Dresden:Was über den Kunstdiebstahl bekannt ist

Waren die Einbrecher nur zu zweit? Wie konnten sie das Sicherheitsglas der Vitrine zerstören? Und warum griffen die Wachmänner nicht selbst ein? Noch immer sind im Dresdner Kunstdiebstahl viele Fragen offen.

Von Moritz Geier

Noch immer gibt es keine heiße Spur zu den Tätern, die Polizei setzte am Dienstag die Spurensuche am Tatort fort. Zwei Unbekannte waren am frühen Montagmorgen in das streng gesicherte Grüne Gewölbe im Dresdner Residenzschloss eingedrungen und hatten zahlreiche Schmuckstücke mit Diamanten und Brillanten gestohlen. Selbst Museumsdirektor Dirk Syndram kennt das ganze Ausmaß noch nicht. Eine umfassende Bestandsaufnahme sei erst nach Ende der Spurensicherung möglich, sagte er. Was über den Tathergang bislang bekannt ist:

Wie kamen die Täter in die Schatzkammer?

Die Ermittler wissen bisher, dass die Täter über ein vergittertes und mit Sicherheitsglas ausgestattetes Fenster des Pretiosensaales ins Residenzschloss mitten in der Altstadt eingedrungen sind, gezielt und mit Taschenlampen ausgerüstet ins dunkle Juwelenzimmer gingen und dort eine der Vitrinen mit einer Axt zertrümmerten. Die mit Panzerglas geschützte Vitrine hielt den Werkzeugen der zwei Räuber nicht stand. "Das Glas hat eine außergewöhnlich starke Widerstandsklasse, aber auch das gibt nach einer gewissen Zahl von Axthieben irgendwann nach", sagte der Technische Leiter der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), Michael John. Dieser letzte Teil des Einbruchs ist auf einem Überwachungsvideo zu sehen, das die Polizei veröffentlicht hat.

Wie hat das Sicherheitspersonal des Museums reagiert?

Zwei Wachleute, die in der Zentrale Dienst hatten, beobachteten die Einbrecher während der Tat über Monitore und informierten die Polizei. Um 4.59 Uhr ging der Notruf dort ein. Fünf Minuten später ist der erste Funkstreifenwagen vor Ort, die Täter aber schon auf und davon - offenkundig sind sie wieder durch das Fenster abgehauen. Die Wachleute haben die Notrufnummer 110 gewählt, nicht aber den Alarmknopf getätigt. Dieser signalisiere nur, dass etwas nicht in Ordnung sei. Dank des direkten Drahts zur Polizei habe das Gespräch gleich aufgezeichnet werden können.

Warum hat das Wachpersonal nicht selbst eingegriffen?

"Menschenleben gehen vor alles andere. Das ist in allen Museen der Welt so und auch unser Grundsatz." Diesen Satz sagte Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Ermittlungsbehörden. Deshalb hätten die Wachleute zuerst die Polizei informieren und nicht selbst nachsehen müssen. Dass Wachmänner nicht selbst eingreifen, sei in der Tat üblich, sagte Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes, der Deutschen Presse-Agentur. "Die Täter gehen manchmal auch mit großer Brutalität vor." Das Gewaltpotenzial sei da sehr hoch "und die Wachleute sind ja keine ausgebildeten Einzelkämpfer". Anders als zunächst bekanntgegeben, waren die Wachleute bewaffnet. Details wurden aber nicht genannt.

Hatten die zwei Einbrecher weitere Helfer?

Schon am Montag war die Polizei davon ausgegangen, dass ein Fluchtauto bereitstand. Am frühen Dienstagnachmittag teilten die Ermittler mit, dass sich dementsprechende Hinweise bestätigt hätten. Demnach seien die Täter mit einem Audi A6 vom Tatort geflüchtet. Kurze Zeit später hätten sie den Wagen in einer Tiefgarage an der Kötzschenbroder Straße in Brand gesetzt. Im Wrack des Fahrzeugs habe man Spuren vom Tatort gefunden, hieß es.

Fest steht auch, dass es zum Zeitpunkt des Einbruchs stockdunkel am Dresdner Schloss war. Da kurz zuvor ein Elektroverteiler nahe des Schlosses brannte, leuchtete kein Straßenlicht. Da der Verteilerkasten offenbar vorsätzlich in Brand gesetzt wurde, gehen die Ermittler davon aus, dass die Täter gezielt vorgingen, um unbemerkt in das Schloss zu kommen. Wie viele Täter an dem Einbruch insgesamt beteiligt waren, ist allerdings noch offen.

Hatten die Täter Insiderwissen?

Auch diese Frage ist noch nicht geklärt. Im Internetauftritt der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gibt es auch einen virtuellen Rundgang durch das Grüne Gewölbe. Dessen Juwelenzimmer gilt als der prachtvollste Raum der Sammlung. In vier Hightech-Vitrinen liegen verschiedene Kostbarkeiten mit Brillanten, Diamanten, Smaragden, Rubinen und Saphiren.

