Süddeutsche Zeitung

Telekommunikation:Das Ende des Münzfernsprechers

Jahrzehntelang untermalte das feine Klackklack des Kleingeldes in den öffentlichen Telefonzellen das Gefühl von Sehnsucht und Erwartung. Nun wird der Münzeinwurf für immer ausgeschaltet. Ein Nachruf

Von Martin Zips

Diesmal ist es also wirklich so weit. Der Münzeinwurf wird an diesem Montag deaktiviert, in den 12.000 noch verbliebenen Fernsprechern der Deutschen Telekom. Dann ist es vorbei, mit dem Klackklack, welches einen entweder in fremde Welten beförderte oder von dort aus mit der Heimat verband.

Der Münzeinwurf, das war eine Wissenschaft. Denn durch die Ritzen, in die man jahrzehntelang hektisch sein Hartgeld warf, rauschte es meist völlig folgenlos durch. Irgendjemand verbreitete das Gerücht, dass man diesem Debakel durch Münzreibung vorbeugen könne, weshalb sich überall an den öffentlichen Fernsprechautomaten und ihren Zellen Reibespuren fanden. Ja, es wurde über die Jahre derart viel gerieben, dass an einigen Stellen des grauen Apparates oder der gelben Box die Farbe bis zur Metallschicht ab war. Griffiger wurde das Kleingeld dadurch nicht. Also musste es wieder unten rausgeholt und oben erneut eingeworfen werden. Bis jemand die Tür öffnete und fragte: "Brauchen Sie noch lange?"

Nun werden die Münzer deaktiviert. Ende Januar soll dann auch das Ende der Telefonkarten-Zahlung besiegelt sein. Alle Telefonzellen und -säulen in Deutschland werden abgebaut oder in so eine Art Mobilfunk-Repeater umgewandelt. Nach 142 Jahren endet damit, weitgehend geräuschlos, die Geschichte des öffentlichen Fernsprechers in Deutschland. Zuletzt waren einige der bereits geräumten Zellen als elendige Beseitigungsstellen nie gelesener Bücher vor sich hingemodert.

Mitte der Neunziger Jahre, da hatte es in Deutschland noch 160.000 solcher Fernsprechapparate gegeben. Aber zu dieser Zeit hing ja selbst ein Steve Jobs noch am Spiralkabel und bei "Telefonzelle" dachte jeder an Tippi Hedren, wie sie sich vor Hitchcocks Vögeln in Sicherheit brachte. Nun ist endgültig Schluss. Die "Verpflichtung zum Betrieb öffentlicher Telefone" war in Deutschland bereits Ende 2021 aus dem Telekommunikationsgesetz gestrichen worden.

Ein bisschen Wehmut aber darf schon sein, wenn man aus diesem Anlass noch einmal zurückdenkt, an die große Zeit des Klackklack. Denn das war auch immer dann zu hören, wenn das Geld während des Telefonats aufgebraucht und die Leitung - womöglich für immer? - unterbrochen war. Da musste man dann neue Münzen in den Schieber laden. Die Menschen, die einem übrigens die Kunst des Reibens erklärt hatten, das waren auch jene, die einem stur versicherten, mit Knöpfen oder wertlosem europäischen Auslandsgeld könne man der Deutschen Post ein Schnippchen schlagen. Das komme einem dann viel billiger. Aber versucht hat man es nie. Weil das ein schlechtes Omen für die Sprachnachricht gewesen wäre, mit der man seinen Freund oder seine Freundin beglücken wollte. Nur, dass die Sprachnachricht damals noch ein Dialog war. Für diesen feinen akustischen Kontakt fernab des von Eltern kontrollierten Festnetzes nahm man sogar Regen, Kälte, den Geruch von Zigaretten, Urin und Schweiß, sowie den Anblick von politisch oder sexuell konnotierten Schmierereien in Kauf. Denn sobald ein Münzeinwurf zum Erfolg führte und am anderen Ende der Leitung die ersehnte Person abnahm, war das Glück unendlich groß.

Verneigen wir uns daher, ein letztes Mal, vor dem Klackklack, und reiben noch einmal die Münze. Bringt ja eh nichts.

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