Deutsche Sekte "Colonia Dignidad" in Chile:Kolonie der Würdelosen

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Szene aus der Villa Baviera

(Foto: REUTERS)

Ein chilenisches Gericht hat 21 Sektenführer der "Colonia Dignidad" verurteilt. Den Männern wurde jahrzehntelanger Kindesmissbrauch nachgewiesen. Der Deutsche Hartmut Hopp gehört zu den Verurteilten. Doch er lebt weiter unbehelligt frei in Krefeld - dank der deutschen Justiz.

Von Peter Burghardt, Buenos Aires

Wenn alles mit rechten Dingen zugeht in diesem unendlichen Krimi, dann werden demnächst chilenische Polizisten einen deutschen Freizeitpark im Süden Chiles aufsuchen. Die Vertreter der Staatsgewalt werden einen Schotterweg in die Anden hinauf fahren, vorbei an Zäunen, Antennen und einem Hinkelstein mit der Aufschrift "Villa Baviera". In der ehemaligen Colonia Dignidad, der "Kolonie der Würde", werden die Beamten mehrere Kinderschänder verhaften und ins Gefängnis bringen. Bloß einen Verbrecher wird das Kommando nicht mitnehmen können. Der Gesuchte befindet sich auf freiem Fuß in Deutschland, das bei der Recherche bisher noch langsamer war als Chile.

21 Angeklagte aus der früheren Colonia Dignidad wurden vom Obersten Gerichtshof in Santiago nach langen Verhandlungen und Revisionen nun rechtskräftig verurteilt. Sechs von ihnen müssen für fünf bis elf Jahre in die Zelle. Es sind die Deutschen Gerd Seewald, 90, Gerhard Mücke, 79, Kurt Schnellenkamp, 85, und Günther Schaffrick, 52, sowie der Chilene Dennys Alvear, 53.

Verurteilter Arzt lebt in Krefeld - in Freiheit

Chiles Justiz sieht es als erwiesen an, dass diese führenden Mitglieder der ehemaligen Horrorsekte an sexuellem Missbrauch in mehreren Fällen mitgewirkt haben. Seewald, Mücke, Schnellenkamp und Schaffrick sind außerdem an der Freiheitsberaubung von Minderjährigen mitschuldig. Bloß der ebenfalls verurteilte frühere Arzt Hartmut Hopp, 68, entkommt der Strafe - vorerst. Er war 2011 nach einem Urteil in erster Instanz nach Krefeld geflohen und lebt dort trotz eines internationalen Haftbefehls, weil Deutschland keine Landsleute ausliefert.

Deshalb freut sich Opferanwalt Hernán Fernández nur einerseits. "Endlich ein effektives und symbolisches Urteil, nach so vielen Hindernissen", sagt er. Aber am Ziel ist Fernández nicht. Dafür haben seinen Mandanten zu viel erlitten. Jahrzehnte lang verging sich der pädophile Prediger und Sektenchef Paul Schäfer mit Hilfe seiner Adjutanten an Jugendlichen, ehe er 2005 auf der Flucht verhaftet wurde und 2010 in einem Militärkrankenhaus starb.

Der Päderast war 1961 mit seiner Gemeinde nach Chile geflüchtet und hatte dort einen Staat im Staate aufgebaut, genannt Colonia Dignidad. 15.000 Hektar Landwirtschaft, teutonische Folklore, Religionswahn und Folterlager. Kinder wurden vergewaltigt, Widerständler verprügelt und mit Psychopharmaka vollgepumpt, die meisten der mehr als 300 Bewohner schufteten ohne Bezahlung. Außerdem quälte und ermordete der chilenische Geheimdienst während der Militärdiktatur des Augusto Pinochet dort Regimegegner, auch von Waffenhandel und Giftgas ist die Rede. "Es geht um eine kriminelle Vereinigung, die fast alle Delikte des Strafgesetzbuches verübt hat", sagt Fernández.

Warum Deutschland nichts tut

Der bärtige Chilene vertritt in seine kleinen Büro seit 14 Jahren viele der Geschädigten. Der Jurist hat sein Geld und seine Gesundheit dafür eingesetzt. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass Schäfer den Fahndern nach acht Jahren Suche in Argentinien ins Netz ging. Sein Einsatz trug entscheidend dazu bei, dass der Kampf gegen die übrigen Täter weiterging. Einem Mordanschlag entkam er. In Deutschland erhielt Fernández das Bundesverdienstkreuz, hätte es aber fast zurück gegeben, weil Alemania so wenig tut.

Zwischenzeitlich nahm er sogar geschundene Kolonisten bei sich auf, inzwischen leben seine Mandanten Franz Baar und Ingrid Szurgelies von Almosen und einer chilenischen Gnadenrente. Der von deutschen Colonia-Bewohnern zwangsadoptierte Baar war von Hartmut Hopp und Kumpanen im berüchtigten Krankenhaus der Siedlung jahrelang festgehalten und fast umgebracht worden. Dennoch konnte sich der Doktor Hopp unbehelligt in die alte Heimat absetzen, nachdem es in seinem Refugium Villa Baviera alias Colonia Dignidad brenzlig geworden war. Er zog in die Region Krefeld, im für ihn einzigen sicheren Land der Welt. Dabei wird gegen ihn in Deutschland sogar wegen des Verdachts auf Mord ermittelt.

"Das ist einfach eine schwierige Geschichte"

Eine Überstellung Hopps nach Chile war aber offenbar kein Thema, als am Wochenende der chilenische Präsident Sebastián Piñera Kanzlerin Angela Merkel empfing. Mit dabei war der frühere Pinochet-Minister Hernán Felipe Errázuriz, der laut Dokumenten über die Schrecken der Colonia im Bilde gewesen war. Bis in die jüngere Vergangenheit genoss das Unternehmen auffälligen Schutz. Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika in Berlin nennt das einen Skandal. Die Colonia habe in Deutschland eine Lobby gehabt, vor allem bei CDU und CSU, sagt er. Der Wissenschaftler erhielt erst Einblick in die Dokumente, nachdem er das Auswärtige Amt (AA) verklagt hatte.

Unterdessen durfte die frühere Colonia sich mit Hilfe des AA in einen Touristentreff mit Oktoberfest, Hotel und Restaurant verwandeln. "Deutsche Tradition", verspricht die Website, eine Beleidigung für die Gequälten. Mehr als 150 Menschen wohnen noch auf dem Areal, Töchter und Söhne der alten Hierarchen haben das Kommando übernommen. Mutmaßliche Millionengewinne sind verschwunden. Ein Teil des Terrains müsste versteigert werden, falls die Verurteilten die von den Richtern beschlossene Entschädigung von umgerechnet ungefähr einer Million Dollar an die erfolgreichen Kläger nicht bezahlen. Fernández und andere Anwälte verlangen Wiedergutmachung von Deutschland und Chile.

Er war wegen der Causa in Bonn und blitzte bei der Justiz ab. "Das ist einfach eine schwierige Geschichte", klagt Klaus Schreiber von der Krefelder Staatsanwaltschaft, wo der Fall Hopp gelandet ist. In der Gegend haben sich zurückgekehrte Kolonisten niedergelassen. Chile solle um Rechtshilfe gebeten werden, dabei helfen die Berliner Anwälte Petra Schlagenhauf und Wolfgang Kaleck. Man brauche mehr Unterlagen, sagt Schreiber, "das chilenische Urteil reicht für Deutschland nicht aus". Es liege kein neuer Auslieferungsantrag vor. Immerhin glaubt er bei Hopp nicht an Fluchtgefahr. Er würde außerhalb Deutschlands festgenommen werden.

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