Süddeutsche Zeitung

Digital-Stalking:Der Feind in deinem Handy

Lesezeit: 3 min

Die Online-Spionage privater Nachrichten oder Aufenthaltsorte kann zum Albtraum für Betroffene werden. In Deutschland fehlt es an Spezialisten für dieses Problem.

Von Max Hoppenstedt

Wenn es um Spionage durch Hacking-Angriffe geht, denken manche Menschen vor allem an Geheimdienstoperationen. Doch die meisten gezielten Spionageangriffe geschehen im Privatleben, über Apps, die oft weniger als 100 Euro kosten. Die Programme können Telefonate abhören, private Nachrichten mitlesen, den Standort in Echtzeit überwachen oder Passwörter abgreifen. Mit dieser sogenannten Stalkerware überwachen meist Männer ihre Partnerin oder Ex-Partnerin. Sie laufen auf den Telefonen der Opfer heimlich mit, die ausspionierten Daten schicken sie direkt an den Rechner des Überwachers.

Wie verbreitet das Problem in Deutschland ist, erklärt Leena Simon. Sie ist die IT-Expertin im Anti-Stalking-Projekt des Frauenzentrums Frieda in Berlin-Friedrichshain. In jede zweite Beratungsstunde würden Betroffene ihr Handy mitbringen, weil sie befürchteten, darüber ausspioniert zu werden. "Für die Betroffenen ist das sehr traumatisch", sagt Simon.

Simon berichtet von dramatischen Fällen. Männer nutzten die Standortverfolgung im Handy des gemeinsamen Kindes und waren so immer informiert, wann die Ex-Partnerin zu Hause war und wann nicht. Oder der Mann kannte die Passwörter zum iCloud-Account und konnte so alle Handy-Nachrichten der Ex-Partnerin mitlesen. Solche Spionage-Apps zu installieren dauert nur wenige Minuten, die Überwacher brauchen nur kurz Zugriff auf das Telefon. Manche Anbieter verkaufen sogar Geräte, auf denen die Programme schon installiert sind, die Täter schenken solche Smartphones ihren Opfern. Eine App warb lange mit dem Slogan: "Jede Frau betrügt ihren Mann. Ihr Telefon ermöglicht Ihnen, das herauszufinden." Der Einsatz von Stalkerware hat im Jahr 2019 massiv zugenommen, zeigen Untersuchungen der IT-Sicherheitsfirma Kaspersky. Weltweit sind demnach zwischen Januar und August mehr als 37 000 Nutzer betroffen, ein Anstieg von mehr als einem Drittel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Deutschland ist demnach das Land, in dem Stalkerware weltweit am fünfthäufigsten eingesetzt wird.

Online-Stalking hat schwere Folgen für den Alltag der Betroffenen. Oft fühlen sie sich in ihrer Wohnung nicht mehr sicher, trauen sich nicht mehr, ihr Handy oder ihren Computer zu nutzen. Das wiederum erschwert es, Hilfe zu suchen, sich zu informieren oder Unterstützung zu bekommen. "Die Betroffenen sind praktisch von allem ausgeschlossen, wofür man im Alltag das Smartphone braucht. Das kann existenziell sein", sagt Simon. Das größte Problem für die Betroffenen: Es gibt keine Stelle mit technischer Expertise, an die sie sich wenden können, um herauszufinden, ob ihr Telefon gehackt wurde. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sagt, man habe "sich mit Themen wie Partnerüberwachung oder Stalking bislang nicht befasst". Das BSI erfasst auch keine Zahlen, wie häufig Online-Stalking vorkommt.

Es gibt viele Wege, den Standort zu überwachen oder Textnachrichten abzufangen

Der Cybersicherheitsexperte Sven Herpig kritisiert die Untätigkeit deutscher Behörden. "Wenn es hier um Apps ginge, mit der Kriminelle Geld verdienen, würden BSI oder Bundeskriminalamt vermutlich vor der App warnen." Aber Stalkerware komme nicht einmal im sogenannten Lagebild Cybercrime vor, in dem das BKA Gefahren für die IT-Sicherheit untersucht.

Dass es anders geht, zeigt ein Projekt in New York. Dort arbeitet ein Team von Computerwissenschaftlern der Cornell University mit Beratungsstellen zusammen. Informatiker Sam Havron ist dabei. Jede Woche sitzen er oder eine seiner Kolleginnen einen Tag lang in einem Familienberatungszentrum der fünf Bezirke von New York City. Die Forscher haben Software namens ISDi entwickelt, die erkennen kann, ob auf den Smartphones von Betroffenen Stalkerware installiert worden ist. Auch andere Beratungsstellen können sie nutzen. Die National Science Foundation unterstützt die Forschenden mit 1,2 Millionen Euro.

Durch seine Arbeit weiß Havron auch, wie das Ausspionieren von Handys eskalieren kann. Es habe Fälle gegeben, in denen Überwacher ihren Opfern mit körperlicher Gewalt gedroht hätten, nachdem die ihre Passwörter geändert hatten, um den Spion auszusperren. Auch Morddrohungen hätten Täter schon geäußert, berichtet er. "Wenn Leute sagen, dass sei nur ,digitaler Missbrauch', dann sollten sie sich klarmachen, dass das Problem sehr schnell in der physischen Welt zur Gefahr für die Betroffenen werden kann."

Oft brauchen Havron und seine Kollegen länger als eine Stunde, um zu ermitteln, wie genau Betroffene ausspioniert werden: "Es gibt so viele Wege, wie jemand deinen Standort überwachen oder deine Textnachrichten abfangen kann." Havron warnt, dass Betroffene nicht nur über Stalkerware ausspioniert werden, sondern auch durch normale Apps, etwa über solche, die verlorene Handys lokalisieren sollen, aber auch für Spionage missbraucht werden können.

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Quelle:
SZ vom 23.12.2019
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