Drei, zwei, eins:Countdown in Hamburg

Wer sind die Nachfolger von Rudolf Augstein? Darüber ist fast zwei Jahre nach seinem Tod ein heftiger Streit entbrannt. Mehrere Anwälte verdienten an dem Machtkampf, der sich jetzt vor dem Bundeskartellamt entlädt.

Von Hans-Jürgen Jakobs

Wenn es um die Zukunft seines Spiegel ging, liebte Rudolf Augstein das Spiel mit dem Ungewissen. "Wenn ich weg bin, bin ich weg", sagte der Zeitschriftengründer im Frühjahr 2001: "Meine Nachfolger müssen selbst entscheiden. Das sind ja geschulte Leute, die brauchen den Rat eines Toten nicht mehr."

Es geht um Macht, um viel Geld und um die Ausrichtung einer journalistischen Institution, die einst in der Hauptstadt Bonn politische Krisen auslösen konnte.

Wird das Nachrichtenmagazin verlängerter Teil des Bertelsmann-Konzerns und seiner Hamburger Verlagstochter Gruner + Jahr (Stern)? Überlebt das in den Revoluzzertagen der frühen siebziger Jahre entstandene Modell der Selbstverwaltung, bei der mehr als 50 Prozent der Geschäftsanteile den Mitarbeitern übertragen wurden? Bleibt Chefredakteur Stefan Aust, 58, die Nummer Eins? Und: Was ist eigentlich mit den vier Kindern des Verlegers, einer unruhig gewordenen Erbengemeinschaft, die von Jakob Augstein, 37, angeführt wird?

Ein Vakuum hinterlassen

Rudolf Augstein hat ein Vakuum hinterlassen, das derzeit mit juristischen Expertisen gefüllt wird. "Aus Sicht der Beteiligungsgesellschaft für Spiegel-Mitarbeiter tritt G + J gewissermaßen an die Stelle von Rudolf Augstein", schreibt der Gutachter Professor Peter Behrens für die Belegschaft, den Hauptgesellschafter des Verlags.

Tatsächlich sehen Vereinbarungen aus dem Jahr 1971 vor, dass mit Augsteins Tod dessen Anteilspaket kleiner wird und von 25 Prozent auf 24 Prozent sinkt. Das Bundeskartellamt prüft (Az: B6-84/04).

Dieses eine Prozent soll zur Hälfte an die Mitarbeiter KG (sie hält künftig also 50,5 Prozent) und an G + J (künftig 25,5 Prozent) gehen - da aber für alle wichtigen Gesellschafterbeschlüsse eine Mehrheit von 76 Prozent der Stimmen nötig ist, hätten die Augstein-Kinder in der Firma ihres Vaters nichts zu sagen.

Aus drei Entscheidern werden zwei: Es würde genügen, dass sich Spiegel-Mitarbeiter und G + J einigen. Der Zwang zur Einstimmigkeit aller Gesellschafter, so wie er Jahrzehnte bestanden hat, fiele damit weg.

Brief nach Gütersloh

Vor allem aber redet die Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr nun bei wichtigen Fragen mit, die früher Augstein und die Mitarbeiter mit einer besonderen 75-Prozent-Mehrheit allein regeln konnten. Gutachter Behrens zählt die fraglichen Positionen auf: Richtlinien für die redaktionelle Gestaltung des Spiegel, Organisation der Redaktion, Vereinbarung von Redaktionsstatuten, Berufung eines Herausgebers und vor allem: Einstellung und Entlassung von Chefredakteuren.

"Entscheidungen gegen Gruner + Jahr sind nicht mehr möglich", urteilt Behrens, "insofern erweitert sich die Vetoposition von Gruner + Jahr." Der Großverlag erhalte "einen für das publizistische Profil des Spiegel maßgeblichen Einfluss", den er bisher nicht hatte.

Im Markt der politischen Wochenblätter decken Spiegel und Stern (Auflage: jeweils knapp eine Million Exemplare) bei Lesern und Anzeigenkunden zusammen rund zwei Drittel ab. Nur Focus und Zeit sind nennenswerte Rivalen. Augstein selbst sagte, der Stern sei "für uns die wichtigste Konkurrenz".

