Deutschland-Miniatur in Amerika:Mister Kirkman hat einen Traum

Lesezeit: 4 min

Ein Amerikaner will in Montana das deutsche Phantasiedorf "Oberkleinberg" errichten - und malt damit sein ganz eigenes Deutschlandbild.

Peter Wagner

Obwohl er keine Ahnung vom Bootsbau hatte, malte Kree Kirkman einmal die Skizze eines Schiffes auf eine Serviette und zeigte sie, mit der Bitte um Nachbau, in den Werften von Boston umher. Es dauerte eine Zeit, ehe sich in der Stadt an der Ostküste der USA eine Werft fand, die die amateurhafte Vorlage in eineinhalb Jahren Bauzeit umsetzte. Kirkman duldete keine Abweichung von seiner Serviettenzeichnung und wünschte zudem einen Kran an Bord, mit dem er sein Motorrad an Land hieven konnte. Er sei seither auf vielen Inseln Motorrad gefahren, behauptet Kree Kirkman.

Mister Kirkman will mit Oberkleinberg kein zweites Disneyland errichten. Er weiß nur: Die Amerikaner lieben die deutschen Städte. (Foto: Foto: Peter Wagner)

Jetzt baut er in den Wäldern des US-Bundesstaates Montana eine deutsche Ortschaft aus dem 17. Jahrhundert nach. Und er meint es wieder sehr ernst.

Montana liegt im Nordwesten der USA. Robert Redford drehte hier den "Pferdeflüsterer", und nachts ist es bisweilen so dunkel, dass man besser bis zur Morgendämmerung stehen bleibt, will man sich nicht wehtun oder schlimm verlaufen. Hier, östlich der Stadt Sandpoint, hat Kree Kirkman, 50, vor neun Jahren 130 Hektar Land gekauft. Genaugenommen hat er ein kleines Tal erworben, in das ein Schotterweg führt, der den Besucher ins Staunen entlässt, in eine Ortschaft namens ,,Oberkleinberg''. Zu sehen ist dort derzeit ein mächtiges Haus, mehr eine Kirche. Kirkman sagt "Scheune" dazu. Sie erinnert in ihrem Wesen an Rothenburg ob der Tauber und Oberammergau gleichzeitig.

Ohne Autos, mit Kopfsteinpflaster

Kirkman hat jahrelang in seiner Freizeit an dem Bau mit Nebengebäuden gezimmert. Kein Stein, kein Brett, kein Fenster, das er nicht selbst angefasst hat. Er verdingt sich zurzeit in einer Baufirma - früher hatte er selbst mal eine. Kirkman spricht von dereinst 200 Angestellten und von millionenschweren Bauprojekten an Ost- und Westküste der USA.

"Das wird kein Disneyland", sagt Kree Kirkman, als er im Turmzimmer seiner Scheune die Botschaft erläutert, die von Oberkleinberg ausgehen soll. Er will in dieses Tal eine von mittelalterlichem Flair durchdrungene Ortschaft bauen, die nur über eine unterirdische Garage erreichbar sein soll. Kirkman wünscht sich einen Ort ohne Autos, alles soll in Fußweite erreichbar sein - er wünscht sich das Gegenteil der US-Wohnwirklichkeit. Die Menschen sollen nah beisammen wohnen, sollen miteinander lernen, was nachhaltiges Leben bedeutet, bis zu vier Wochen lang. Sie sollen über Kopfsteinpflaster laufen, lernen, wie man Glas bläst und Schuhe herstellt. Sie sollen zu Fuß zur Bäckerei gehen oder, besser noch, lernen wie man selbst backt.

"Die Amerikaner sollen hierher kommen und sehen, was Nachhaltigkeit bedeutet: mit Blick auf die Umwelt, beim Wirtschaften und für das soziale Zusammenleben", sagt Kirkman. Er kreidet seinen Mitbürgern ihr entfremdetes Leben an. "Sie fahren riesige Pickup-Trucks, die sie erst verlassen, wenn sich das Garagentor hinter ihnen geschlossen hat. Ihre Grundstücke sind so groß, dass sie ihre Nachbarn gar nicht kennen. Sie kennen alle Funktionen ihrer Handys, haben aber keine Ahnung, wie man Tomaten pflanzt." Kirkman kritisiert den amerikanischen Traum und spricht mantragleich immer wieder dieses Wort aus: "Nachhaltigkeit". Bei ihm aber ist es eher symbolisch zu verstehen. Nachhaltigkeit steht bei Kirkman für ein einfaches, enttechnisiertes Leben.

