Drei Tage Terror in Frankreich:Protokoll des Schreckens

Lesezeit: 7 min

Polizisten in Dammartin-en-Goele in Paris

Polizisten gehen in Dammartin-en-Goele hinter einem Einsatzwagen in Deckung. Ein paar Meter entfernt, in einem Druckerei-Gebäude, hatten sich die Attentäter verschanzt.

(Foto: AP)

Nach den Morden in der "Charlie Hebdo"-Redaktion suchten 88 000 Polizisten und Soldaten drei bewaffnete Terroristen. Deren Namen sind bekannt, also scheint ihre Ergreifung nur eine Frage der Zeit zu sein. Dann bringen die Islamisten Geiseln in ihre Gewalt.

Von Annette Zoch, Luisa Seeling und Andrea Bachstein

Es war an Dramatik kaum zu überbieten. Die Uhr zeigte 17.20, als die ersten Meldungen vom Tod der beiden Attentäter eintrafen: erschossen in ihrem letzten Versteck in dem kleinen Ort Dammartin-en-Goële nördlich von Paris. Ihre Geisel - frei. Nur Minuten später dann eine weitere Nachricht. Auch die Geiselnahme im Osten von Paris, die seit dem Nachmittag die Anspannung im Lande fast zum Zerreißen gebracht hatte, ist zu Ende. Der Gewalttäter tot- wie auch vier der Geiseln.

Schon Stunden zuvor war klar geworden, dass in dem idyllischen Schlafstädtchen, ganz in der Nähe des Pariser Flughafens Charles-de-Gaulle, das Drama ein Ende finden dürfte, das ganz Frankreich seit Mittwoch im Griff hatte. Ein schreckliches Ende - nicht zuletzt deshalb, weil nicht weit entfernt, am östlichen Stadtrand von Paris, ein weiterer Attentäter sein grausames Werk begonnen hatte. Mit zwei Sturmgewehren bewaffnet, nahm er in einem koscheren Supermarkt gleich mehrere Menschen als Geiseln. Der Täter hatte, wie sich bald herausstellte, enge Verbindungen zu den beiden Brüdern, die am Mittwochmorgen mitten in Paris die Redaktion von Charlie Hebdo heimgesucht hatten. Die Schreckensstarre, die Frankreich seit diesem Mordmorgen erfasst hatte, rührte von der Gewissheit, dass es sich bei den Attentätern um kaltblütige Killer handelte, von denen zumindest einer in den Terrorcamps von al-Qaida in Jemen ausgebildet worden war. Sie hatten um 11.30 Uhr am Mittwochvormittag die Zeichner und Redakteure der Satirezeitschrift erschossen, und sie kannten auch keine Gnade für einen am Boden liegenden Polizisten. Das Massaker dauerte nur fünf Minuten, zwölf Menschen waren am Ende tot und elf zum Teil schwer verletzt.

Keine Skrupel

Anschlag auf "Charlie Hebdo" - Fluchtweg der Täter

Auch auf ihrer Flucht kennen die Täter keine Skrupel. Noch in Paris, auf dem Weg zur Porte de Pantin im Nordosten der Stadt, zwingen sie einen Fahrer, ihnen seinen Wagen zu überlassen. Um 23 Uhr am Mittwochabend wächst der Verdacht, dass die Terroristen sich, 150 Kilometer entfernt, bei Reims verkrochen haben könnten. Spezialeinheiten finden sie aber nicht.

Gegen 9.30 Uhr am Donnerstagmorgen eine weitere Terrortat: Eine Polizeibeamtin kommt bei einer Schießerei in Montrouge im Süden von Paris ums Leben. Einer ihrer Kollegen wird schwer verletzt. Noch weiß keiner, dass der Täter mit den beiden Brüdern Kouachi in Verbindung steht. Die werden zwei Stunden später im Nordosten des Landes gesehen, in Aisne. Eine beispiellose Jagd beginnt. 88 000 Polizisten und Soldaten sind im Einsatz.

In Nordfrankreich zieht sich die Polizei gegen 22.30 Uhr aus dem Waldstück bei Longpont westlich von Reims zurück. Die Suche aber wird fortgesetzt. Mindestens fünf Hubschrauber mit Wärmebildkameras sind im Einsatz. Vermutungen, die Täter könnten zu Fuß flüchten, bestätigen sich nicht. Sie sind weiter mit ihrem Renault Clio unterwegs. Dann ist scheinbar Ruhe für die Nacht.

Die Attentäter zwingen eine Frau auf den Rücksitz

Bis zu dem Moment, zu dem rund einen Kilometer vom Dorf Montagny-Sainte-Félicité entfernt die Täter auf einer Landstraße einen Peugeot 206 stoppen. Es ist mittlerweile Freitag, kurz nach acht Uhr morgens. Die beiden zwingen die Fahrerin auf den Rücksitz. Nach ein paar Kilometern lassen sie die geschockte Frau aussteigen. Sie wird von Psychologen betreut, berichtet Le Figaro.

Um 9.20 Uhr werden dann Schüsse an der Route Nationale 2 Richtung Paris gemeldet. Die beiden Hauptverdächtigen würden verfolgt, teilt die Polizei mit. Es gibt keine Verletzten. Hubschrauber kreisen nun über dem Ort Dammartin-en-Goële, gerade einmal zehn Kilometer Luftlinie von den Startbahnen des Flughafens Paris-Charles-de- Gaulle entfernt. Zwei maskierte Männer haben offenbar im Gewerbegebiet des Ortes Geiseln genommen. Zuerst heißt es, die Täter seien in eine Druckerei eingedrungen, dann ist von einem Aldi-Lager die Rede. Später bestätigt sich: Die Männer haben sich im Unternehmen "Creation Tendance Découverte" verschanzt.

Die Firma CTD stellt unter anderem Werbe-Schilder und Messestände für Unternehmen her. Im Gebäude sollen die Brüder ihre Geiseln genommen haben. Wie viele ist zunächst nicht klar. Ein Mitarbeiter von CTD, der der Geiselnahme entgehen konnte, bestätigt dem Figaro, die beiden bewaffneten Männer vor der Firma gesehen zu haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema