Doppelleben eines Staatschefs:Bekenntnisse einer verschwiegenen Tochter

Sie hatte François Mitterrands ganze Liebe, auch wenn Mazarine Pingeot nie sagen durfte, wes Vaters Kind sie ist. Denn: Der ehemalige französische Staatschef führte ein Doppelleben.

Von Gerd Kröncke

Die Heimlichkeiten des François Mitterrand müssen nicht mehr enthüllt werden, aber eine gewisse Neugier weckt er noch immer, selbst ein Jahrzehnt nach seinem Tode.

Mazarine Pingeot, dpa

"Ihr wisst es nicht, aber das ist mein Papa" - Mazarine Pingeot.

(Foto: Foto: dpa)

So ist diese Woche ein Buch erschienen, "Bouche cousue" ("Versiegelte Lippen"), in dem Mitterrands außereheliche Tochter Mazarine Pingeot, den Mund aufmacht.

Die einst verborgene Hälfte des Doppellebens eines Staatschefs hat etwas beruhigend Banales. Morgens fuhr ihre Mutter Anne mit dem Fahrrad zur Arbeit ins Museum, und Vater François wurde mit dem Auto abgeholt und auch zur Arbeit gebracht. Im Elysée-Palast musste er Frankreich regieren.

Bisweilen fuhr er "ans Ende der Welt" und sie ging ins Lyzeum, schreibt Mazarine. Gelegentlich muss er Danielle, seine Frau, getroffen haben, die sich tapfer an seiner Seite in der Öffentlichkeit präsentierte.

Mazarine Pingeot ist inzwischen eine Frau von dreißig Jahren, und man könnte darüber streiten, ob sie als Romanautorin überhaupt reüssiert hätte, wenn nicht jeder wüsste, wes Vaters Kind sie ist.

Ihr erstes Buch ("Premier Roman") wurde ein Erfolg, weil es, wie sie selber einräumt, überwiegend nicht ihretwegen, sondern wegen Mitterrand gekauft wurde. Auszüge aus ihrer biografischen Niederschrift hat der Nouvel Observa teur soeben veröffentlicht.

Mazarine wurde 1974 als Tochter der Kunsthistorikerin Anne Pingeot geboren, "Vater unbekannt". Mitterrand, an der Schwelle des Alters, hatte plötzlich eine zweite Familie. Seine erste, mit zwei Söhnen und einer großartigen Frau, wurde in den Hintergrund gedrängt.

Danielle Mitterrand, die er in den Tagen der Résistance kennen gelernt hatte, hat nie öffentlich bekannt, ob sie unter der Liaison gelitten hat. Mazarine erwähnt sie kaum. Sie kannte sie nur vom Fernsehen.

Warum weinte Mutter Freudentränen?

Sie hatte schon als kleines Kind geahnt, dass etwas anders war mit ihrem Vater. Als Sechsjährige hatte sie ihn erstmals auf dem Bildschirm gesehen, wunderte sich, wie die Leute außer sich waren, und ihre Mutter Freudentränen weinte. Wie er an der Spitze einer riesigen Menge dahinschritt.

Mitterrand war, 1981, erstmals zum Präsidenten gewählt worden. Das Mädchen durfte nicht "Papa" sagen, wenn Fremde dabei waren. Andere Kinder hatten Väter, nur sie durfte keinen haben. In der Schule, einem feinen Gymnasium, wurde nicht nachgefragt. Es hatte diskrete Hinweise von höchster Stelle gegeben.

Als Mitterrand sieben Jahre später wiedergewählt wurde, war sie bei der Siegesfeier dabei und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass alle Welt wüsste, wer sie war. Und doch ist Mazarine, wie schwer es auch gewesen sein muss, eine verborgene Tochter zu sein, glücklich mit dem Vater gewesen. Er kam regelmäßig in die Wohnung am Seine-Ufer in der Nähe des Eiffelturms. Die gehörte dem Staat und war vor allem gut zu überwachen.

