Süddeutsche Zeitung

Bandenkrieg in Dijon:"Nicht mehr auf dem Boden der Republik"

Die Straßenschlachten zwischen rivalisierenden Banden eskalieren so sehr, dass Frankreichs Innenministerium Spezialeinheiten schicken muss. Dijons Bürgermeister spricht vom "Versagen der Sicherheitsbehörden".

Von Leo Klimm, Paris

Ein Auto, das auf Menschen zurast und sich überschlägt, vermummte Männer, die mit Gewehren um sich schießen oder sich mit Eisenstangen und Baseballschlägern bewaffnen - vier Nächte lang hat im französischen Dijon ein Bandenkrieg getobt, ausgelöst durch tschetschenische Schlägertrupps. Erst nachdem das französische Innenministerium Spezialeinheiten zur Terrorbekämpfung geschickt hat, ist wieder Ruhe eingekehrt.

Ruhe, ja Beschaulichkeit, zeichnet Dijon für gewöhnlich aus. Als das einzig Pikante in dem Renaissance-Städtchen gilt sonst die lokale Spezialität: der berühmte Dijon-Senf. Nun plötzlich ist die Gourmet-Hochburg im Burgund Schauplatz verstörender Gewalt. Ausschreitungen zwischen ortsansässigen Jugendlichen und bis zu 200 Männern, die nach Polizeiangaben einer länderübergreifenden tschetschenischen Community zuzurechnen sind, haben die Bewohner in Angst und Schrecken versetzt. Inzwischen sollen die Tschetschenen mit unbekanntem Ziel wieder abgezogen sein. Und die Polizei macht bei alledem keine gute Figur.

Die genauen Hintergründe der Kämpfe sind unklar. Offenbar, mutmaßen die Sicherheitsbehörden, spielt die Rivalität von Drogenbanden eine Rolle. Und das Bedürfnis, Rache zu nehmen.

Es wirkt wie ein Wunder, dass nur sechs Personen verletzt wurden

In einem Interview mit der Lokalzeitung Le Bien Public jedenfalls erklärte einer der Anführer der tschetschenischen Bande, die Attacke auf Dijon sei als Rachefeldzug zu verstehen: Am 10. Juni sei ein 16-jähriger Jugendlicher tschetschenischer Abstammung in Dijon von lokalen Drogendealern verprügelt worden. Darauf hätten sich Tschetschenen aus ganz Frankreich, aus Deutschland und aus Belgien zum Gegenangriff verabredet, erzählt der Mann, der in dem Interview anonym bleibt. "Es war weder unsere Absicht, die Stadt zu verwüsten, noch, die Bevölkerung anzugreifen", beteuert er.

Am vergangenen Freitagabend nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Erst gingen die Kämpfe auf dem Place de la République los, mitten in der Stadt. Dann - und in den folgenden Nächten - verlagerten sie sich in das Viertel Les Grésilles im Nordosten von Dijon - einem quartier populaire, wie die Franzosen verschämt Einwandererviertel nennen. Auf Videos, die in den sozialen Netzwerken verbreitet werden, sind die heftigen Ausschreitungen teilweise dokumentiert. In Anbetracht der Waffen, die dabei verwendet wurden, wirkt es schon fast wie ein Wunder, dass bei den Kämpfen nur sechs Personen verletzt wurden; eine davon schwer. Ebenso erstaunlich ist, dass die Polizei keine einzige Festnahme vermeldet. Wenigstens ermittelt die Staatsanwaltschaft, unter anderem wegen "versuchten Mordes durch organisierte Banden".

Schusswaffen werden in die Luft gefeuert, Autos angezündet

Obwohl die tschetschenischen Schläger am Montagabend die Stadt verließen, gingen die Unruhen im Viertel Les Grésilles dann noch weiter. Etwa hundert Jugendliche, so die Polizei, wüteten im und um das Viertel Les Grésilles. Sie feuerten mit Schusswaffen in die Luft, zündeten Autos und Mülltonnen an, bauten Barrikaden auf, zerstörten Überwachungskameras. Ein Fernsehteam, das die Szenerie filmt, wird angegriffen. Jetzt werden vier Personen festgenommen.

Es ist wohl auch Wut auf die Polizei, die sich da Bahn bricht: In lokalen Medien berichten Bewohner von Les Grésilles, dass sie sich von den Ordnungskräften im Stich gelassen fühlen. Erst am Sonntag schickte das Pariser Innenministerium Verstärkung nach Dijon, allerdings nur drei Dutzend Polizeibeamte. Am Montagabend folgten 110 Elitepolizisten - die für Ruhe sorgten.

Dijons Bürgermeister François Rebsamen wirft den Sicherheitsbehörden angesichts ihrer späten Reaktion Versagen vor. "Wir sind nicht mehr auf dem Boden der Republik, wenn die Dinge so laufen", sagte er. Der Präfekt, höchster Abgesandter der Regierung vor Ort, bestreitet dagegen Versäumnisse: "Die Bevölkerung wurde nicht alleingelassen." Die Einsatzkräfte hätten die rivalisierenden Banden am Wochenende eingekesselt und damit weitere Übergriffe verhindert. "Das war die einzig praktikable Strategie", so der Präfekt.

Die Tschetschenen sind weg. Die Debatte um die Einsatztaktik beginnt aber gerade. Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Rassemblement National, ist am Montag flugs nach Dijon gereist. "Hier liefern sich Banden einen ethnischen Krieg", sagt sie. "So weit ist es mit der Verwilderung gekommen." Keine Frage: Frankreichs Rechtsextreme frohlocken. Sie werden alles tun, um aus den Unruhen von Dijon politisch Kapital zu schlagen.

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