Süddeutsche Zeitung

Die Kolumne aus dem SZ-Magazin:Gewissensfrage

Lesen Sie hier die Kolumne von Dr. Dr. Erlinger und stellen Sie ihm neue Fragen.

Die Frage

"Während einer Radfahrt durch meine Heimat entdeckte ich Hinweisschilder auf eine Autoslalom-Veranstaltung, die gerade vorbereitet wurde. Ich stellte fest, dass die Hydranten neben der Strecke mit Altreifen abgesichert waren. Jedoch teilweise nur mit zwei Reifen, also nicht bis oben hin. Da ich noch vier Altreifen in meiner Garage hatte, holte ich diese und 'sicherte' zwei Hydranten davon nun mit meinen Reifen ab. Hätte ich meine Altreifen nach der Veranstaltung wieder abholen müssen?"

Die Antwort

An Tagen wie heute liebe ich meinen Job. Nicht nur, weil die Moralphilosophie so interessante Gedanken bietet, sondern vor allem wegen meiner Leser: Sie senden mir so wunderbar überraschende Fragen wie diese hier, Probleme, auf die ich in meinem Leben nie gekommen wäre.

Nachgerade groteske Situationen mit Überlegungen, die dennoch eines ethischen Tiefgangs nicht entbehren. (Was übrigens, werte Zweifler, zugleich den Beweis für die Echtheit der Fragen liefert: Meine Fantasie reichte dafür schlicht nicht aus.) Doch wollten Sie ja weniger etwas über meine Befindlichkeiten am Schreibtisch erfahren als vielmehr über Ihre Altreifenaktion.

Und die kann man aus zwei Richtungen betrachten. Von der Seite des Ergebnisses her gesehen, haben Sie Gutes getan: Sie haben die Sicherheit der Fahrer erhöht, indem Sie die Abpufferung der nur teilgesicherten Hydranten verbesserten. Macht man sich dagegen, etwa im Sinne Kants, den ja allein der gute Wille interessierte, Gedanken über Ihren Beweggrund, beginnt man zu zögern.

Leitete allein die Sorge um die Sicherheit der Fahrer Ihr Handeln, ändert sich an der positiven Einschätzung nichts. War diese Sorge dagegen nur zweitrangig und der Wunsch, Altreifen schnell und billig loszuwerden, eigentliche Triebfeder des Handelns, so spricht das für sich selbst: Anderen seinen Müll aufs Auge zu drücken wird nicht zur Segenstat, wenn es nebenher einen guten Zweck verfolgt.

Was aber stand im Vordergrund? Sie haben die Spur zur Antwort schon gelegt: Der besorgte Slalomschützer wird nichts dabei finden, seine Reifen wieder abzuholen oder den Veranstalter deshalb anzusprechen. Bei dem, der das nicht tut, bekommt der Strahlenkranz des Gutmenschen leider ein paar Flecken von seinen unsauberen Motiven.

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Quelle:
FRANZ G., Köln
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