"Ich wurde durch das Leben ausgebildet", sagt der Mann, der in Denver, Colorado aufwuchs und die Schule mit 15 Jahren verlassen hat. Er hat als Teenager in Seattle Gemüse verkauft, er hat mal in Stuttgart gewohnt und in Berlin, aber auch in Neuseeland und überhaupt: Kirkman hat nach eigenen Angaben 98 Länder der Welt bereist, und sein Oberkleinberg ist so etwas wie das Kondensat all seiner Erfahrungen. Kirkman ist so eine Art amerikanischer Träumer.

"Ich weiß schon, in Deutschland lacht ihr mich für Oberkleinberg aus. Ihr könnt damit nichts mehr anfangen, ihr habt diese schönen Städte jeden Tag vor Euch. Aber Amerikaner lieben eure Städte!" Angeblich hat ihm ein deutscher Freund das Wort ,,Oberkleinberg'' sehr frei mit ,,putziger Ort auf einem kleinen Hügel'' übersetzt. Kirkman mochte den Namen. Er mag Deutschland.

56 Millionen Dollar fehlen noch

Jetzt will er die Amerikaner mit der Putzigkeit der Oberkleinbergschen Architektur locken und ihnen dann, sind sie einmal da, die Leviten in Sachen besseres Leben lesen. Ein prinzipiell nachvollziehbarer Schachzug. Die Kulissen deutschen Lebens gelten in den USA als Besuchermagnet. Im Bundesstaat Washington etwa lockt die detailgetreue Kopie eines voralpenländischen Dorfes jedes Jahr Hunderttausende in der Ortschaft Leavenworth. Mindestens so beliebt ist der Weiler Frankenmuth in Michigan, in dem fränkische Auswanderer im 19. Jahrhundert ihre Fachwerk-strotzende Heimat nachempfanden. Architektonischer Zierrat mit deutschem Touch hat in den USA viele Freunde. Nicht zuletzt, weil die Ururgroßeltern vieler US-Amerikaner in solchen Häusern groß geworden sind.

Seit vor kurzem die Lokalzeitungen über Kirkmans Hinwendung zur Vergangenheit berichteten, bremsen täglich mehrere Autos am Eingang zu seinem Tal. Immer mehr Menschen nehmen Kirkmans Idee zur Kenntnis. Der Bundesstaat Montana etwa stellte vergangene Woche 30000 Dollar für eine Machbarkeitsanalyse in Aussicht. Und der Kommentator einer Zeitung urteilte etwas spöttisch: ,,Kleine Häuser, keine Autos, Kontakt zwischen den Nachbarn - der Mann will die Hölle errichten.''

Zwei Dinge fehlen Kirkman noch: Vertrauen und vor allem Geld. In den vergangenen Jahren hat er nach eigenen Angaben 4,6 Millionen Dollar investiert. Um Oberkleinberg aber bewohnbar zu machen, braucht er mehr. ,,Mir fehlen 56 Millionen'', sagt er, steigt die Treppe seines Turmes hinab und geht hinüber zu seinem eigenen Haus. Dort warten seine Frau Nadija, 27, und die Zwillinge Kade und Maria, beide gerade einmal 10 Monate alt und die ersten Kinder von Oberkleinberg.

Kirkman nimmt Kade auf den Arm, und um seine Entschlossenheit zu unterstreichen und um zu beweisen, dass seine Ideen eigentlich immer wahr werden, erzählt er die Geschichte von dem Schiff auf der Serviette, das einen Kran samt Motorrad und außerdem noch einen Whirlpool und einen Jetski beherbergte.

Er fragt seine Frau, ob sie wisse, wo die Bilder von dem Schiff seien? Nadija schüttelt den Kopf. Kirkman sucht. Er findet die Bilder nicht.

Draußen strahlen die Farben des höchsten Hauses von Oberkleinberg im Sonnenuntergang von Montana. Ein Bild wie aus einem Märchenbuch.

© SZ vom 21.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: