Doppelmord von Bodenfelde:"Jeden Tag ein Mädchen, bis sie mich erwischen"

Nina starb auf bestialische Weise: Jan O. legt im Prozess um die Morde an zwei Jugendlichen aus Bodenfelde ein grausames Geständnis ab - oder ist das nur die Fantasie des Angeklagten?

Ralf Wiegand, Göttingen

Einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit hat offenbar keiner der Verfahrensbeteiligten gestellt, zumindest erwähnt der Vorsitzende Richter Ralf Günther nicht, dass das Landgericht Göttingen darüber beraten hätte. Also kommt alles in aller Öffentlichkeit zur Sprache, jedes Detail der Morde an Nina und Tobias aus Bodenfelde. Details, für die das Wort "grausam" klingt wie eine Verharmlosung.

Prozess gegen mutmasslichen Doppelmoerder von Bodenfelde

Legte ein erschütterndes Geständnis ab: Jan O. im Gerichtssaal.

(Foto: dapd)

Wenn es stimmt, was der Angeklagte auf 19 Seiten handschriftlich notiert und als "Endgeständnis" ans Amtsgericht Northeim geschickt hat, dann sind die beiden 14 und 13 Jahre alten Kinder am 15. und 20. November vergangenen Jahres einem barbarischen, von sexueller Abart und nekrophiler Lust getriebenem Mann als Zufallsopfer in die Fänge geraten. Wenn es nicht stimmt, wenn dieses Geständnis nur die Fantasien von Jan O. widerspiegelt, dann bringt das Nina B. und Tobias S. nicht zurück ins Leben; aber ihnen wäre wenigstens nicht all das angetan worden, was in den Akten steht.

Der Doppelmord von Bodenfelde hatte im November vorigen Jahres den niedersächsischen Ort auf eine Art schockiert, die bis heute nachwirkt. Am Mittwoch kamen Freunde und Familienmitglieder nach Göttingen zum Landgericht. Sie hängten Plakate an Fenster und Türen und stellten Kerzen auf die Stufen zum Gerichtsgebäude. Die Plakate, mit Wachsmalstiften bunt gestaltet, erinnerten daran, dass da Kinder starben.

Alles war Zufall, so sieht es aus nach dem ersten Prozesstag gegen Jan O., 26, aus Uslar. Die Staatsanwaltschaft hat das, was O. in seinem "Endgeständnis" geschrieben hat, in ihre Anklageschrift übernommen. Sie zweifelt nicht daran, dass es stimmt, und Jan O. ließ über seinen Anwalt am Mittwoch erklären, er gestehe die Taten ein, wie er sie in seinem Brief beschrieben habe.. Am 15. Februar 2011 hatte sich der Untersuchungshäftling O. in seiner Zelle in der JVA Rosdorf an den Tisch gesetzt und, adressiert an die "sehr geehrten Damen und Herren des Amtsgerichts Northeim", seine angeblichen Erinnerungen aufgeschrieben.

Er referierte die Taten, die er drei Monate zuvor begangen hatte. Vor Ermittlungsrichter Christian Bode dieses Northeimer Gerichts hatte O. die ersten Aussagen nach seiner Festnahme gemacht, nur vage Angaben waren es, erinnert sich Bode als Zeuge. Bei einer Vernehmung habe sich O. sogar "eingenässt". Man habe nur mühsam etwas erfahren. Er habe die Taten zwar eingeräumt, über seine Motive aber gar nicht gesprochen.

Und jetzt dieses blutrünstige Geständnis, welches das Gericht in Gänze verlesen lässt. Vor Jugendlichen, vor Ninas Mutter und Halbbruder, vor Freunden der Toten. Er wolle, dass die Angehörigen wissen, was wirklich passiert sei, schrieb Jan O. Man könnte es auch anders sehen, könnte auf den Verdacht kommen: Er will die Angehörigen mit der Präzision seiner Angaben quälen, wie er auch seine Opfer gequält hat.

"Hunger" auf kleine Mädchen

Im Gericht sitzt ihm Ninas Mutter als Nebenklägerin gegenüber. Vor ihr liegt eine rote, verzierte Mappe, "Nina B." hat sie darauf geschrieben. Es sieht aus wie ein Fotoalbum. Während sie O. anschaut, in dieses Gesicht unter raspelkurzem Stoppelhaar, mit den tiefschwarzen Augenbrauen und dem exzentrischen Oberlippenbart, da hält sie sich an der Mappe fest. Nach dem Mord an ihrer Tochter hatte Jan O. bei Facebook eingetragen: "Habe gestern ein Mädchen geschlachtet. Jeden Tag eines, bis sie mich erwischen."

Es ist erstaunlich, wie exakt sich O. erinnert haben will, als er das Geständnis verfasste. Zählt man die Halbliterflaschen Bier zusammen, die er am Tag von Ninas Tod, getrunken haben will, kommt man auf mindestens acht. Trotzdem beschreibt er jedes Detail, nennt Straßennamen, weiß, wann Busse und Züge von Menschen abgefahren sind, die ihm begegneten, in welchem Wartehäuschen er das sechste, siebte Bier getrunken habe ("zwischen Gleis zwei und drei").

Er schildert, wann er die Hand gewechselt hat, mit der er Nina den Mund zuhielt, welche Lebenszeichen sie von sich gab, wie das Stadium seiner Erregung sich mit jeder Eskalation verändert haben soll. Das Gericht liest dieses Geständnis vor, so wie O. es geschrieben hat. Man glaubt zu hören, dass O. auch beim Verfassen des Textes Erregung verspürte.

Nina ist ihm demnach am 15. November zufällig begegnet. Den ganzen Tag habe O. in Bodenfelde herumgehangen, Bier getrunken und, wie er es nennt, "Hunger" auf kleine Mädchen entwickelt. Nina war wohl das vierte Mädchen, das ihm begegnete. Eine Stunde später habe O. eigentlich mit dem Zug zurückfahren wollen nach Uslar, er sei nur noch mal so losgegangen vom Bahnhof, um zu sehen, "ob ich mir noch eine schnappen kann". Nina starb auf unvorstellbar bestialische Weise, später will O. die Leiche mehrmals aufgesucht haben, um sie weiter zu verletzen und sich dabei wieder sexuell zu erregen. Tobias sei ihm an einem solchen Tag begegnet, er habe ihn für ein Mädchen gehalten, in denselben Fichtenwald gezogen wie fünf Tage zuvor Nina - und erstochen.

Abseits aller Grausamkeiten wird der Prozess, in dem drei Gutachter auftreten, klären müssen, wie wenig O. sein Tun tatsächlich steuern konnte. Kann es sein, dass jemand, der zuvor nur ein kleinkrimineller Nichtsnutz war, solche Abarten in sich verschlossen hielt, bis er 26 Jahre alt war? Oder hat er seine kannibalistische Lust erst später dazu erfunden, um interessant genug für die Presse und verrückt genug für die Paragrafen zu werden? Als Kinderschänder im Knast oder als Kranker in der Psychiatrie ist ein Unterschied.

Eigentlich, so hatte O. in einer seiner ersten Vernehmungen gesagt, habe er eine ziemlich extreme Meinung über Leute, die "so etwas" tun. Da müsse die Todesstrafe wieder eingeführt und sofort vollstreckt werden - "und jetzt bin ich selbst so einer".

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