Ronja Maltzahn wurde von einer Klima-Demo ausgeladen, weil die Musikerin Dreadlocks trägt. Wenn Weiße diese Frisur tragen, sei dies kulturelle Aneignung, schrieben die Hannoveraner "Fridays for Future"-Aktivisten der Sängerin. Seither hagelt es negative Google-Bewertungen für die Lokalgruppe, viele Menschen sind empört, die Klimaaktivisten werden mit Rechtsextremen verglichen. Dabei sollte es bei der Demo doch um "People not Profit" gehen, um die Menschen statt um Profit, sie sollte gegen Ausbeutung und Unterdrückung durch Kolonialismus und Kapitalismus sein. Und dann wird einer Sängerin wegen Äußerlichkeiten abgesagt?
Die Empörung mag neu sein, das Thema nicht. Lady Gaga trug mal Dreadlocks, Justin Bieber, Miley Cyrus - und meistens blieb die Kritik nicht aus. Als das Modelabel Valentino 2016 seine Models mit Dreadlocks und Cornrows über den Laufsteg gehen ließ, unter dem Motto "Primitiv, tribal, spirituell und doch majestätisch", gab es einen Shitstorm, Marc Jacobs ging es später ähnlich. Vergleichbare Debatten gab es immer wieder um Federschmuck, Kimonos, Cornrows, Creolen-Ohrringe und das Twerken.
Besonders verbreitet unter Weißen sind Dreadlocks ausgerechnet in linken Kreisen - also genau dort, wo auch die Kritik herkommt. Dort stehen sie für Individualität, Unangepasstheit und linke Rebellion. Auch die Seawatch-Kapitänin und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete und die ehemalige grüne Kulturministerin Schwedens, Amanda Lind, tragen die Haare verfilzt. Lind wurde deshalb "Ministerin der kulturellen Aneignung" genannt. Denn auch wenn sie heute oft rein modisch betrachtet werden: Die Geschichte der Dreadlocks ist politisch.
Frisuren vor Gericht:Lizenz zum Flechten
Viele weiße Frauen tragen Dutch Braids und andere afrikanische Frisuren. Aber ist es nicht rassistisch, einen auf Schwarze zu machen?
Dreadlocks wurden schon vor Jahrtausenden etwa von Geistlichen bei Hinduisten, Azteken bis hin zu Sufisten getragen, doch die aktuelle Kritik bezieht sich auf die neuere Geschichte der vor allem schwarzafrikanischen Bevölkerung.
"Dread", wie das englische Wort für "Furcht"
Durch die Rastafari-Bewegung begann in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die weltweite Ausbreitung der Dreadlocks. In der christlich-spirituellen und subkulturellen Gruppierung, die in Jamaika in den 1930er-Jahren entstand, und die einen starken Bezug zum heutigen Äthiopien pflegte, hatten die Filzlocken nicht nur religiöse Bedeutung, sondern galten auch als Zeichen gegen die Unterdrückung schwarzer Menschen. Jamaika war damals britische Kolonie, die Dreadlocks waren eine bewusste Abgrenzung von weißen Schönheitsidealen. Bei Außenstehenden riefen sie Angst, mitunter Ekel hervor, daher auch der Name, der sich vom Englischen dread, Furcht, ableitet. Zusammen mit dem Reggae und dem Marihuana - ebenfalls Vorlieben der Rastafari - brachten Bob Marley und andere Musiker die Dreads schließlich in den 70er-Jahren in die Welt.
Wenn heute also eine weiße Person Dreadlocks trägt, um schöner auszusehen, besser dazustehen, finanziell zu profitieren, übernimmt sie einen Teil schwarzer Kultur, ohne deren Leid und Unterdrückung erfahren zu haben, so der Vorwurf. Musik, Mode, Tanz, Sprache - all das übernähmen Weiße aus der afroamerikanischen Kultur."Everything but the burden", alles außer der Bürde, schrieb der US-Kulturtheoretiker Greg Tate 2003 in seinem gleichnamigen Buch. Und die Bürde ist: jahrhundertelang verweigerte Bürgerrechte, Rassismus, Armut.
Dieser Kritik der cultural appropriation wird gern das Konzept der cultural appreciation, also der kulturellen Anerkennung statt Aneignung gegenübergestellt, bei der man sich mit Respekt einer Kultur nähert und sich darüber informiert. Nur ist Filzhaaren nun mal nicht anzusehen, welche Gedanken durch den Kopf gehen, auf dem sie wachsen. Auch das Argument, dass sich Kulturen gegenseitig annähern, und Schwarze ja auch ihre Haare glätten oder blond färben würden, wird in dieser Debatte gern angebracht. Was allerdings völlig außer Acht lässt, dass Weiße nie mit blonden, glatten Haaren gegen ihre Unterdrückung protestierten.
Ronja Maltzahn jedenfalls betonte nach der Absage in einem Video den kulturell vielfältigen Hintergrund ihrer Band, und dass sie mit ihrer Musik "für Toleranz, für Gender Equality und für Frieden" eintrete. Mit den Klimaaktivisten wolle sie im Dialog bleiben. Denn eigentlich habe man ja dieselben Ziele.