Die Briten und die MülltrennungEine schmutzige Krise

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Britische Gemeinden trennen erst seit kurzem Müll - nun müssen sie Unrat teuer einlagern, weil die Rezession den Verkauf nach China oder Indien stark erschwert hat.

Wolfgang Koydl

Seit einiger Zeit kann man nicht nur in Kingston, einer Kleinstadt im Südwesten von London, immer häufiger Menschen beobachten, die ein wenig verloren und ratlos von Haustür zu Haustür ziehen. In der Hand halten sie einen alten Joghurtbecher, eine leere Weinflasche oder den Pappkern einer Klopapierrolle. Sie irren herum, weil sie von besser informierten Nachbarn zu erfahren hoffen, in welchem der fünf verschiedenen Müllbehälter sie ihren Abfall entsorgen sollen.

"Haltet Großbritannien sauber": Ein von Ratten umgebenes Model wirbt für die Mülltrennung.
"Haltet Großbritannien sauber": Ein von Ratten umgebenes Model wirbt für die Mülltrennung. (Foto: Foto: dpa)

Kingston gehört zu einer immer größer werdenden Gruppe von britischen Gemeinden, welche die Notwendigkeit und die Vorteile der Mülltrennung für sich entdeckt und in die Praxis umgesetzt haben. Ganz freiwillig geschah dies freilich nicht: Die Europäische Union droht Großbritannien von 2010 an mit Geldstrafen von 150 Pfund für jede Tonne Restmüll, die über die von der EU festgesetzten Grenzwerte hinausgeht.

Im schwarzen Plastiksack versenkt

Die meisten Briten traf die Neuerung unerwartet. Denn bislang wurde im Vereinigten Königreich der ganze Müll einheitlich in einem schwarzen Plastiksack versenkt. Darüber hinaus stießen vor allem Pläne, den Restmüll nur mehr alle vierzehn Tage statt wöchentlich abzuholen, auf lebhaften Widerstand. Doch schneller und vor allem gründlicher als allgemein erwartet worden war, haben sich die Briten das neue System zu eigen gemacht und begonnen, brav zu sortieren und zu recyceln.

Doch genau darin liegt nun das Problem: Die Müllvorreiter unter den Gemeinden sind Opfer ihres eigenen Erfolges geworden. Weil sie den Recycling-Müll nicht mehr loswerden, quellen die Depots über und sie sitzen auf Bergen von Konservendosen und Limoflaschen fest. Mittlerweile muss Wertstoffmüll in Hallen zwischengelagert werden, die für teures Geld eigens angemietet werden.

Einige Kommunalverwaltungen erwägen sogar die Nutzung stillgelegter Militärstützpunkte - anderswo ließen sich die anfallenden Abfallmengen gar nicht unterbringen. Die Local Government Association, ein Zusammenschluss örtlicher Gemeinden, hat mittlerweile staatliche Finanzhilfen ins Gespräch gebracht, um mit der Müllschwemme fertig zu werden, die ihre Ursache auch in der Finanzkrise hat.

Bislang wurden recycelte Dosen, Plastik, Karton und Glas häufig als Rohstoffe für Wiederverarbeitung ins Ausland, vor allem nach China und Indien, verkauft. Doch die weltweite Rezession hat die Nachfrage und damit auch die Preise schlagartig einbrechen lassen. Aus der Finanzkrise ist damit unversehens auch eine Müllkrise geworden.

Wie dramatisch und vor allem rapide sich dieser Preisverfall vollzog, zeigt ein Vergleich: Im Sommer erzielte eine Tonne Alt-Plastik 200 Pfund auf dem Weltmarkt. Alte Wasser- und Shampoo-Flaschen waren so wertvoll geworden, dass schon Überlegungen angestellt worden waren, den in den vergangenen Jahrzehnten auf britischen Halden deponierten Plastikabfall in einer Art Tagebau wieder zutage zu fördern und zu exportieren. Auf britischen Halden lagern schätzungsweise 200 Millionen Tonnen Plastikabfälle.

Doch mittlerweile ist die Situation in manchen Landesteilen so angespannt, dass die staatliche Umweltbehörde für diese Woche neue Richtlinien angekündigt hat. Da die leeren Behälter nur selten gereinigt werden, bevor sie weggeworfen wurden, drohen Seuchengefahren durch Ratten, die von Essensresten angelockt werden. Berge recycelten aber nicht entsorgten Altpapiers wiederum stellten eine Brandgefahr dar, hieß es.

Die Regierung in London freilich hat fürs Erste Hoffnungen hartnäckiger Recycling-Gegner auf eine Kehrtwende in der Müllpolitik eine Absage erteilt. Man werde an den bestehenden Quoten festhalten, bekräftigte Jane Kennedy, die Staatssekretärin im britischen Umweltministerium.

Schon jetzt würden neun von zehn Gemeinden ihre Planvorgaben bei der Wiederaufbereitung von Abfall übertreffen, betonte sie. Die Regierung sei zuversichtlich, die EU-Richtlinien erfüllen und bis 2010 insgesamt 40 Prozent allen Mülls recyceln zu können. Bei den Voraussetzungen dafür handelt es sich um Kleinigkeiten: die Wiederbelebung der Weltkonjunktur und den Anstieg der Müllpreise.

© SZ vom 10.11.2008/segi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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