Süddeutsche Zeitung

Diren-Prozess in Missoula:Sachverständige der Verteidigung kritisieren die Polizei

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Im Prozess um den Tod des deutschen Austausschülers Diren D. vor dem Bezirksgericht in Missoula wurden am Montag die letzten Zeugen gehört. Richter Ed McLean kündigte an, dass am Dienstag die Schlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gehalten werden sollen. Danach werden sich die zwölf Geschworenen zur Beratung zurückziehen. Sie müssen entscheiden, ob der Angeklagte Markus Kaarma, 30, sich eines Verbrechens der vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht hat, als er am 27. April 2014 den 17-jährigen Diren D. erschoss, der sich unberechtigt in seiner Garage aufhielt.

Der Prozess war ursprünglich bis zum 19. Dezember terminiert; die Verteidigung hat jedoch von den fünf Tagen, die ihr vom Gericht zur Vernehmung ihrer Zeugen zugebilligt worden waren, nur zwei in Anspruch genommen. Sie beschränkte sich im Wesentlichen auf die Anhörung von zwei Sachverständigen, die sich zur Qualität der Ermittlungsarbeit der Polizei und zur Reaktion von Menschen auf hochgradige Stressreaktionen äußerten.

Ron Martinelli, der Inhaber einer Beratungsfirma für Polizeibehörden, übte scharfe Kritik am Vorgehen der Polizisten und Kriminalbeamten, die im Fall des erschossenenen Austauschschülers die Ermittlungen geführt hatten. Sie hätten sich zu schnell ein Urteil über den Angeklagten gebildet und ihre Ermittlungen dann einseitig zu dessen Ungunsten geführt, sagte der Zeuge. Sie hätten bei Kaarmas erster Vernehmung dessen psychischen Zustand nicht berücksichtigt. Nach einem so belastenden Ereignis sei das Erinnerungsvermögen eines Menschen stark beeinträchtigt. Es dauere zwei bis drei Tage, bis diese Stressbelastung so weit abgebaut sei, dass eine Vernehmung sinnvoll sei.

Doktorgrad einer fragwürdigen Universität

Die Festnahme Kaarmas und die Entscheidung, ihn wegen vorsätzlicher Tötung anzuklagen, sei deshalb voreilig gewesen. Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft räumte Martinelli allerdings ein, dass er selbst während seiner mehr als 20-jährigen Dienstzeit als Polizeibeamter nie drei Tage gewartet hatte, ehe er einen Verdächtigen vernahm. Die Staatsanwaltschaft stellte auch Martinellis Qualifikation in Frage. Seinen Doktorgrad habe er an einer Fernuniversität erworben, die vom Bundesstaat Kalifornien wegen mangelnder wissenschaftlicher Standards geschlossen worden sei, sagte Staatsanwältin Jennifer Clark.

Als zweiten Sachverständigen rief die Verteidigung am Montag Douglas Johnson in den Zeugenstand, einen Psychologen, der im Auftrag der US-Marine Elitesoldaten auf besonders gefährliche Einsätze vorbereitet, der aber nebenbei auch für die Beratungsfirma von Ron Martinelli tätig ist. Johnson schilderte den Geschworenen die Mechanismen, mit denen das menschliche Gehirn auf besonders hochgradige Stresssituationen reagiert.

In solchen Situationen würden rationale Reaktionen weitgehend abgeschaltet und das Gehirn konzentriere sich auf sehr ursprüngliche Reflexe, um der Bedrohung zu entgehen. Es müsse in Bruchteilen von Sekunden die Wahl zwischen Flucht oder Kampf treffen, sagte Johnson. "Wenn es sich für Kampf entscheidet, befiehlt es dem Körper, die Bedrohung zu eliminieren."

Auf Fragen der Staatsanwaltschaft mussten die beiden Sachverständigen auch die Höhe des Honorars angeben, das sie von der Verteidigung für ihre Dienste erhalten hatten. Martinelli bezifferte sein Honorar auf 44 000, Johnson auf 23 000 Dollar.

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