Michael John sagte aber: "Die Täter sind mit hoher krimineller Energie und Vorsatz an den sächsischen Staatsschatz herangetreten." Der Angriff sei außergewöhnlich gut vorbereitet, ausgeführt und nachbereitet worden. Aus diesem Grund gehe man auch von Insiderwissen aus. "Das wäre eine schreckliche Vorstellung", sagte SKD-Generaldirektorin Ackermann. Aber es sei offensichtlich, dass die Einbrecher detaillierte Kenntnis hatten.

Gab es auch Sicherheitsvorkehrungen, die gegriffen haben?

Ja. "Aus der einen Vitrine mit drei Garnituren sind noch relativ viele Werke verblieben", sagte Generaldirektorin Ackermann am Montagabend im ZDF. "Die Täter konnten nicht alles mitnehmen, weil alle Objekte auch einzeln befestigt waren, sie waren mit Stichen vernäht mit dem Untergrund." Ackermann sprach von einem "sehr komplexen" Sicherheitssystem im Residenzschloss. Es seien "mehrere Alarme ausgelöst worden, beim Einbruch selbst, durch die Bewegungsmelder im Raum, beim Aufbrechen der Vitrine und die Polizei ist beim ersten Alarm informiert worden." Das Sicherheitskonzept werde nun erneut gecheckt. "Es muss sicher geprüft werden, wie die Sicherheit noch gesteigert werden kann." Museumsbundpräsident Eckart Köhne sah auch die Tatsache, dass der Einbruch bemerkt und auf Video aufgezeichnet wurde, als Zeichen dafür, dass die Sicherheitsmaßnahmen gegriffen hätten. "Es ist nicht unbemerkt geblieben, was es auch gibt", sagte er.

Wie hoch ist der Schaden durch den Diebstahl?

Der Wert des Diebesguts lässt sich nicht beziffern, sagte Generaldirektorin Ackermann am Montag. Die besondere Bedeutung liege weniger im Materialwert als in der Vollständigkeit des Ensembles. Allerdings haben die Diebe weniger Beute gemacht als zunächst befürchtet. "Es sind zum Glück noch mehr Stücke da, als wir gedacht haben", sagte Ackermann am Dienstag nach einer ersten Besichtigung der betroffenen Vitrine.

Mit der Kappung der Straßenbeleuchtung am Schloss haben sich die Diebe aus Sicht der SKD einen Bärendienst erwiesen. Sie hätten in der Dunkelheit viele Stücke übersehen. "Die Vitrine ist in einem fürchterlich desolaten Zustand", sagte Syndram. Sie habe drei Löcher.

"Von der Brillantgarnitur sind sehr wichtige Schmuckstücke herausgenommen worden", sagte Syndram. Dazu gehöre die Epaulette, eine Achselklappe mit dem "Sächsischen Weißen". Aber der zahlenmäßig größere Teil der Garnitur wie Schuhschnallen und Knöpfe sei noch da. Der brillante Hofdegen sei nicht in Reichweite der Diebe gewesen und auch die beiden Perlenketten der Königin blieben verschont, darunter "die unschätzbar wertvolle mit sächsischen Süßwasserperlen".

Bei der Sammlung der Diamanten der Königin fehlen laut Syndram die Große Brustschleife und das Collier, "aber die kleineren Teile sind da". Die Diamantrautengarnitur ist weitgehend weg, die Steine allein seien aber wertlos. "Die Diamantrauten markieren einen Schliff, der im 16. und 17. Jahrhundert beliebt war und dann nicht mehr", erklärte Syndram. "Die können nicht so umgeschliffen werden, das wissen auch die Diebe." Diese Stücke seien kulturell höchst bedeutend, hätten ansonsten nur Materialwert.

Von den zehn wichtigen Schmuckstücken, die auf einer am Montag veröffentlichten Verlustliste standen, seien zwei doch nicht gestohlen. "Der große Ordensstern ist abgestürzt und verbeult", sagte Syndram. "Das lässt sich alles wieder hinbekommen."

Die Täter hätten allerdings ein weißes Pulver - wahrscheinlich aus einem Feuerlöscher - versprüht, um Spuren zu verwischen. Das genaue Ausmaß des Verlustes und der Beschädigungen wird nun ermittelt.

Wann kann man das Grüne Gewölbe wieder besuchen?

Für die Öffentlichkeit wird das historische Grüne Gewölbe im Dresdner Stadtschloss vorerst nicht zugänglich sein. Dem MDR sagte Museumsdirektor Dirk Syndram, dass die Sammlung wohl längere Zeit geschlossen bleibe.

Mit Material der Deutschen Presse-Agentur.

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