Drogenkrieg in Mexiko:Inferno auf Erden

Mexiko ist ein Land der Hingerichteten, Enthaupteten, Zerstückelten, Gehäuteten und Erhängten. Vor mehr als fünf Jahren hat Präsident Calderón den Krieg gegen die Drogenmafia ausgerufen. 88.361 Menschen, darunter mehr als 1000 Kinder, sind seitdem einem sinnlosen wie blutigen Kampf zum Opfer gefallen. Und die Kartelle werden immer mächtiger.

Ana Lilia Pérez

Seit nunmehr zweitausend Tagen tobt ein Krieg in Mexiko. Es ist der Krieg des Staates gegen die Drogenkartelle. Er hat Mexiko in einen Friedhof verwandelt. Dasselbe Land, das den Naturforscher Alexander von Humboldt in Staunen versetzte und das er als ein Paradies, als ein Füllhorn beschrieb, ist heute Dantes Inferno auf Erden.

A bullet shell is seen near blood at a crime scene in Emiliano Zapata neighborhood in Acapulco

Mit seinem Krieg gegen die Drogenkartelle wollte Mexikos Präsident Felipe Calderón die Gewalt im Land eindämmen. Doch das Blutvergießen nimmt kein Ende, im Gegenteil.

(Foto: REUTERS)

Mexiko ist ein Land der Hingerichteten, der Enthaupteten, der Zerstückelten, der Gehäuteten und der Erhängten. Männer, Frauen und Kinder, Opfer des Kreuzfeuers rivalisierender Banden, vorgeführt als Jagdtrophäen oder in Massengräbern heimlich verscharrt. Tag für Tag läuten in diesem Land die Glocken für jemand anderen, der getötet worden ist.

Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation México Evalúa starben in diesem Krieg bisher 88.361 Menschen, darunter 1226 Kinder.

"Levantados", die Verschleppten

Doch es sind nicht nur die Toten, die zählen, es sind auch die Verschwundenen, 13.000 bis heute. Größtenteils wurden diese Menschen verschleppt, ohne dass anschließend Lösegeld für sie verlangt wurde. "Levantados" werden diese Menschen in Mexiko genannt, Männer die ihr Leben nun mit niedrigen Auftragsarbeiten für kriminelle Banden oder als Sklavenarbeiter fristen müssen. Und hinter jedem "Levantado" steht eine Frau, die ihren Mann verloren hat, eine Familie, die ihren Vater verloren hat.

Da ist zum Beispiel die Familie Muñoz aus Chihuahua, einem Bundesstaat im Norden Mexikos. Vor einem Jahr, am 19. Juni, als die Familie den Vatertag feierte, schoss ein Mann vor ihrem Haus offenbar ziellos herum. Die Familie rief die Polizei, doch die verweigerte ihre Hilfe. Stattdessen kam ein Konvoi, bestehend aus zehn Kleinlastern ohne Kennzeichen, darin saßen bewaffnete Männer in Polizeiuniformen. Sie drangen in das Haus ein und nahmen acht der anwesenden Männer - allesamt Mitarbeiter der lokalen Eisenbahn - mit.

Ema, 60, Mutter, Großmutter und Schwägerin der Verschleppten, pilgert seitdem auf der Suche nach ihren Angehörigen durch das Land. Doch bis heute fehlt jede Spur von Entführten und Entführern - ein Schicksal, das Ema mit den Müttern und Frauen aus Tausenden anderen Familien teilt.

In knapp sechs Monaten endet die Amtszeit von Präsident Felipe Calderón. Und sein Krieg gegen die Kartelle wütet ziellos weiter: Calderón lässt hochrangige Militärs, die er mit dem Krieg beauftragt hatte, ins Gefängnis bringen, während ihn die Drogenkartelle gleichzeitig mit barbarischen Taten herausfordern. Zuletzt geschehen am 13. Mai im Bundesstaat Nuevo León, als 49 menschliche Rümpfe ordentlich aufgereiht auf der Autobahn gefunden wurden. 43 Männer und sechs Frauen, denen man die Köpfe und die Füße abgeschnitten hatte.

Als Täter werden Mitglieder des Zeta-Kartells verdächtigt, das von ehemaligen Militärs gegründet wurde. Sie terrorisieren Städte und Dörfer, ihr Credo ist das der Mafia: "Geld oder Kugel".

