Italien: Flüchtlingsdrama vor Lampedusa:Das Tor nach Europa wird zur Todesfalle

Drama in den Wellen des Mittelmeeres: Den Traum von einer besseren Zukunft in Europa haben erneut Dutzende Flüchtlinge mit dem Leben bezahlt. Nach dem Untergang eines nur 13 Meter langen Seelenverkäufers könnten gar bis zu 250 Bootsflüchtlinge aus Afrika ertrunken sein. Unter ihnen viele Kinder und Frauen. Schwerer Seegang behindert die Rettungsmannschaften - und lässt die Hoffnung auf weitere Überlebende schwinden.

Die Wellen sollen drei Meter hoch gewesen sein, als sie in der Nacht zum Mittwoch das nur 13 Meter lange Fischerboot zwischen Malta und Lampedusa kentern ließen. An Bord: Mindestens 200 Flüchtlinge aus Afrika, die "International Organization for Migration" (IOM) geht sogar von etwa 300 Passagieren aus. Gerettet wurden bislang 48 Menschen, einige schwerverletzt, alle unterkühlt und unter Schock. "Ermattet und sprachlos", beschrieb ein Augenzeuge die Menschen, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa gekommen waren.

Italien: Flüchtlingsdrama vor Lampedusa: Eine Überlebende des Schiffsunglücks wird medizinisch versorgt.

Eine Überlebende des Schiffsunglücks wird medizinisch versorgt.

(Foto: AP)

Die Hoffnung noch weitere Menschen retten zu können, schwindet zusehends. Drei Motorschiffe, ein Flugzeug und ein Helikopter der italienischen Küstenwache suchen noch immer nach Überlebenden. Auch ein maltesisches Flugzeug beteiligt sich an der Suche, etwa 40 Seemeilen von Lampedusa entfernt. Doch schwerer Seegang bei Windstärke 6 behindert die Rettungsaktion. "Wir fürchten, dass es viele Tote gab", sagte einer der Rettungskräfte. Etwa 20 Leichen wurden bislang geborgen.

Die meisten der Flüchtlinge stammten aus Eritrea und Somalia. Das kleine und heillos überfüllte Boot war entgegen ursprünglichen Angaben vor zwei Tagen aus Libyen ausgelaufen. Als es in einen schweren Sturm mit hohem Seegang geriet, kenterte es. Viele Frauen und Kinder seien an Bord gewesen, berichteten die Überlebenden nach Angaben italienischer Medien und erzählten von dramatische Szenen in den Wogen des nächtlichen Mittelmeers: Einige von den Flüchtlingen, die schwimmen konnten, hätten den Nichtschwimmern helfen wollen - und diesen Rettungsversuch mit dem Leben bezahlt.

Doch Augenzeugen erzählten auch von einem kleinen Wunder inmitten der Tragödie: Unter den Geretteten war eine hochschwangere Frau. Sie und das Baby seien wohlauf, zitiert die italienische Nachrichtenagentur ANSA einen Sanitäter.

Die Flüchtlingstragödie rückt einmal mehr die kleine italienische Insel Lampedusa südlich von Sizilien ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Lampedusa, mit 20 Quadratkilometern die größte der Pelagischen Inseln, ist wegen ihrer Nähe zu Afrika seit Jahren für Bootsflüchtlinge das Tor nach Europa. Bis zur tunesischen Küste sind es nur 130 und bis Libyen 300 Kilometer. Zwischen Juli 2008 und Juli 2009 erreichten mehr als 20.000 Einwanderer aus Nordafrika über den gefährlichen Seeweg die Insel. Dann ließ die rigide Abschiebepolitik der konservativen Regierung von Silvio Berlusconi die Flüchtlingsströme stark zurückgehen. So kamen zwischen Juli 2009 und Juli 2010 nur noch etwa 400 Flüchtlinge auf die Insel.

Doch seit in den arabischen Ländern Anfang des Jahres Unruhen, Ausschreitungen, und sogar ein Krieg begannen, trafen erneut mehr als 18.000 Menschen aus Afrika dort ein. Ihre Zahl überschreitet die der Einwohner um ein Mehrfaches: 4500 Menschen leben auf der Insel. Sie protestieren zunehmend gegen die Flüchtlingsströme und drohten bereits mit einer kompletten Blockade der Insel: Sollten die Zahl der Migranten nicht verringert werden, "wird das Leben lahmgelegt, und niemand wird auf der Insel mehr essen können, auch nicht die Einwanderer", drohte einer der Organisatoren der Protestaktionen.

Mittlerweile ist auch die EU über die anhaltenden Flüchtlingsströme besorgt. "Malta und Italien stünden unter extremem Druck", sagte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström als Reaktion auf die Bootstragödie vor Lampedusa. Sie schlug vor, die gestrandeten Flüchtlinge auf alle EU-Länder zu verteilen, um den beiden am stärksten betroffenen Ländern eine Atempause zu verschaffen.

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