Süddeutsche Zeitung

Drogenbaron Joaquín Guzmán:Wie Sean Penn Drogenboss "El Chapo" traf

Vor seiner Verhaftung gab der Drogenbaron dem Oscar-Gewinner ein Interview. Was "El Chapo" im mexikanischen Dschungel verriet - und warum es Kritik an Sean Penn gibt.

Von Matthias Kolb, Washington

Ohne eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Größenwahn wird kaum jemand weltberühmt. Der Glaube, in seiner Disziplin besser zu sein als alle anderen, ist unerlässlich für eine globale Karriere. Und weltumspannend war die Karriere von Joaquín Archivaldo Guzmán Loera in der Tat: Niemand schmuggelte mehr Drogen als "El Chapo", der Chef des mexikanischen Sinaloa-Kartells. Doch nun sieht es so aus, dass die Eitelkeit des "Kurzen" zu seiner dritten Verhaftung führte - und er womöglich bald in die USA ausgeliefert wird.

Einen Tag nach Guzmáns Festnahme in Los Mochis veröffentlichte Sean Penn am Wochenende einen Gastbeitrag auf der Website des US-Magazins Rolling Stone. Dort beschreibt der zweifache Oscar-Gewinner (Mystic River, Milk), wie er "El Chapo" in Mexikos Dschungel traf. "Mein einziges Interesse bestand darin, Fragen zu stellen und die Antworten zu überbringen, damit sie die Leser bewerten können", schreibt der 55-Jährige. Doch bevor der Leser diese Antworten erfährt, muss er viele Zeilen lang Penns detaillierte Schilderungen lesen, wie es zum abenteuerlichen Treffen kam.

Der Schauspieler schreibt etwa darüber, wie er vor dem Treffen mit "El Chapo" uriniert - und hofft, mit allen Körperteilen zurückzukehren. Penn macht kein Geheimnis aus seiner linksliberalen Überzeugung ("der War on Drugs ist gescheitert"). In der Vergangenheit hatte er schon Hugo Chávez, den verstorbenen Präsidenten Venezuelas, sowie Fidel Castro interviewt und für das Magazin Vanity Fair eine Reportage aus Iran geschrieben. Doch das Treffen mit dem meistgesuchten Mann der Welt ist noch viel spektakulärer - schließlich hatte dieser seit mehr als 20 Jahren kein Interview mehr gegeben.

Eine Schauspielerin als Kontaktperson und Übersetzerin

Mexikos Generalstaatsanwältin Arely Gómez zufolge befand sich "El Chapo" in einer Art Casting-Prozess für ein Film-Projekt über sein Leben - aus Eitelkeit wollte er offenbar seine Version erzählen. Den Kontakt zwischen Penn und Guzmán vermittelte die mexikanische Schauspielerin Kate del Castillo, die 2012 für Aufsehen gesorgt hatte, als sie erklärte, "El Chapo" mehr zu vertrauen als der mexikanischen Regierung.

Nach diversen Treffen, langen logistischen und technischen Vorbereitungen (Penn schreibt von Prepaid-Telefonen, dem verschlüsselten Blackberry-Messaging-System und davon, zuvor nie einen Laptop benutzt zu haben) steigt der Schauspieler am 2. Oktober 2015 in Los Angeles in ein Privatflugzeug und fliegt nach Süden in Richtung Mexiko.

Ob ihm zu diesem Zeitpunkt wirklich Agenten der US-Drogenbehörde DEA folgen, wie Penn andeutet, und der Hollywood-Star den Behörden unfreiwillig bei ihrer Jagd half, wird sich wohl erst in einigen Wochen oder Monaten klären lassen. Die Schilderungen des Schauspielers, wie mexikanische Soldaten den Konvoi einfach durchwinken, als sie erkennen, dass "El Chapos" Sohn den Jeep steuert ("Das ist die Macht eines Guzmán-Gesichts", so Penn), wird der Regierung von Präsident Enrique Peña Nieto nicht gefallen.

Nach 14 Stunden Reise hält der Konvoi auf einer Lichtung - und Penn steht dem meistgesuchten Mann der Welt gegenüber. "El Chapo" begrüßt die Schauspielerin Kate del Castillo "wie eine Tochter, die vom College heimkommt". Er umarmt den Amerikaner und redet auf Spanisch auf ihn ein. Dieser radebrecht zurück und erklärt, dass er del Castillo als Übersetzerin braucht.

Es folgt ein ausgiebiges Essen, der Drogenboss schenkt Tequila ein ("sonst trinke ich nie") und es beginnt eine Plauderei. "El Chapo" nennt Donald Trump ironisch "meinen Freund" und will wissen, ob man sich in den USA für dessen Flucht interessiert habe und wie viel Penn mit dem Artikel verdienen wird. Dass der Schauspieler kein Honorar verlangt, erscheint dem in Geldangelegenheiten engagierten Mexikaner, dessen Vermögen auf eine Milliarde Dollar geschätzt wird, absurd.