Bekenntnisse einer verschwiegenen Tochter

Sicherheitskräfte mussten ständig präsent sein. Schließlich verbrachte der Präsident die meiste Zeit seines Privatlebens mit der Zweitfamilie. Die Geliebte war etwa so alt wie seine Söhne, die gemeinsame Tochter war ihm lieb und teuer wie sonst gar nichts.

Amüsant und aufregend

Das hatte sie den beiden Halbbrüdern voraus. Besonders für Jean-Christoph war der Name Mitterrand eine Belastung. Inzwischen geht er auf die sechzig zu, hat sich in manche Affäre verstrickt, ist verfolgt worden von den Medien und wegen undurchsichtiger Geschäfte auch von der Justiz.

Zudem wurde er oft verspottet. "Papamadit", hat ihn der mitleidlose Canard enchaîné genannt, "Papahatmirgesagt", ein Spitzname, der allenthalben aufgegriffen wird. Als er dem Patriarchen eines Tages ankündigte, er werde Mazarine treffen, nahm der alte Mitterrand das völlig kommentarlos auf. Er hat ihm, erinnerte sich der Sohn, nie von ihr gesprochen, nicht vorher und nicht später.

Die Söhne haben "unter der erdrückenden Persönlichkeit des Vaters gelitten", analysiert der frühere sozialistische Minister Jean Glavany, Mazarine hingegen fühlte sich behütet. Jean-Christoph wollte nicht "Prinz eines Königs" sein, sondern nur "Kind eines Vaters"-Mazarine durfte es sein.

Der Vater hat ihr alles gegeben, bis auf seinen Namen. Ihren Taufnamen hatte er ausgewählt, und dass der an Jules Mazarin, den mächtigen Kardinal-Staatsmann des 17. Jahrhunderts, erinnert, kann kein Zufall sein.

Manchmal ist sie im Elysée-Palast gewesen. Mutter Anne kam mit dem Fahrrad angeradelt und konnte das Tor passieren, Tochter Mazarine wurde mit dem Auto geholt, und wenn man von den Champs-Elysées abbog, musste sie sich im Fond der Karosse ganz klein machen.

Gemeinsam Platten gehört

Sie fand das amüsant und aufregend. Die Menschen im Büro kannten sie nicht. "Ihr wisst es nicht", dachte sie dann, "aber das ist mein Papa." Sie wollte zu gern, dass man es bemerkte und hatte doch Angst davor. Manche wussten Bescheid, Vertraute Mitterrands oder auch niedere Chargen, Sicherheitsleute dachten sich ihren Teil.

Zu Hause haben Vater und Tochter Platten gehört, Jacques Brel und Léo Ferré und Barbara, und mitunter hat er sie ins Konzert mitgenommen. Dann saßen sie in der Ehrenloge, der Präsident ganz in Schwarz und von statuenhaftem Ernst. Hinterher ging er mit ihr in die Künstlergarderobe und stellte sie vor als "Mazarine, die Sie sehr bewundert". Dann wurde sie rot vor Verlegenheit.

Gelüftet wurde das Geheimnis endlich von Paris Match. Ein Paparazzo hatte vor einem Restaurant an der Place des Invalides ein Foto von Vater und Tochter geschossen, das Mädchen wurde enttarnt. Sie wohnte schon nicht mehr zu Hause, als der Vater, "es war ein Donnerstag", sie anrief: "Mach dich auf etwas gefasst."

Das änderte ihr Leben, und er war schon krank auf den Tod. Es gab letzte Ferien, ein letztes Weihnachtsfest zu dritt und schließlich eine Reise nach Ägypten. Er wollte noch einmal eine Fahrt auf dem Nil machen, Assuan besuchen, den weiten Sand der Wüste sehen. Mazarine fühlte, ihr Vater nahm damit Abschied vom Leben und der Welt.

Als er starb, ist sie mit ihren beiden Halbbrüdern und Baltique, dem Labrador, nach Jarnac geflogen, wo er begraben wurde. "Als wir das Flugzeug verließen, wussten wir, dass wir gleich wieder zu unseren Müttern gehen würden."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: