Süddeutsche Zeitung

Drogenbeauftragte der Bundesregierung:Zahl der Drogentoten nimmt erstmals seit 2012 ab

2017 starben an den Folgen ihres Drogenkonsums fünf Prozent weniger Menschen als 2016. Die Drogenbeauftragte fordert, dass wer mit Drogen erwischt wird, wählen darf, wie er bestraft wird.

Von Ulrike Schuster, Berlin

1333 Menschen waren es 2016, ein Jahr später sind es immer noch 1272. So viele starben an den Folgen ihres Drogenkonsums, das sind ein Prozent aller Konsumenten und fünf Prozent weniger als 2016 und der erste leichte Rückgang bei den an illegalen Drogen verstorbenen Menschen seit 2012. Die größte Gruppe der Toten bilden die Männer, ihr Anteil beträgt 85 Prozent. Das Durchschnittsalter der verstorbenen Frauen und Männer liegt bei 39 Jahren. Diese Zahlen gab die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, am Dienstag in Berlin bekannt: "Die Zahl 1272 steht für das große Leid der Betroffenen und deren Angehörigen. Ihre Strategie? "Ein Ausbau der kommunalen Suchthilfe und frühere Hilfen für Abhängige" sowie ein entschlossenes Vorgehen gegen Drogenkriminalität rette Leben - der Mix aus Prävention und Behandlung.

Marlene Mortler präsentierte die Zahlen, Professor Ludwig Kraus die Untersuchungen dahinter. Der Leiter des IFT Instituts für Therapieforschung in München analysierte in der Studie "Drogenindizierte Todesfälle in Deutschland" die Obduktionsergebnisse der Länder im Zeitraum von 2012 bis 2016. Anlass dafür war ein Wendepunkt vor vier Jahren. Seit 1990 (mehr als 2000 Todesfälle) wird die Zahl der Drogentoten Jahr für Jahr weniger (Ausnahme: ein Peak im Jahr 2000). Seit 2012 (944 Todesfälle) aber meldet das Bundeskriminalamt Jahr für Jahr wieder mehr Drogentote.

In der Studie fragte Kraus nach Todesursache, Konsumverhalten und den eingenommenen Substanzen. Das zentrale Ergebnis: Schuld am Tod der großen Mehrheit (zwei Drittel) haben immer noch Heroin, Morphin und Kokain. Die große Mehrheit (83 Prozent) stirbt an einer Überdosis: dem Zuviel an giftigem Wirkstoff und unerwarteter Wirkung, weil Substanzen wild gemischt konsumiert oder die Stoffe gepanscht hergestellt wurden. Sieben Prozent sterben an den Langzeitfolgen des Konsums, ebenso viele begehen Suizid, drei Prozent sterben durch einen Unfall.

Die NPS, sogenannte neue psychoaktive Stoffe, von der Drogengesetzgebung noch gar nicht erfasst, seien gefährlich. Sie fluteten den europäischen Markt, was verstärkt präventive Maßnahmen erfordere, das Risikopotenzial sei hoch.

In Naloxon sieht Kraus hingegen eine große Chance. Naloxon wird in der Notfallmedizin bei einer Überdosis als Gegengift verabreicht. Die Studie sagt nämlich auch, dass bei 30 Prozent der Überdosis-Toten ein Rettungsversuch unternommen wurde, bei 17 Prozent waren Dritte anwesend. Kraus sagt: "Auch Abhängige und Angehörige sollten in der Anwendung von Naloxon zur Ersthilfe trainiert werden."

Die Hindernisse für die Verabreichung von Naloxon aus dem Weg zu räumen, darin sieht Drogenbeauftragte Mortler eine ihrer Aufgaben. Bislang ist die Vergabe in Deutschland verboten, in Bayern läuft gerade ein Modellversuch. Auch will sie die Hürden zur Abgabe von Substituten, wie Methadon statt Heroin, weiter senken.

Geht es nach der Drogenbeauftragten, soll man bald wählen dürfen, welche Strafe man will: Bußgeld oder Behandlung

Präventiv möchte sie eine große Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne starten, groß "wie beim Thema Aids". "Wir brauchen eine breite Diskussion über Sucht und Drogen, Tabak, Alkohol." Wichtig seien nicht nur die Suchtkranken selbst, der Umgang mit ihnen sei genauso wichtig. Offen und direkt müsse der sein, die Botschaft müsse lauten: Für deine Sucht brauchst du dich nicht zu schämen, "die Sucht soll nicht länger das bestgehütete Familiengeheimnis sein müssen", so Mortler.

Die Drogenbeauftragte hat auch eine Vision: den Drogenkonsum mit dem Sanktionsrecht zu verzahnen. Wer in Zukunft im Besitz von Cannabis für den Eigenkonsum von der Polizei erwischt wird, solle wählen dürfen, ob er Bußgeld bezahlt, oder sich freiwillig gezielt vom Experten helfen lässt. Warum das Thema alle angeht, warum Marlene Mortler "absolut motiviert" ist, gegen die Drogen zu kämpfen, zeigt nicht nur die Zahl der Toten, das zeigt auch die Zahl der Lebenden: Drei Millionen Kinder wachsen in sogenannten suchtbelasteten Familien auf.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir Kokain als Opioid bezeichnet. Das ist falsch. Nur Heroin ist ein Opioid; Morphin genau genommen ein Opiat.

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SZ vom 16.05.2018/ick/cat
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