Süddeutsche Zeitung

Personalmangel in Schwimmbädern:Keiner hat mehr Lust, am Beckenrand zu stehen

Lesezeit: 3 min

Von Susanne Höll, Frankfurt

Wer sich fragt, warum in Deutschland ein dramatischer Mangel an Schwimmmeistern in Frei- und Hallenbädern herrscht, sollte nach Garmisch-Partenkirchen schauen. Dort stehen dieser Tage zwei Mitarbeiter eines Oberammergauer Schwimmbades vor Gericht, wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung. Im Sommer 2016 war dort ein zehn Jahre alter Junge leblos aus dem Wasser gezogen worden und später gestorben. Haben die zwei Schwimmmeister ihren Job nicht ernst genug genommen?

Das Bad in Oberammergau ist groß, gut fünf Fußballplätze hätten auf dem Gelände Platz. Es gibt mehrere Becken, Rutschen und Sprungbretter. Die beiden Angeklagten berichten, es sei viel los gewesen an jenem verhängnisvollen Tag. Alles und jeden könne man da zu zweit beim besten Willen nicht im Auge haben.

Wer an den Sonnentagen in diesem Sommer mit Kindern schwimmen geht, weiß, wovon die Rede ist. Und versteht, dass die Tätigkeit des Schwimmmeisters kein Traumjob ist. Wer an Ferientagen einen Badeausflug unternimmt, macht oft noch eine unschöne Erfahrung: der Sprungturm geschlossen, das zweite Becken auch, manchmal die gesamte Anlage. Wird nur ein Mitarbeiter krank, bleibt mancherorts das ganze Bad geschlossen.

Zwischen Flensburg und Kempten, Görlitz und Aachen fehlen seit Jahren Tausende qualifizierte Mitarbeiter, in diesem Sommer sind gut 2000 offene Stellen registriert. Hoffnung auf schnelle Besserung gibt es nicht. Die Schwimmmeister - korrekt heißen sie "Fachangestellte für Bäderwesen", die Bezeichnung Bademeister ist längst verpönt - haben Nachwuchsprobleme. Schuld tragen die Städte und Gemeinden, die in den meisten Fällen die Betreiber der Schwimmbäder sind.

Nicht nur die Anlagen und Bauten, sondern auch die Belegschaften seien kaputtgespart worden, beschreibt Dieter Korte von der Gewerkschaft Verdi die Lage. Der Gewerkschaftssekretär in Berlin-Brandenburg kennt sich aus in solchen Fragen in und um die Hauptstadt herum. In Berlin mit seiner angespannten Finanzlage ist die Situation der Beschäftigten im öffentlichen Dienst seit Jahren schwierig. Aber auch viele andere Städte und Gemeinden haben leere Kassen und hohe Schulden.

Und die städtischen Frei- oder Hallenbäder sind fast immer ein Zuschussgeschäft, lassen sich über den Eintrittspreis allein nicht finanzieren. Das spüren die Mitarbeiter. "Das Problem des fehlenden Personals wird sich nicht schnell lösen, im Gegenteil. Der Fachkräftemangel in den Bädern wächst, wie in der gesamten öffentlichen Verwaltung", resümiert Verdi-Bundesfachgruppenleiter Thomas Herbing.

Wer sich als Rettungsschwimmer Geld dazuverdienen will, geht lieber an die Ostsee

Zusammen mit dem Bundesverband deutscher Schwimmmeister versucht die Gewerkschaft, jungen Leuten Lust auf den Job zu machen. Bislang ohne großen Erfolg. Das liegt auch an den Arbeitsbedingungen rund um die Becken. Schwimmmeister arbeiten, wenn andere Ferien machen, im Schichtdienst und an Wochenenden. Der Schutz der Schwimmer ist oberstes Gebot, aber nur Teil des Jobs. Die Fachkräfte sind oft zuständig für die Technik des Pools, die Hygiene. Sie müssen kleinere Verletzungen behandeln, für so etwas wie Ruhe und Ordnung im Wasser, am Beckenrand und im Rest der Anlage sorgen. Sie geben Schwimmunterricht und sollen auch noch im Blick halten, ob irgendwer mit dem Smartphone unziemliche Fotos macht.

An heißen Tagen mit großem Besucherandrang ist das mit der kleinen Zahl an Angestellten nicht zu schaffen. Viele Schwimmbadmitarbeiter könnten nicht einmal die ihnen zustehende halbe Stunde Pause nehmen, weil die Sicherheit am Becken nicht mehr gewährleistet wäre, so die Gewerkschafter. Sie kennen Bäder, in denen Fachkräfte zum Leiter der Einrichtung ernannt wurden, obwohl ihnen die Qualifikation fehlte. Wer könne, wechsele in die Privatwirtschaft, wo besser bezahlt werde.

Die kommunalen Arbeitgeber behelfen sich mit Saisonkräften: ausgebildeten Rettungsschwimmern, die die Becken beaufsichtigen. Aber selbst für diesen Job werden Bewerber knapp. Wer im Sommer als Aufseher Geld dazu verdienen wolle, gehe lieber an die Ostsee als in ein öffentliches Bad, sagt Korte. Am Strand stelle sich Urlaubsgefühl ein, die Klientel am Meer sei entspannter und umgänglicher als die am Großstadt-Pool, wo selbst Polizeieinsätze nicht mehr ungewöhnlich seien.

Für den Bürger hat all das Folgen. Entweder das öffentliche Bad öffnet nur noch für ein paar Stunden am Tagt oder es bleibt gleich ganz zu. Dass immer weniger Kinder in Deutschland schwimmen können, liegt also auch an der schwierigen Lage in den öffentlichen Bädern. In Oberammergau haben die Betreiber inzwischen eine Lehre aus dem Badeunfall 2016 gezogen. An Wochentagen sind inzwischen drei, an Wochenenden sogar vier Fachkräfte im Dienst.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2017
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