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Dresden: Angeklagter ersticht Zeugin:Der Platz auf der Schaukel

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Es ging nur um eine kleine Sache - doch plötzlich stach der Angeklagte zu: Eine Frau starb in einem Dresdner Gerichtssaal, mehrere Menschen wurden verletzt.

Renate Meinhof

Gerichtssäle zählen in Deutschland zu den Orten, von denen man glaubt, dass sich ein Mensch, zumindest was seine körperliche Unversehrtheit betrifft, einigermaßen sicher fühlen kann. Mitten aber in einem Dresdner Gerichtssaal hat am heutigen Mittwoch ein Angeklagter in seinem Strafprozess eine Zeugin mit Messerstichen so schwer verletzt, dass sie kurz darauf starb. Dabei ging es um Worte. Nur um Worte, möchte man sagen. Es ging um eine Beleidigung.

Gegen 10 Uhr 30 hatte der Angeklagte Alex W. im Dresdner Landgericht die Frau angegriffen. Sicherheitsbeamte waren nicht im Saal. Polizisten, die gerufen wurden, überwältigten den Mann, der aus Perm in Russland stammen soll und jetzt vernommen wird. Er ist 28 Jahre alt. Aus einer Waffe löste sich ein Schuss, mehrere Menschen, heißt es, wurden verletzt. Weil ein Schuss gefallen war, wurde sofort für das gesamte Gebäude eine Amokwarnung ausgegeben. Etwa 500 Menschen arbeiten hier, niemand sollte zunächst sein Zimmer verlassen.

Unfassbare Tat

"Alle hier stehen unter Schock, es ist eine fürchterliche Situation", sagt Christian Avenarius, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Zu dem Gewaltausbruch sei es während einer Berufungsverhandlung zu einem Beleidigungsdelikt gekommen. In welcher Beziehung Täter und Opfer zueinander stehen, ist noch nicht klar.

Alles werde jetzt geprüft. "Für die Unberechenbarkeit des Täters" habe es keine Anhaltspunkte gegeben, "es ging um eine Geldstrafe um mittleren Bereich". Alltagsgeschäft für Juristen. Alex W. war vom Dresdner Amtsgericht im vergangenen November verurteilt worden. Eine Geldstrafe im mittleren Bereich. 50 bis 60 Tagessätze, vielleicht.

Dafür stirbt ein Mensch?

Das Opfer war 32 Jahre alt und soll aus Ägypten stammen. Alex W., heißt es, habe die Frau im August 2008 auf einem Spielplatz in Dresden massiv beleidigt. Er, der damals arbeitslose Lagerfacharbeiter, habe sie unter anderem als "Terroristin" beschimpft. Mit einem Kind seiner Schwester sei er auf dem Spielplatz gewesen, die Frau mit ihrem eigenen Kind. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts gab es Streit um den Platz auf der Schaukel, den Alex W. selbst eingenommen hatte. Die Frau bat darum, er möge ihn für ihr Kind freimachen. Daraufhin habe er sie beleidigt.

Ob Alex W. psychisch auffällig gewesen sei, auch dazu kann Christian Avenarius noch nichts sagen. Sicherheitsschleusen an den Eingängen, Taschenkontrollen für jeden Besucher, wie sie, zum Beispiel, in Berliner Gerichtsgebäuden üblich sind, gibt es in Dresden nur dann, wenn man Hinweise auf mögliche Gefährdungen hat. Die gab es im Fall des Alex W. nicht. Die Sprecherin des Landgerichts, Bettina Garmann, sprach von einem "Super-Gau".

Erst im April hatte es in Landshut in Bayern eine Bluttat in einem Gericht gegeben. Ein jahrelanger Streit, der sein Ende darin fand, dass ein Mann seine Schwägerin erschoss, eine zweite Schwägerin schwer verletzte, dazu einen Anwalt, und sich dann selbst das Leben nahm. Es ging um Geld. Nur um Geld, möchte man sagen.

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SZ vom 02.07.2009/vw
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