Die Hochzeit von Boris Becker:Notfalls auch als Hanswurst

Was machen eigentlich alternde Idole? Über einstige Helden wie Boris Becker, der jetzt seine zweite Heirat inszeniert.

Jürg Acklin

Das waren noch Zeiten, als der erst siebzehnjährige Boris Becker 1985 in Wimbledon das Finale gegen Kevin Curren für sich entschied. Der rotblonde Recke war der jüngste Sieger des Turniers überhaupt, er hinterließ einen unauslöschlichen Fußabdruck von mindestens Grösse 45 im gepflegten englischen Rasen. Das gewaltige Bum-Bum, gewissermassen die Schläge eines tumben Tors, hatte die gesamte Tenniswelt verblüfft. Alle teilten das Entzücken über den Adoleszenten, der sein Testosteron offenbar für sein elegantes, kraftvolles Spiel zu nutzen wusste.

Die Hochzeit von Boris Becker: Boris Becker und Lilly Kerssenberg auf dem öffentlichen Verlobungssofa.

Boris Becker und Lilly Kerssenberg auf dem öffentlichen Verlobungssofa.

(Foto: Foto: dpa)

Nein, er war keine Eintagsfliege, Bum-Bum-Becker war ein Star, bald die Nummer eins der Weltrangliste.

Gewöhnlich drückt man sich in diesem Alter verzweifelt seine Pickel vor dem Spiegel aus, dröhnt sich bei Partys voll und versucht, sich exzessiv auszutoben. Manche fahren kopflos mit dem Skateboard die Gotthard-Tremola hinunter, weil in dieser Lebensphase der fürs Bremsen vorgesehene Hirnlappen den letzten Entwicklungsschub noch nicht hinter sich hat. Der Halbwüchsige weiß nicht, ob die Beine zu kurz sind und der Oberkörper zu lang ist, oder gerade umgekehrt, er schreibt schwülstig-romantische Gedichte, hält seinen Vater im besten Fall für einen Trottel und sich für den tollsten Hecht oder im nächsten Augenblick für den größten Abschaum.

Und nun wird ein solcher junger Mensch über Nacht ein Held. Eine überlebensgroße Ikone. Ein von allen hofiertes Idol.

Ein junger Mann im Rampenlicht

Das Fremdbild verdeckt die Unsicherheit mit einem Schlag, der Jüngling hat nicht einmal mehr Zeit zum Staunen. Bevor sich ein erwachsenes Ich entwickeln konnte im mühsamen Auf und Ab des Alltags, wird er überschwemmt mit narzisstischen Gratifikationen der besonderen Art. Er sieht sich selbst so großartig, wie er wahrgenommen wird.

Alles, was er sagt, wird plötzlich ernst genommen, jeder Satz von ihm bekommt eine außergewöhnliche Weihe. Nicht nur die Welt kniet vor ihm nieder, nein, sogar seine Eltern begegnen ihm plötzlich mit einem merkwürdigen Respekt. Selbst seine Geschwister halten ihn für ein höheres Wesen, beginnen zu fremdeln im Umgang mit ihm, wenn sie sein Konterfei ständig auf dem Bildschirm und in allen Zeitungen erblicken.

Und dann, nach dem Rücktritt, noch ein letztes kurzes Aufflammen der Scheinwerfer, danach wird es plötzlich dunkel und gespenstisch still. Der drohende Aufmerksamkeitsverlust betrifft nicht nur die äußere Rolle, sondern die ganze Person, denn die Rolle und das Ich sind vollständig miteinander verschmolzen.

Ein falsches Selbst entsteht, wenn ein Kind sich ganz nach Erwartungen seiner Eltern, beispielsweise seiner Mutter ausrichtet. Es wird gewissermassen zum Selbstobjekt eines Elternteils und befriedigt vorauseilend dessen narzisstische Ansprüche, um die nötige Resonanz zu erhalten. Sehr häufig gehen solche Kinder als Erwachsene Beziehungen ein, die diesem Muster entsprechen. Sie versuchen, es allen recht zu machen und gieren ununterbrochen nach Anerkennung.