Unbedeutende Erfolge

Je näher die Präsidentschaftswahlen im Juli rücken, desto mehr nimmt die Gewalt zu: Mexiko hebt sich heute von anderen Ländern vor allem dadurch ab, dass hier fünf der gefährlichsten Städte der Welt liegen. Ciudad Juárez hat in diesem traurigen Wettbewerb seit 2008 den ersten Platz: 148 Morde auf 100.000 Einwohner; auf der Landstraße "La Ribereña", die 115 Kilometer entlang des Río Bravo an der Grenze zu den USA verläuft, sind in den letzten zwei Jahren 220 Menschen verschwunden; viele Landkreise verteilt im gesamten Land befinden sich im Ausnahmezustand, Dutzende Dörfer wurden verlassen.

Der United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) schätzt, dass durch den Drogenkrieg in Mexiko 160.000 Menschen vertrieben wurden; nach Angaben von Organisationen wie den Reportern ohne Grenzen ist Mexiko heute für Pressevertreter das gefährlichste Land der Welt: 75 Journalisten wurden ermordet, elf sind verschwunden.

Demgegenüber erscheinen die Erfolge des Kriegs des Präsidenten ziemlich unbedeutend: 13 Drogenbarone und 1306 Untergebene wurden bislang festgenommen oder getötet. Dafür hat die Regierung 70.000 Soldaten eingesetzt. Kein einziges Kartell wurde zerschlagen, nach offiziellen Angaben gibt es in Mexiko derzeit sieben davon.

Die Kartelle gewinnen stetig an Macht

Inzwischen zählen sie zu den reichsten und am besten bewaffneten Verbrecherorganisationen weltweit. Dadurch, dass sie ihre Geschäfte gezielt erweitert haben und strategische Allianzen mit anderen Organisationen wie den japanischen Yakuza, den chinesischen Triaden oder den italienischen Mafiaverbänden eingingen, gewinnen sie stetig an Macht. Umgekehrt ist Mexiko so für international agierende Mafiaorganisationen ein attraktiver Standort geworden: Aus dem Bundesstaat Nuevo León versorgen sowohl die Cosa Nostra als auch die Camorra die Länder Europas mit Drogen.

Mexikanische Kartelle kontrollieren heute einen beachtlichen Anteil des weltweiten Drogenhandels, der jährlich Gewinne von bis zu 143 Milliarden Dollar abwirft. Nachdem die Herstellung von synthetischen Drogen aus den USA nach Mexiko abgewandert ist, gehören die Kartelle dort zu den wichtigsten Produzenten. Das organisierte Verbrechen in Mexiko kennt inzwischen offenbar keine Grenzen mehr.

Nach einer Studie des amerikanischen Kongresses, dem Report "Drug Trafficking Organizations: Source and Scope of the Rising Violence", vertreibt das Sinaloa-Kartell trotz des Krieges ungehindert Drogen und wäscht Geld in mehr als fünfzig Ländern. Der Anführer des Kartells, Joaquín Guzmán Loera, behauptet sich seit vier Jahren auf der Milliardärs-Liste des Magazins Forbes.

"Die mexikanischen Kartelle haben ihre Geschäfte in 22 perfekt organisierte Verbrechensarten diversifiziert und operieren weltweit", sagt Edgardo Buscaglia, Berater des United Nations Office on Drugs and Crime. Neben dem Drogengeschäft machen die Kartelle demnach mit Erpressung und Entführung Geld, sie handeln mit Menschen aber auch Mineralien und Edelsteinen, sie verdienen an legalen Geschäften, wie der Förderung und dem Verkauf von Öl.

Die Geschäfte laufen also wie geschmiert. Trotzdem brüstet sich Präsident Calderón mit seinen Erfolgen im Kampf gegen die Kartelle. Nach den Wahlen im Juli wird er ein ehemaliger Staatspräsident sein, eine lebenslange Rente erhalten und von seinen Pfründen gut leben können. Die Mexikaner aber werden weiter unter den Folgen seines gescheiterten Krieges leiden müssen.

Die Journalistin Ana Lilia Pérez schreibt über den Drogenkrieg in Mexiko und musste deshalb untertauchen. Ab diesem Sommer ist sie Stipendiatin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.

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