Er prahlt: "Ich liefere mehr Heroin, Methamphetamin, Kokain und Marihuana als irgendwer sonst in der Welt. Ich habe eine Flotte aus U-Booten, Flugzeugen, Lastwagen und Schiffen." "El Chapo" erzählt, dass er den legendären kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar einst in dessen Haus besucht habe: "Es war ein sehr großes Haus."

Penns Schilderungen erwecken nicht den Eindruck, als habe "El Chapo" panische Angst vor einer Verhaftung gehabt: "Er trägt ein Seidenhemd, gebügelte schwarze Jeans und wirkt erstaunlich gepflegt und gesund für einen Mann auf der Flucht." Nach sieben Stunden beendet "El Chapo" das Gespräch und will sich acht Tage später ein weiteres Mal zum Interview mit Penn treffen. Die beiden machen noch ein Foto als Beweis - dann bringt Guzmán den Schauspieler zu einem nahen Bungalow. Der Drogenboss tut so, als bemerke er nicht, dass Penn in diesem Moment Blähungen hat und furzen muss.

Eine weitere Begegnung findet jedoch niemals statt, weil der Drogenboss nach einem Angriff des Militärs auf sein Versteck flüchten muss. Über Wochen hinweg versucht Penn vergeblich, ein weiteres Treffen zu organisieren. Schließlich willigt er ein, Fragen via Blackberry zu übermitteln, die "El Chapo" auf Video beantwortet. 17 Minuten dauert die Aufnahme, knapp drei Minuten wurden bisher veröffentlicht.

Während im Hintergrund ein Hahn kräht, erklärt Guzmán, dass er niemals von sich aus Gewalt angewendet, sondern sich stets nur verteidigt habe: "Ich suche keinen Streit". Die Unruhe in Nahost beeinflusse den Drogenhandel keineswegs, sagt der 58- oder 61-Jährige - so genau weiß man das nicht.

Er gibt zu, dass Drogen Schaden anrichten würden, doch in seiner Heimatregion sei das Drogengeschäft die einzige Möglichkeit, für junge Männer Geld zu verdienen. "El Chapo" sagt, dass er persönlich nicht schuld sei an der hohen Zahl von Drogensüchtigen: "Wenn ich weg bin, nehmen andere meinen Platz ein."

Über seine spektakulären Ausbrüche aus den mexikanischen Hochsicherheitsgefängnissen sagt er: "Ich habe nur zu Gott gebetet und dann lief alles wie von selbst." Penn schreibt jedoch an anderer Stelle, dass Guzmán Helfer für drei Monate nach Deutschland schickte, um sich die nötige Expertise für den Tunnelbau zu beschaffen. Er wolle so viel Zeit wie möglich mit seiner Familie verbringen, sagt Guzmán treuherzig - und ergänzt, dass er hoffentlich einmal eines natürlichen Todes sterben werde.

Penn, der einst mit Madonna verheiratet war, kann auf Video-Antworten nicht mit Anschlussfragen reagieren oder "El Chapo" damit konfrontieren, dass es in Mexiko jährlich bis zu 27 000 Morde gibt, die mit dem Drogenhandel zu tun haben. Der Schauspieler nennt diese Zahl zwar in seinem Text, aber ansonsten spricht er erstaunlich positiv über Guzmán. Dieser sei "in erster Linie" ein Geschäftsmann, der Gewalt nur im Notfall einsetze. Es schwingt Bewunderung mit, wenn Penn ihre beiden Leben vergleicht: "Mit neun surfte ich in den Wellen von Malibu - und er arbeitete schon in den Marihuana-Feldern von Sinaloa."

Politiker äußern Kritik an Penn - und Mexiko will ihn befragen

Für Denis McDonough, den Stabschef von Barack Obama, wirft dieses "sogenannte Interview" viele "interessante Fragen" auf. Wenn Guzmán an die USA ausgeliefert werde (wieso Drogenbosse davor große Angst haben, analysiert SZ-Autor Peter Burghardt), dann dürften ihm seine Aussagen schaden. Es sei "zum Verrücktwerden", wie der Drogenboss damit angebe, dass er die Welt mit mehr Heroin versorge als jeder andere, so McDonough zu CNN.

Die Frage, ob Sean Penn für sein Treffen mit "El Chapo" strafrechtlich belangt werden könne, wollte der Obama-Vertraute nicht beantworten. Auch das US-Justizministerium äußert sich laut Los Angeles Times nicht zu dieser Angelegenheit. Nach Informationen von NBC News wollen die mexikanischen Behörden mit Penn über seine Reise in den Dschungel und seine Kontakte mit dem Drogenboss sprechen.

Deutliche Kritik äußerte der republikanische Präsidentschaftskandidat Marco Rubio, der das Video-Interview als "grotesk" bezeichnete. Er hoffe, dass Mexiko den Drogenboss an die USA ausliefere, so Rubio. Über den zweifachen Oscar-Gewinner sagte er: "Ich denke nicht viel über Sean Penn nach. Ich wusste gar nicht, dass es ihn noch gibt; früher hat er mal Filme gemacht, oder?"

Dem Ego des Schauspielers dürfte es durchaus schmeicheln, dass neben Marco Rubio nun auch die Welt wieder weiß, was Sean Penn gerade so treibt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2812699
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/joku
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.