Das Problem: In Würde altern

Gelingt es ihnen, in irgendeiner Sparte früh im Rampenlicht zu stehen, wird diese Position gewissermassen ihr wesentlichster psychischer Organisator. Wenn die öffentliche Bedeutung abzunehmen droht, muss alles unternommen werden, um dieser tödlichen Bedrohung zu entgehen. Im Notfall macht man sich zum eigenen Hanswurst, die unheilvolle Symbiose mit den Boulevard-Medien beginnt. Dieses Phänomen ist bei weitem nicht neu. Wir kennen sie alle, diese Gazettengespenster des letzten Jahrhunderts. Wer hat nicht noch den Boxweltmeister Max Schmeling im Ohr, der mit kehliger Stimme ein Liedchen singt?

Oder Brigitte Bardot, die Sexgöttin der späten fünfziger und sechziger Jahre, die so vielen schlaflose Nächte bereitet hat. Heute präsentiert sie sich immer wieder als verbiesterte, militante Tierschützerin, zurechtgemacht wie die Karikatur einer Gouvernante in einem Erotikfilm.

Ein würdiges Altern ist fast unmöglich. Eine Barbie darf sich nicht verändern, sie kann nicht reifen, sie wird höchstens zerschlissen und schäbig.

Idole haben eine kurze Verfallszeit. Aber wir brauchen sie, da herrscht eine gegenseitige Abhängigkeit. Am Anfang, wenn sie erfolgreich sind, wollen wir sie alle berühren, alle, das Fußvolk und die Eliten schreien ihr "Hosianna". Werden sie aber abgehalftert, beginnt der Lack abzublättern, beginnen sie zu verfetten, dann kommt das unvermeidliche crucifice. Zuerst wenden sich die Eliten ab, es gehört zur sozialen Distinktion, möglichst früh die Nase zu rümpfen, man will sich mit dem Erfolglosen nicht mehr gemein machen.

Mitleidig schauen wir vielleicht noch auf den parkinsongeschüttelten Muhammad Ali, aber gierig suchen wir schon wieder im medialen Himmel nach neuen Stars. Junge Menschen, die plötzlich im Mittelpunkt stehen, opfern ihre Privatsphäre, sie tragen nicht nur die Haut zu Markte, nein, sie stülpen das Innerste nach außen wie einen Handschuh, aber im Innern gähnt meist eine traurige Leere.

"O Augenblick, verweile doch, du bist so schön" (Goethe, Faust I) - dazu kommt es gar nicht mehr, gesucht ist der nächste ultimative Kick. Die öffentliche Präsenz wird zum alleinigen Referenzsystem. Real ist jetzt nur noch das Bild. Michael Jackson liefert dafür ein tragisches Beispiel, er formt sich selbst nach einem medialen Ideal und schreckt dabei nicht einmal vor der chirurgischen Verstümmelung zurück. Das ist eine neue Art, mit dem Teufel zu paktieren, dagegen wirkt das "Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde geradezu brav.

Das eigene Gesicht wird im Wahn, dem Bild zu entsprechen, völlig entstellt bis zur Fratze. Schädigungen des Körpers werden hingenommen, es findet eine fast religiöse Entkörperlichung statt, ähnlich dem asketischen Ideal der Magersüchtigen, die ja sogar den Tod zugunsten der eigenen Kontrolle über sich in Kauf nehmen.

In diesem Umfeld wirkt der einstige Tennisstar mit seinem eigenen Fernsehkanal "Boris Becker TV" - der an diesem Freitag natürlich die neue Hochzeit seines Namenspatrons in St. Moritz in allen Facetten ausleuchten wird - doch eigentlich recht durchschnittlich.

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