Süddeutsche Zeitung

Paketbomber:Ein ungewöhnlicher Erpressungsfall

  • Seit November 2017 hat ein Unbekannter insgesamt vier Paketbomben in Berlin und Brandenburg verschickt.
  • Der Erpresser fordert zehn Millionen Euro von dem Unternehmen DHL.
  • Ermittler sprechen von einem "ungewöhnlichen" Fall. Der Erpresser hat seine Forderung per QR-Code verschickt, außerdem will er das Geld in Bitcoin ausbezahlt bekommen.

Von Verena Mayer, Berlin

Auf der Homepage der Polizei Brandenburg steht eine eindringliche Warnung: Dass man genau hinsehen solle, wenn man Pakete oder Briefsendungen bekommt. Ob sie Flecken an den Rändern haben, auffällig zugeklebt sind oder gar Drähte aus ihnen herausragen. All das könne Gefahr bedeuten: eine Paketbombe nämlich. Die Warnung befindet sich bereits seit sieben Monaten auf der Website und das nicht ohne Grund. Denn in regelmäßigen Abständen werden Pakete entdeckt, die mit Nägeln gefüllt sind, dazu ein batteriebetriebener Zünder und Polenböller. Pakete, die Menschen verletzen oder töten können, wenn man sie öffnet.

Warum diese Pakete verschickt werden, hat die Polizei noch im Dezember herausgefunden, als ein Apotheker eine Briefsendung erhielt, die voll mit Drähten und Schrauben war: Der DHL-Konzern soll erpresst werden, es geht um Millionen. Doch der oder die Erpresser sind bis heute nicht gefasst. Warum nicht? Und wer könnte der Täter sein, der glaubt, so zu Geld kommen zu können?

50 Ermittler sind inzwischen auf den Fall angesetzt, der in Berlin und Brandenburg spielt. Die erste Sendung wurde aus einem Sortierhandel der Post geholt. Sie war an einen Online-Händler in Frankfurt (Oder) gerichtet und verbrannte, als sie geöffnet wurde, samt dazugehörigem Bekennerschreiben. Das war im November. Einen Monat später musste ein Teil der Potsdamer Innenstadt abgesperrt werden, als ein Apotheker in der Nähe des Weihnachtsmarkts ein Paket öffnen wollte, aus dem Drähte ragten. Das Paket, das Schwarzpulver, Schrauben und Nägel erhielt, war an einer Packstation in Potsdam aufgegeben worden und explodierte nur durch Zufall nicht. Der erste Verdacht war Terror, doch dann wurde im Paket ein QR-Code gefunden, der zu einer Seite im Internet führte. Dort standen ein paar Zeilen und eine Forderung: zehn Millionen Euro.

Die Warnung vor Paketbomben ist noch immer aufrecht

Im Januar dann das nächste Paket, diesmal in einer Einkaufstraße im Westen von Berlin. In einer Bankfiliale wurde ein Päckchen mit Schwarzpulver abgegeben, in dem ebenfalls Drähte zu erkennen waren. Die Straße musste gesperrt werden, das Paket wurde von Spezialisten des LKA entschärft. So, dass keine Spuren verloren gingen. Die Ermittler in Potsdam und Berlin sagen dazu nichts, aus ermittlungstaktischen Gründen. "Wir wollen den Erpresser nicht informieren, sondern inhaftieren", heißt es bei der Polizei. Nur so viel: Bei Erpressungen handle es sich oft um "Langzeitlagen". Daher sei auch die Warnung vor Paketbomben noch immer aufrecht.

Einer älteren Studie des Bundeskriminalamts zufolge sind Erpresser meistens männlich, eher älter und Einzeltäter. Und sie haben meistens einen Bezug zur Gegend, wie Klaus Stüllenberg, Vorstand der Stiftung Kriminalprävention in Münster, in einer großen Studie über Produkterpressung herausgefunden hat. So wie der Erpresser des Marmeladenherstellers Schwartau Ende der Neunzigerjahre. Auf die Idee, Marmeladengläser mit Rattengift zu versetzen und einen Millionenbetrag zu verlangen, kam der verschuldete Architekt aus Ingolstadt, als er bei einer Fahrt auf der Autobahn ein Schild der Firma sah. Zudem seien die Täter oft technisch versiert, so wie der Kaufhaus-Erpresser "Dagobert" aus Berlin. Über Jahre hinweg ließ er Bomben in Kaufhäusern detonieren, um vom Karstadt-Konzern Geld zu bekommen. Die Fahndung nach ihm gilt als eine der längsten und aufwendigsten Ermittlungen. Funke entkam der Polizei bei 30 versuchten Geldübergaben.

Das allerdings sei heute nicht mehr möglich, sagt Stüllenberg. Die Ermittler hätten aufgerüstet, und auch die Firmen, die Opfer von Produkterpressungen werden können, seien viel besser gewappnet als früher. In Lebensmittelläden werde Videoüberwachung eingesetzt, dazu könnten Chargen leicht zurückgerufen werden, wenn jemand drohe, etwas zu vergiften: "So einfach, wie das mal war, ist es heute nicht mehr."

Die zehn Millionen sollen in der Internetwährung Bitcoin gezahlt werden

Was den Potsdamer Erpresser betrifft, glaubt Stüllenberg, dass er die Adressaten sorgfältig gewählt habe: einen Online-Händler, eine Apotheke, eine Bank - alles Orte, an denen viel Post im Umlauf ist, diese aber nicht so gründlich kontrolliert wird wie etwa in größeren Firmen oder Behörden. Und so war es dann auch die Handwerkskammer in Berlin, in der erst Ende März die vierte und bislang letzte Paketbombe des Erpressers entdeckt wurde: In einem Briefkasten lag ein zündfähiges Sprengstoffpäckchen, verletzt wurde auch in diesem Fall niemand.

Stüllenberg hält den Fall für ungewöhnlich. Denn das Phänomen der klassischen Produkterpressung gehe eigentlich eher zurück, sagt er. Die Erpresser von heute seien längst ins Internet gewechselt, wo sie Computer oder Firmennetzwerke mit Viren lahmlegen und dann von den Nutzern Geld verlangen. Arbeitsteilig und international vernetzt, und man müsse sich dafür nicht einmal von zu Hause wegbewegen.

Den Potsdamer Erpresser hält Stüllenberg ebenfalls für internetaffin, da die Bekennerschreiben nur über QR-Codes zu lesen sind. Auch die Geldübergabe ist ungewöhnlich: Die zehn Millionen sollen in der Internetwährung Bitcoin gezahlt werden.

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SZ vom 04.07.2018/eca
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