Gegen zu viel Konzernmacht beim Spiegel kämpft der erste Geschäftsführer der Mitarbeiter KG, Thomas Darnstädt; Jakob Augstein gilt als sein natürlicher Verbündeter. Derzeit geht es um die Verlängerung des Chefredakteurs-Vertrags von Stefan Aust um fünf Jahre.

Aust gegen Augstein-Kinder

Auch spielt eine Rolle, ob sich der umtriebige Chefredakteur an Spiegel TV beteiligen kann. Aust muss nach Lage der Dinge einen Erfolg der Augstein-Kinder beim Kartellamt besonders fürchten.

In der kommenden Woche wird die Mitarbeiter KG von der Wettbewerbsbehörde zur Lage im Hamburger Magazin befragt. Bis zum 10. September melden sich die Wettbewerbshüter mit einer ersten Einschätzung; wahrscheinlich wird bis Mitte Dezember geprüft. Am 22. September trifft man sich beim Spiegel zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung - sie dürfte turbulent werden.

Jakob Augstein, der viele Jahre Redakteur der Süddeutschen Zeitung war, kämpft mit Leidenschaft um dieses verflixte eine Prozent. Er gab der Welt am Sonntag ein kantiges Interview, zeigte sich sockenlos im Café und verweist darauf, dass sein Vater in seinen letzten Lebensjahren versucht habe, den Verkauf des Spiegel-Prozents rückgängig zu machen.

"Der Senior hat wirklich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt", sagt ein langjähriger Spiegel-Mann. Rudolf Augstein setzte auch auf die Mitarbeiter KG, die er in dieser Sache zum einstigen G+J-Chef Gerd Schulte-Hillen schickte. Vergeblich. Später schrieb er auch zwei Briefe an den Bertelsmann-Patron Reinhard Mohn, doch der lehnte ab.

"Ich bin für Sie zuständig"

Anfang 2003 schickte auch Jakob Augstein einen Brief nach Gütersloh, an die jetzige Konzernherrscherin Liz Mohn. Sie verwies freilich kurz auf die "Corporate Governance" in ihrem Haus und reichte die Angelegenheit an Vorstandschef Gunter Thielen weiter - der wiederum auf G+J-Chef Bernd Kundrun übergab. Und der riet von solchen Schreiben an die Mohn-Familie ab: "Ich bin für Sie zuständig."

Countdown in Hamburg

Der kämpferische Erbe hat sich gleich mit mehreren Gutachten munitioniert. Medienexperte Horst Röper erläutert die konzerninternen Abstimmung von Verlagsobjekten, der Mainzer Publizistikprofessor Hans Mathias Kepplinger warnt: Angesichts des starken Wettbewerbs zwischen Spiegel und Stern und des nicht voll ausgeschöpften Marktpotenzials beider Blätter in der Leserschaft des jeweiligen Konkurrenten könnte G + J "durch eine Neubesetzung der Chefredaktion des Spiegel eine im übergeordneten wirtschaftlichen Interesse des Verlages liegende Neupositionierung des Spiegel zu Lasten des bisherigen Wettbewerbs sicherstellen".

Es sei "von besonderem Gewicht", dass G + J gemeinsam mit der Mitarbeiter KG und ohne Rücksicht auf die Augstein-Erben den oder die Chefredakteur(e) bestimmen kann", schreibt Professor Rainer Bechtold von der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz: "Die bisherigen spezifischen Interessen von Rudolf Augstein kommen nicht mehr zur Geltung.

Die Strategiefrage

Seine Erben können weder aktiv irgend etwas bewirken noch passiv irgend etwas verhindern." G + J würden sich "ganz neue Strategiemöglichkeiten" erschließen, findet Bechtold. Das Bundeskartellamt habe derartige Strategiefragen bei der Untersagung der Fusion von Berliner Zeitung und Tagesspiegel berücksichtigt.

Es würde, glaubt der Gutachter, "die Beteiligungserhöhung von Gruner + Jahr voraussichtlich untersagen". Die Kernfrage ist nun: Liegt eine wichtige "Verengung" der Kontrolle im Nachrichtenmagazin vor?

