Süddeutsche Zeitung

Die Schweden in Deutschland:Königsdisziplin

Welche Botschaft verbreitet ein royales Paar bei einem Staatsbesuch, wenn es sich politisch nicht äußern darf? Carl XVI. Gustaf und Silvia von Schweden setzen weniger auf Statements als auf eine pragmatische Wärme.

Von Verena Mayer

Die Mitarbeiterin der schwedischen Botschaft ist sehr nervös, weil sie einen Fahrstuhl bedienen muss. In den steigt gleich das schwedische Königspaar, und man habe ihr gesagt, dass sie einen bestimmten Abstand zu den beiden einhalten müsse, und das sei ja schwierig in einem Fahrstuhl. Ihre Angst wird sich als unbegründet erweisen. Carl XVI. Gustaf und seine Frau Silvia fahren die fünf Stockwerke mit derselben Routine hoch, mit der sie schon die militärischen Ehren abnahmen, sich vor dem Brandenburger Tor fotografieren ließen und sich beim Bundespräsidenten ins Gästebuch eintrugen. Er guckt starr und regungslos nach vorne, sie lächelt nach allen Seiten, als müsse sie das stoische Verhalten ihres Ehemannes ausgleichen. Man hat den Eindruck, dass die beiden das schon sehr, sehr lange machen.

Und das tun sie ja auch. Seit mehr als 40 Jahren sind sie im Amt, allein in Deutschland ist es ihr dritter Staatsbesuch. Diesmal flankieren sie unter anderen den schwedischen Wirtschaftsminister und die Sozialministerin, Deutschland ist Schwedens wichtigster Handelspartner, viele Arbeitsplätze in Schweden hängen an deutschen Firmen. Es gibt die üblichen Termine, Besuch in der Handelskammer, Auftritt bei einer Wirtschaftskonferenz in Hamburg, Treffen mit dem Bundeswirtschaftsminister in Berlin. Sagen dürfen die beiden nichts, zumindest kein Wort, das ihnen als Meinung ausgelegt werden könnte. Von allen europäischen Monarchien hat das schwedische Königshaus am wenigsten politischen Einfluss, der König darf nicht einmal wählen. Sobald eine Frage gestellt wird, wendet der König den Kopf also zu seinem Minister. Der antwortet, und Carl XVI. Gustaf guckt regungslos nach vorne.

Dementsprechend routiniert laufen die drei Tage ab, die das Paar in Berlin und Hamburg verbringt. Die typischerweise unbeeindruckten Berliner (Taxifahrer: "Und wegen so 'ne Majestäten steh icke jetzt im Stau!") bleiben dem Event fern, nur hin und wieder sieht man an den Absperrungen schwedische Fahnen oder Kinder mit Papierkronen auf dem Kopf. Der schwedische König scheint genau einmal so etwas wie eine Gefühlsregung zu empfinden - als bei seinem Bankett nach Rentierfilet und Waldbeeren-Chutney ein Ensemble junger Streicher Platz nimmt und "Mamma Mia" spielt, den alten Hit von Abba.

Doch schon am ersten Abend wird klar, dass hier nicht nur der übliche Staatsbesuch abgespult wird. Beim Bankett in Schloss Bellevue steht Bundespräsident Joachim Gauck auf und zitiert Kurt Tucholsky: "Es gibt kein deutsches Normalgehirn, das bei dem Gedanken 'Schweden' andere als angenehme, freundliche, gute Gedanken hätte." Nun würden dem deutschen Normalgehirn zu Schweden heute wohl eher Ikea, Krimis und teure Ferienhäuser einfallen. Tatsache ist aber auch, dass durch manches deutsche Normalgehirn derzeit sehr viel Hass pulst, vor allem auf Politiker und Flüchtlinge. Und da versucht dieser Staatsbesuch, so etwas wie pragmatische Wärme zu verströmen.

So sagte Silvia, als sie vor dem Besuch in einem Interview auf die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel angesprochen wurde: "Ich finde wirklich fantastisch, wie Deutschland und Schweden die Flüchtlinge empfangen haben. Das ist die christliche Botschaft: dass man dem Nächsten hilft. Ich finde, das sitzt in uns allen." Zwar reguliert selbst Schweden inzwischen seine Grenzen, das Land hat aber 2015 pro Kopf die meisten Flüchtlinge in Europa aufgenommen. Schweden und Deutschland würden die Hauptlast der Flüchtlingskrise tragen, sagt Joachim Gauck.

Für den scheidenden Bundespräsidenten Gauck ist es der letzte Staatsbesuch als Gastgeber. Auch ihm merkt man die Routine an, wenn er mit seiner Lebensgefährtin vor Schloss Bellevue steht und Ovationen entgegennimmt. Gauck und seine Partnerin wären ein gutes Ersatz-Königspaar, allein optisch, er immer jovial-huldvoll, sie winkend und mit Hut, der sich auch gut bei einem britischen Pferderennen machen würde. Vor allem aber ist es für Gauck eine Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie es ist, einen Krieg und eine Diktatur erlebt zu haben. Und wie wichtig Werte wie Menschenrechte und Zivilgesellschaft sind. Vermutlich ist es kein Zufall, dass er als letzten Besuch die Schweden eingeladen hat. Das Land, aus dem die Nobelpreise kommen.

Königin Silvia von Schweden

"Ich finde wirklich fantastisch, wie Deutschland und Schweden die Flüchtlinge empfangen haben. Das ist die christliche Botschaft: dass man dem Nächsten hilft. Ich finde, das sitzt in uns allen."

Die Schweden gucken sich einen Zirkus an, in dem behinderte Artisten jonglieren, Silvia lässt sich Mode zeigen, die durch Würfel- und Schuppendesign auffällt, und einen knallgrünen Schal über das cremefarbene Kostüm legen. Doch am Rande des Besuchs geht es immer wieder um die vergangenen Tage in Sachsen. Um den Hass, der sich bei der Einheitsfeier in Dresden entlud. Einmal will die Königin wissen, was das "P" in Pegida bedeute. Es steht für "patriotisch" (patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Bevor die Schweden an diesem Samstag selbst weiter nach Sachsen fahren, machen sie noch einen Abstecher nach Berlin-Neukölln. Hier gibt es eine alte Stadtmission, die jetzt "Refugio Sharehaus" heißt und auf den ersten Anblick aussieht wie so vieles in Neukölln: grob gezimmerte Kaffeebar, Ateliers, spanische Touristen und Hipstervollbärte. Doch hier leben Berliner zusammen mit Flüchtlingen, betreiben ein Café, machen Kunst und geben Sprachkurse, das pralle Berliner Leben. In das mischt sich jetzt die Königin, unterhält sich mit Hipstern und jungen Expats, die hier unter dem Titel "Give Something Back to Berlin" aushelfen, malt Bilder mit Flüchtlingskindern.

Und sie erzählt, wie sie mit 13 in ihrer deutschen Heimat unterwegs war und in Berlin von DDR-Grenzern gestoppt wurde. Man wollte sie nicht weiterreisen lassen, weil ihr Pass in Brasilien ausgestellt worden war, wo sie als Kind gelebt hatte. Daran müsse sie denken, wenn sie Flüchtlinge sehe. Dass es Situationen gebe, in denen man keine Kontrolle mehr hat. Und wie entsetzlich das sei, vor allem für Kinder.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2016
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