Süddeutsche Zeitung

Doppelrolle des Stefan Raab:Satireabschlag in Köln

Mit der ARD will er den Grand Prix gewinnen, gegen die ARD streitet er wegen TV Total: Weil dort Ausschnitte aus Fernsehprogrammen verwurstet werden, verlangt das Erste einige hunderttausend Euro.

Von Klaus Ott

In einigen Wochen begibt sich Stefan Raab nach Istanbul. Dort soll der von ihm entdeckte Sänger Max Mutzke nach vielen Jahren endlich wieder den Grand Prix nach Deutschland holen. Die Reisetickets in die Türkei holten sich die beiden mit großem Vorsprung: Bei der deutschen Vorentscheidung für den Eurovision Song Contest in der ARD stimmten 92 Prozent für Max und dessen Lied Can't wait until tonight, das von Raab stammt.

Der Entertainer hat es längst geschafft, seine Einfälle sender- und systemübergreifend zu vermarkten. Dazu dient ihm vor allem im Privatfernsehen von Pro Sieben das werktägliche TV Total, wo er Sänger Max als Talent ermittelte sowie etwa eine Wok-WM (Rodeln in Bratpfannen) veranstaltet; im Grand-Prix-Wettbewerb der öffentlich-rechtlichen ARD stellt er nun schon zum dritten Mal den deutschen Beitrag. Laut einer Umfrage glauben 40 Prozent der Deutschen an einen Sieg oder einen vorderen Platz von Max in Istanbul.

Vor dem Trip mit der ARD an den Bosporus muss sich Total-Vermarkter Raab aber noch in anderer Sache ausgerechnet mit dem öffentlich-rechtlichen System herumschlagen. Das Kölner TV-Unternehmen Brainpool, das TV Total für Pro Sieben produziert, streitet erbittert mit der ARD. Auch hier geht es um Prozent-Rechnungen; vom Ausgang des Zwists hängt ab, ob Brainpool nachträglich einige hunderttausend Euro zahlen muss.

Die Schnipsel-Show

Die ARD macht für die vielen Ausschnitte aus ihren TV-Programmen, die Raab in seiner Show verwurstet, Urheberrechtsgebühren geltend: 1250 Euro pro Schnipsel. So viel hat das Landgericht in Frankfurt am Main bereits dem Hessischen Rundfunk (HR) in einem Fall zugebilligt - und nun will die ganze ARD für alle Stücke vom Jahr 2001 an kassieren, die aus ihrer Sicht kostenpflichtig sind. Da käme viel Geld zusammen. Kontrahent Brainpool aber mag nicht zahlen. Die Produktionsgesellschaft macht, neben anderen Einwänden, nach Angaben der ARD einen "Satireabschlag" von 70 Prozent geltend.

Schließlich dienten die (unfreiwillig) komischen Situationen aus diversen TV-Programmen, die Raab von Montag- bis Donnerstagabend bei Pro Sieben vorführt, ja der Belustigung des Publikums. Kommt Brainpool damit nicht durch, müsste die Tochterfirma des börsennotierten Musik-TV-Konzerns Viva Medien (der soeben 42 Millionen Euro Verlust für 2003 gemeldet hat) womöglich die Kosten für TV Total drücken - worüber sich Raab wohl nicht freuen würde.

Auf solche Fragen lässt sich die Pressesprecherin von Brainpool erst gar nicht ein. Sie verweist auf den Firmenanwalt Heiko Klatt in Köln. Und der sagt, bei den verwendeten Ausschnitten "handelt es sich nach unserer Auffassung um eine satirische Bearbeitung". Deshalb sei das eine "vergütungsfreie Nutzung".

Wider den schnöden "Bilderklau"

Ein alter Streit beginnt hier also neu. Der Privatsender RTL schickte Brainpool schon vor zwei Jahren eine Rechnung über 802585,60 Euro, Chefredakteur Hans Mahr sprach von "schnödem Bilderklau", mit dem die TV-Firma ihren Gewinn erhöhe. Die Sache war bereits bei Gericht anhängig, am Ende verglichen sich die Kontrahenten jedoch und vereinbarten Stillschweigen. Offenbar zahlt Brainpool bestimmte Summen.

Bei der ARD ist nach deren Angaben ein bescheidenes Angebot von Brainpool eingegangen, das aber abgelehnt wird. Demnach offeriert die Kölner TV-Firma 750 Euro pro Minute, was - minus 70 Prozent "Satireabschlag" - dann 225 Euro pro Minute ergäbe. Das wären umgerechnet 3,75 Euro pro Sekunde. Bei einem 20-Sekunden-Ausschnitt, viel länger sind die Stücke kaum, kämen gerade einmal 75 Euro zusammen. Die ARD verlangt aber 1250 Euro pro angefangener Minute, im Prinzip also pro Schnipsel - und beruft sich auf das HR-Urteil des Landgerichts Frankfurt.

Dagegen hat Brainpool Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt. Anwalt Klatt verweist auf zwei Entscheidungen des Amtsgerichts Köln und des Bundesgerichtshofs, die jeweils einen Ausschnitt in Premiere und Pro Sieben als frei nutzbar und somit vergütungsfrei eingestuft hatten.

Die ARD will laut Justiziarin Eva-Maria Michel vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) den Konflikt "lieber ausprozessieren", als sich auf den Vorschlag von Brainpool einzulassen: "Wenn Brainpool sich nicht deutlich bewegt, müssen wir zum Gericht gehen." Die TV-Firma nutze immerhin in "erheblichem Umfang fremde Leistungen". Hinzu kämen besonders problematische Fälle. So berichte der WDR in seiner Reihe Menschen hautnah sehr sensibel über Leute, die sich in einer Notlage befänden; hier gelte es, das "Persönlichkeitsrecht" zu schützen. "Wir wollen verhindern, dass Ausschnitte aus solchen Sendungen bei Raab gezeigt werden."

Auch bei den von der ARD oft teuer bezahlten Sportübertragungsrechten könne sich TV Total nicht einfach bedienen, sagt Michel. Und schließlich gelte das Recht des "freien Zitats", auf das sich Raab berufe, nur in engen Grenzen. Es müsse sich dann schon um ein neues Werk und eine eigene Schöpfung handeln. Raab verwende die Ausschnitte aber oft unbearbeitet, kritisiert Michel. Im übrigen habe Brainpool an einzelne Anstalten wie den Norddeutschen Rundfunk früher auch gezahlt.

Im April wollen ARD und Brainpool offenbar ein letztes Mal versuchen, sich gütlich zu einigen. Klappt das nicht, dann fährt Raab im Mai in einer Doppelrolle zur Eurovision nach Istanbul - als Partner und Gegner der ARD.

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Quelle:
SZ vom 1.4.2004
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