Dioxin-Skandal:Wissenschaftler-Appell gegen Massentierhaltung

Philosophen, Theologen, Biologen, Literatur-, Volks- und Rechtswissenschaftler - sie alle wollen eine sozial-ökologische Landwirtschaft. Dabei geht es ihnen nicht nur um das Leid der Tiere und die eigene Gesundheit.

"Der aktuelle Dioxin-Skandal zeigt, wie teuer uns 'billige' Tierprodukte zu stehen kommen: Es ist damit zu rechnen, dass wegen der Dioxinbelastung im Futter Tausende Tiere sinnlos vernichtet werden", sagt der Zoologe Sievert Lorenzen, Professor an der Universität Kiel. "Das ist ebenso erschütternd wie qualvolle Haltungsbedingungen oder Gefahren durch antibiotikaresistente Krankheitserreger. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken in der Agrarpolitik."

Auf der Messe EuroTier gehts es auch um artgerechte Massentierhaltung

Wenn Hühner sich auf einer Fläche von der Größe eines Aktendeckels bewegen können, dann gilt das schon als Verbesserung gegenüber den früheren Verhältnissen, als es noch die Fläche eines DIN-A4-Blatts war.

(Foto: ddp)

Lorenzen ist einer von mehr als 300 Professoren und Wissenschaftlern, die den Ausstieg aus der Massentierhaltung fordern. Zu den Unterzeichnern des entsprechenden Appells gehören bekannte Wissenschaftler und Professoren wie der Theologe Thomas Bonhoeffer, der Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer, der Theologe Eugen Drewermann, der Umweltethiker Konrad Ott, der Mediziner Wolfram Sterry und die Philosophen Wilhelm Vossenkuhl, Dieter Birnbacher und Dieter Henrich.

Mit der Zahl 300 haben die Initiatoren der Aktion ein erstes Ziel erreicht: Die Zahl belege, dass es sich "bei der Debatte um Massentierhaltung längst nicht mehr nur um ein Randthema von Tierschützern und Veganern" handele, sagt Friederike Schmitz von der Universität Heidelberg, eine der Initiatoren der Aktion. Das Thema gehe vielmehr "alle verantwortungsbewussten Menschen" an, heißt es auf der Homepage der Initiative. Schließlich gehe es bei der Diskussion um die Haltung von Hühnern, Schweinen und Rindern auf engstem Raum nicht nur um das Leid der Tiere und die eigene, zum Beispiel durch Dioxin gefährdete Gesundheit.

Es gehe auch um den Klimawandel, um Umweltverschmutzung, um Krankheitserreger, die in den Anlagen der Intensivhaltung eine Brutstätte finden. Es gehe um die Verschwendung wichtiger Ressourcen, um die Vielfalt, Gerechtigkeit und die Arbeitsplätze in ländlichen Regionen sowie um die Existenzgrundlage von Bauern in den Entwicklungsländern, heißt es auf der Homepage der Initiative.

"Immer mehr Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft wollen sich nicht länger mit den Zuständen in der industriellen Tierhaltung abfinden. Unsere Aktion stellt dies insbesondere für die deutsche Wissenschaft unter Beweis", erklärte Schmitz.

In ihrem Appell fordern die Unterzeichner Bund, Länder und die EU dazu auf, die Tierquälerei zu beenden und den Umstieg auf eine sozial-ökologische Landwirtschaft voranzutreiben. Sie drängen auf eine Neuausrichtung der Agrarsubventionen nach höheren Standards im Tier- und Umweltschutz, den Abbau der Überproduktion, das ein Ende von Exportsubventionen und eine Haltungskennzeichnung für Fleisch ähnlich der für Eier.

Insgesamt haben bereits mehr als 9500 Menschen den Appell unterschrieben, ständig werden es mehr.

Appell an die Konsumenten

Einer der Unterzeichner ist der Bundesvorsitzende des BUND, Hubert Weiger. Auf einer Pressekonferenz warf er der Agrarindustrie wirtschaftliche Gier vor, die der Hauptgrund für den Skandal um dioxinverseuchte Lebensmittel sei. "Viel zu viele Tiere werden auf geringstem Raum in immer größeren Ställen zusammengepfercht und bezahlen mit ihrem Leid für das Profitstreben der Fleischkonzerne und das Versagen der Politik", kritisierte Weiger.

Obwohl Gesundheitsrisiken drohten, seien längst überfällige Verbesserungen bei den Produktionsbedingungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse bis heute nie umgesetzt worden. "Der aktuelle Fall zeigt, dass aus der BSE-Krise nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen wurden", sagte Weiger. Schärfere Vorschriften, wie sie bereits die rot-grüne Bundesregierung angekündigt habe, seien gänzlich ausgeblieben oder am Widerstand der Agrarlobby gescheitert.

Zudem habe das System freiwilliger Selbstkontrolle in der Landwirtschaft versagt. Deutschland habe sich zu einem europäischen Zentrum industrieller Massentierhaltung entwickelt, wo wachsender Konkurrenzdruck und stetiges Wachstum in der Agrarindustrie samt ihren risikoträchtigen Futtermittelfabriken zum Dioxin-Skandal geführt habe.

Für die millionenschweren Schäden im jüngsten Skandal will Weiger die Agrarindustrie zahlen lassen: "Wir fordern die Durchsetzung des Verursacherprinzips. Kosten dürfen nicht mehr auf die Allgemeinheit abgewälzt werden." Ein Entschädigungsfonds für die geschädigten Bauern sei dringend notwendig.

Um industrielle Tierfabriken unrentabel zu machen, warb Weiger dafür, Haltebedingungen auf Lebensmittelverpackungen abzubilden. Wer direkt vor Augen geführt bekomme, wie Tiere gequält und verarbeitet werden, stelle sein Kaufverhalten höchstwahrscheinlich um. "Wer will, dass Verbraucher verantwortlich einkaufen, muss ihnen mehr Informationen geben", fügte er hinzu.

Kritisch äußerte sich Weiger auch zu der allgemeinen Discounter-Mentalität: "Der Verbraucher soll sein Fleisch ruhig essen, aber einen vernünftigen Preis dafür zahlen." Dabei könne man den Konsumenten nicht vorwerfen, dass sie sich in erster Linie am Preis von Fleisch und anderen tierischen Produkten orientierten, erklärte der Philosoph Dieter Birnbacher von der Universität Düsseldorf: "Gefordert ist die deutsche und europäische Landwirtschaftspolitik."

Den Appell gegen Massentierhaltung und die Unterschriftenliste wollen die Initiatoren Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) nach einer Demonstration am 22. Januar in Berlin übergeben. Aufgerufen hat zu der Veranstaltung, die unter dem Motto "Wir haben es satt" steht, ein Bündnis aus 80 Bauern- und Entwicklungsverbänden sowie Umweltaktivisten.

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