt erlaubt. Doch die Kriterien sind sehr streng: Nur im Rahmen einer medizinisch betreuten und begleitetenTherapie darf ein Patient Cannabisblüten oder -extrakt bei einer festgelegten Apotheke kaufen - sofern ein entsprechendes ärtzliches Gutachten vorliegt. "Diese Patienten sind meist schon austherapiert, der Schmerz kann nicht mehr anders behandelt werden", sagt Pommer.

Coffeeshop als öffentliches Interesse

Die Grünen in Kreuzberg beziehen sich bei ihrem Modellprojekt auf Paragraf 3 des Betäubungsmittelgesetzes. Demnach braucht jeder eine Erlaubnis des Bonner Instituts, der "Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder ausgenommene Zubereitungen herstellen will." Doch nur in Ausnahmefällen, wenn "wissenschaftliche oder andere im öffentlichen Interesse liegende Zwecke" vorliegen, darf die Erlaubnis laut Gesetz überhaupt erteilt werden.

Dass ein öffentliches Interesse vorhanden ist, steht für Jonas Schemmel, den Fraktionssprecher der Grünen im Bezirksparlament, außer Frage. Mit dem Coffeeshop wollen die Lokalpolitiker zwar die Anwohner rund um den Görlitzer Park entlasten und den Drogenumschlagplatz befrieden, doch Schemmel legt auch auf den wissenschaftlichen Nutzen Wert: Geschultes Fachpersonal soll im Coffeeshop Cannabis verkaufen, Beratungsangebote sollen die Kunden aufklären und so auch Prävention und Jugendschutz bieten. "Wir wollen die Kontrolle über Herstellung und Verkauf haben. Man muss auch mal an den Verbraucherschutz denken", sagt Bezirksbürgermeisterin Herrmann.

Blanker Unsinn

Seitens der Suchtberatungsstellen ist die Skepsis groß: Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, lehnt den Verkauf von Cannabis in Coffeeshops schon allein aus Gründen des Gesundheitsschutzes als "keine denkbare Option" ab. Nicolo Witte, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Vereins "Keine Macht den Drogen" spricht gar von "blankem Unsinn". Und redet sich in Rage: "Die Botschaft wäre völlig falsch, das hieße ja, dass wir uns all die Jahre geirrt haben und Cannabis nicht so schlimm ist - ist es aber doch!"

Der THC-Gehalt ist seit den Sechzigerjahren deutlich gestiegen, 35.000 Jugendliche sind derzeit wegen Cannabis-Missbrauch in Therapie. Schon von Berufs wegen ist der Kriminalhauptkommissar täglich mit den Folgen von Drogenkonsum konfrontiert und im Münchner Polizeipräsidium der Ansprechpartner für Sucht- und Drogenprävention. Im Verein "Keine Macht den Drogen" engagiert er sich ehrenamtlich. Spezialgebiet? Die Coffeeshops der Niederlande. Binnen Minuten zählt Witte eine Vielzahl von Problemen auf, die auf Berlin zukämen, wenn der Antrag der Kreuzberger Grünen Realität würde.

Eine Luftnummer?

Erstes Problem: die Altersgrenze. Dürfen Konsumenten mit 21 Jahren legal Cannabis kaufen oder schon mit 18 Jahren? "Ist man mit 18 noch in der Pubertät? Die Schäden für das Gehirn sind in der Pubertät dramatisch, das bestätigt jeder Neurologe", sagt Witte. Das nächste Problem sei der Nachschub. In Holland dürften die Coffeeshops 500 Gramm vorrätig haben, keine besonders hohe Menge, also beziehen viele zusätzlichen Stoff vom illegalen Markt. "Und wer soll das anbauen? Geschweige denn so ein THC-Feld bewachen?", fragt Witte. Der rechtsfreie Raum um den Coffeeshop würde die Polizei außerdem vor große Herausforderungen stellen, denn wo dürften die Beamten wieder kontrollieren, wenn Konsumenten nicht alles vor Ort rauchen und die Reste mit nach Hause nehmen würden? Für Dealer illegaler Substanzen bliebe der Görlitzer Park aus Wittes Sicht ohnehin weiter ein Anziehungspunkt.

Das Projekt mag wie eine Luftnummer erscheinen, doch die Kreuzberger Grünen geben sich selbstbewusst. Angebote von Brandenburger Marihuana-Züchtern gebe es bereits. "Wenn wir keine Möglichkeit sehen würden, hätten wir den Antrag nicht formuliert", sagt die Bezirksbürgermeisterin Herrmann. Sie habe sich auch mit ihrem Kollegen Hans-Christian Ströbele darüber unterhalten, "und der ist Jurist". Frühestens Mitte 2014 soll der Antrag an das BfArM vorliegen. Ein Alleingang soll das Projekt nicht sein, "in der Hamburger Schanze oder in Köln haben sie ja alle die gleichen Probleme, die sollen gerne alle mitziehen", sagt Fraktionssprecher Schemmel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: