Diren-Prozess:"Er schoss ihm ins Gesicht"

  • Im Prozess um den im US-Bundesstaat Montana getöteten deutschen Austauschschüler Diren D. halten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Schlussplädoyers.
  • Direns Tod durch die Schüsse von Markus Kaarma sei eine Hinrichtung gewesen, sagt die Staatsanwältin.
  • Die Verteidigung erklärt, Diren habe "nichts Gutes im Schilde geführt" und fordert einen Freispruch für den Angeklagten.
  • Die Geschworenen konnten sich auch nach mehrstündigen Beratungen noch nicht einigen. Möglicherweise fällt an diesem Mittwoch das Urteil.

Von Hans Holzhaider, Missoula

Die Geschworenen beraten sich

Im Prozess um den Tod des deutschen Austauschschülers Diren D. haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Schlussvorträge gehalten. Anschließend zogen sich die zwölf Geschworenen zur Beratung zurück. Sie müssen entscheiden, ob Markus Kaarma, 30, sich der vorsätzlichen Tötung schuldig gemacht hat, als er am 27. April 2014 den 17-jährigen Diren erschoss, der sich in dessen Garage aufhielt, oder ob die tödlichen Schüsse nach dem in Montana geltenden Gesetz, der sogenannten "castle doctrine", gerechtfertigt waren.

Allerdings konnte sich die Geschworenenjury auch nach mehrstündigen Beratungen noch nicht einigen. Möglicherweise fällt an diesem Mittwoch eine Entscheidung. Die Jury tritt um 16.30 MEZ wieder zusammen.

Zum ersten Mal ist der Gerichtssaal bis zum letzten Platz gefüllt

Zum ersten Mal seit Beginn des Prozesses am 1. Dezember war der Gerichtssaal im Bezirksgericht von Missoula im US-Bundesstaat Montana bis auf den letzten Platz besetzt. Viele Mitschüler und Lehrer Direns, sowie Nachbarn aus dem Wohngebiet, wo sowohl der Angeklagte Markus Kaarma als auch die Gasteltern Direns wohnen, wollten die Plädoyers hören. Direns Eltern Celal und Gülçin D. saßen, wie an jedem bisherigen Prozesstag, in der ersten Reihe. Auch Markus Kaarmas Mutter und seine Lebensgefährtin Janelle P. waren im Gerichtssaal.

Die Staatsanwältin Karla Painter zählte auf, welche Möglichkeiten Kaarma und seine Lebengefährtin gehabt hätten, als sie bemerkten, dass sich jemand auf der Auffahrt vor der geöffneten Garagentür aufhielt: "Sie hätten die Tür schließen können. Sie hätten die Außenbeleuchtung einschalten können. Sie hätten die Polizei rufen können. Aber sie taten nichts dergleichen, weil genau das geschah, was sie wollten. "Es war eine Falle", sagt Painter.

"Sagen Sie Direns Eltern, dass sein Leben mehr wert war als ein paar Dosen Bier"

Sie schilderte die Vorfälle vier Tage vorher, als Kaarma zunächst einen Gärtner mit dem Gewehr bedroht und später in einem Friseursalon lauthals angekündigt hatte, er werde die Jugendlichen, die eine Woche vorher Gegenstände aus seiner Garage gestohlen hatten, umbringen. "Er sagte, er habe seit drei Nächten auf der Lauer gelegen. Er sagte, er wolle die verdammten Kids töten. Er sagte uns genau, was er vorhatte, und er hat es ausgeführt."

In dem Augenblick, als er zum Gewehr gegriffen und das Haus verlassen habe, sei er zum Raubtier und Diren zu seiner Beute geworden, sagte die Staatsanwältin. Er habe gewusst, dass Diren unbewaffnet war, und er habe genau gewusst, worauf er schoss. Er habe Diren in den Arm getroffen, "und er wollte zu Ende bringen, was er begonnen hatte. In den letzten Sekunden seines Lebens flehte Diren um Gnade. Der Angeklagte richtete ihn hin. Er schoss ihm ins Gesicht."

Die Schüsse Kaarmas seien nicht durch das Recht zur Selbstverteidigung gerechtfertigt, sagte Painter. Es gebe keinerlei Indizien dafür, dass Diren Kaarma angreifen wollte. Diren habe sich unberechtigt in der Garage aufgehalten, "aber es gab keinen Grund anzunehmen, dass er aggressive Absichten hatte".

"Bitte sagen Sie Direns Eltern, dass sein Leben mehr wert war als ein paar Dosen Bier", beschwor die Staatsanwältin die Jury. "Und sagen Sie dem Angeklagten, dass wir zwar in einem Staat mit einer ausgeprägten Waffenkultur leben, aber nicht in einem Staat der Gesetzlosigkeit und der Selbstjustiz."

Das sagt die Verteidigung

Paul Ryan, der Chef des fünfköpfigen Verteidigungsteams von Markus Kaarma, forderte die Geschworenen auf, den Angeklagten freizusprechen, weil er lediglich von seinem Recht auf die Verteidigung seines Hauses und seiner Familie Gebrauch gemacht habe. Der Staat habe kein Recht, seinen Bürgern vorzuschreiben, wie sie von diesem Recht Gebrauch zu machen hätten.

"Die Staatsanwaltschaft will uns sagen, wir dürften unsere Türen und Fenster nicht offen lassen", sagte Ryan. "Sie sagt uns, wenn wir eine Tür offen lassen, würden wir die Einbrecher einladen. Aber es ist unser Haus, nicht das des Einbrechers."

"Er kannte die Gefahr", sagt der Verteidiger über Diren

Diren D. habe schon mehrmals beim sogenannten "garage-hopping" mitgemacht, sagte Ryan. "Er kannte die Gefahr. Er hat beschlossen, in das Heim einer Familie einzudringen. Er wollte Sachen stehlen, für die Markus Kaarma und Janelle hart gearbeitet hatten."

Die Garage, in der Diren erschossen wurde, sei für Kaarma und seine Familie ein ganz besonderer Platz gewesen. Dort hätten Markus und Janelle immer geraucht, weil sie das im Haus wegen des Babys nicht tun wollten. "Dort haben sie miteinander geredet. Das war eine Art heiliger Ort für sie."

Ryan schilderte die Versäumnisse der Polizei bei der Suche nach den Tätern, die eine Woche zuvor Sachen aus Kaarmas Garage gestohlen hatten. "Er wird bestohlen, und die Polizei tut nichts. Und dann steht er da, der Vater eines zehn Monate alten Babys, und die Staatsanwaltschaft will, dass er sich in seinem Haus verstecken soll. Aber sein Körper sagt ihm: Jetzt musst du beschützen. Und genau das tut er."

Die Äußerungen Kaarmas im Friseursalon erwähnte Ryan nur mit einem Satz. "Das klang schon etwas wütend", sagte er. "Aber Wut kann auch zu einem Teil Angst sein. Warum machen sich alle hier so viele Gedanken über den Einbrecher? Wenn er es nicht tut, dann muss auch niemand eine Entscheidung auf Leben und Tod treffen."

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