In der Zentrale von G + J am Hamburger Baumwall, 600 Meter westlich vom Spiegel direkt am Hafen gelegen, werden Spekulationen über eine neue Nähe dementiert. Erst waren die Hanseaten über das öffentliche Gezerre pikiert, dann entschlossen sie sich zum Widerstand. Man sei ja kein politischer Moloch, sagen sie bei G + J, sondern pflege das "Chefredakteursprinzip", wonach die Redaktionen frei arbeiten könnten. Zudem bleibe der Verlag Minderheitsgesellschafter.

Für den Vorstandschef Kundrun, 46, steigern die einst abgemachten Regelungen für den Todesfall Augsteins den Wert des eigenen Spiegel-Pakets erheblich: Man verwirkliche nur alte Verträge von 1971, sagt er; damals wollte der Spiegel-Eigentümer Augstein sein Blatt absichern, da einige Unionspolitiker im Verbund mit konservativen Verlegern einen Anzeigenboykott gegen das Magazin organisierten, das der sozialliberalen Koalition des Willy Brandt zugetan war. Für 25 Prozent am Spiegel überwies G + J 40 Millionen Mark.

Nicht mit aller Kraft gekämpft?

Es handele sich bei den strittigen Punkten "um höchstpersönliche Rechte von Rudolf Augstein, die deshalb nicht auf seine Erben übergegangen sind", schreibt Professor Gerhard Wiedemann von der Düsseldorfer Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer nun in seinem Gutachten für G + J. Das sei kein Fall fürs Kartellamt.

Die neue Mitsprache von G+J bei der Ernennung des Chefredakteurs besitze für den wirtschaftlichen Erfolg eines Blattes "keine wesentliche Bedeutung": Der erste Journalist beim Spiegel habe keinen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Spiegel KG.

Experte Wiedemann hat das Innenleben des Spiegel beobachtet: "Der Antagonismus zwischen Mitarbeiter KG und G+J ist nach dem Tod von Rudolf Augstein eher größer als vor seinem Ableben. Rudolf Augstein hat bei einer Reihe von Entscheidungen in der Vergangenheit einen mäßigenden Einfluss auf die Mitarbeiter KG und auf G + J ausgeübt."

Zu den Streitpunkten gehörten die Konditionen, zu denen Gruner + Jahr den Spiegel druckt. Sie waren offenbar so marktfern, dass es dem Spiegel-Management unter Karl Dietrich Seikel in einer Einigung von April 1997 gelang, die Druckkosten schubweise deutlich zu senken. Von dem Einspareffekt, der allein in den ersten fünf Jahren bei 160 Millionen Mark lag, profitiert der Spiegel heute: Zwar sind die Werbeerlöse stark gefallen, die Gewinne stiegen trotzdem. Ohne die Korrekturen wäre der Verlag wohl übernahmereif.

Am vergangenen Freitag ist G+J-Chef Kundrun nach Bonn zum Kartellamt gereist: zur Landschaftspflege. Die Beamten dort haben jüngst dem Hamburger Zeitschriftenverlag sogar nachträglich den Erwerb einer Lizenz für National Geographic untersagt.

Leicht frostige Stimmung

Die Stimmung wirkt leicht frostig, seitdem G + J beim Verkauf der Berliner Zeitung das Kartellrisiko an den Erwerber Holtzbrinck übertragen und somit einen heiklen Fusionsfall geschaffen hat. Die Aufstockung beim Spiegel meldete der Verlag erst sehr spät an. Was werden die Wettbewerbshüter nun tun?

Sicher ist: Bei einer Ablehnung wird Gruner + Jahr klagen. Intern verbreiten Kundruns Führungskräfte zu der brisanten Ein-Prozent-Frage, Rudolf Augstein habe nicht mit voller Kraft gekämpft, etwa mit einer Pressekonferenz zur Sache. Der Magazin-Gründer sei halt ein "Dialektiker" gewesen und habe möglicherweise mit seinen Briefen an Mohn nur etwas abarbeiten wollen, wozu er gedrängt worden sei.

Egal, wie der Streit um Deutschlands "Sturmgeschütz der Demokratie" auch ausgeht, in seiner Selbstbespiegelung hatte Patriarch Rudolf Augstein zweifelsohne Recht: Sein schwieriges Haus, meinte er hellsichtig, könne man "gar nicht richtig bestellen".

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