Erste Deutsche Inselkonferenz:"Insulaner können nicht einfach weiterradeln, bis sie umfallen"

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Mit der Fähre schippern die Teilnehmer der Konferenz zur exponiertesten Insel der Nordsee, Helgoland. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Bei der ersten Deutschen Inselkonferenz treffen sich Insulaner von Nord- und Ostsee. Die Geografin Beate Ratter, erklärt, was die Bewohner von Borkum bis Usedom eint und vor welchen Herausforderungen sie stehen.

Interview von Helena Ott

Der Bürgermeister von Helgoland hat in dieser Woche zur ersten Deutschen Inselkonferenz geladen. Vertreter von Gemeinden, Naturschutz- und Tourismusverbänden treffen sich, um die Seele der Inselbewohner zu ergründen und um über gemeinsame Herausforderungen zu sprechen. Konferenzteilnehmerin Beate Ratter, Geografie-Professorin in Hamburg, forscht seit 30 Jahren zum Verhältnis von Natur und Mensch an Küsten und auf Inseln und kann erklären, was die Insulaner von Borkum bis Usedom eint.

SZ: Was ist los in Nord- und Ostsee, dass man im Jahr 2019 zum ersten Mal eine Deutsche Inselkonferenz einberufen hat?

Beate Ratter: Durch das Festland getrennt, machen die Nord- und die Ostseeinseln normalerweise eher ihr eigenes Ding. Aber in herausfordernden Zeiten mit Klimakrise und demografischem Wandel merken sie jetzt stark, dass man sich zusammenschließen muss, um als kleine, verletzliche Inseln gehört zu werden. Ähnlich wie bei der Fridays-for-Future-Bewegung ist es viel effektiver, wenn man gemeinsam kämpft.

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Spüren Inselbewohner auf Norderney, Amrum oder Rügen den Klimawandel deutlicher als Menschen auf dem Festland?

Die deutschen Inseln sind nicht so niedrig wie beispielsweise die Malediven, dass man sofort den steigenden Meeresspiegel bemerken würde. Und durch die fantastische Ingenieurskunst sind die Inseln mit Brandungsmauern und Deichen gut befestigt. Aber gerade in der Nordsee sind Sturmfluten ein großes Thema. Sie kommen jetzt früher im Jahr und sind intensiver. Die Insulaner haben das Meer immer direkt vor Augen, sie sehen, wo vor ihrer Haustüre Buchten abgetragen werden oder dass ihre Fischer Sardinen in den Netzen haben - normalerweise typische Mittelmeerfische.

Leben Inselbewohner umweltbewusster?

Der Klimawandel ist zwar präsenter, aber unsere Umfragen haben gezeigt, dass sie sich in der Lebensweise, also wie lang sie duschen oder ihre Häuser isolieren, nicht von Festländern unterscheiden. Die Insulaner sagen aber auch, dass sie gerne öfter Bioprodukte kaufen würden, sich aber nicht aussuchen können, was im Supermarkt liegt.

Beate M. W. Ratter, 56, ist Professorin für Integrative Geografie an der Universität Hamburg. Sie erforscht sozialwissenschaftlich, wie Menschen auf Inseln zusammenleben - von der Karibik bis zum deutschen Wattenmeer. (Foto: Uni Hamburg)

Norderney in der Nordsee und Usedom in der Ostsee liegen etwa 500 Kilometer Luftlinie auseinander. Gibt es trotzdem ein gemeinsames Inselgefühl?

Durch die gemeinsame Seefahrt waren die Nordseeinseln früher eher mit den anderen Wattenmeerinsel in den Niederlanden und Dänemark verknüpft. Und natürlich unterscheidet sich das Leben in der rauen Nordsee von dem auf einer Ostseeinsel.

Also würden Sie die deutschen Inseln nicht als gemeinsame Region verstehen?

Geografisch nicht, aber trotzdem gibt es einiges, das Inselbewohner verbindet. Sie leben dort, wo andere Urlaub machen wollen. Das ist Fluch und Segen. Es ist der wichtigste Wirtschaftszweig, aber für die Bewohner enorm anstrengend, wenn im August zehnmal so viele Touristen wie Einheimische auf ihre Insel drängen. Da freut man sich auf den Herbst, wenn man seine Insel wieder für sich hat. Wir haben bei einer Studie einmal nach den größten Risiken gefragt. Hinter Sturmfluten sagen 17 Prozent "Zu viele Touristen" - und ebenfalls 17 Prozent "Zu wenige Touristen".

Ländliche Regionen in Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern haben mit Überalterung zu kämpfen. Die Inseln auch?

Bei der Demografie machen sie eine parallele Entwicklung durch, aber noch um ein paar Umdrehungen schärfer, wegen des Brain Drains. Die Inseln haben meist nur Hauptschulen, für das Gymnasium müssen die Kinder ins Internat aufs Festland. Oft kehren sie nicht mehr zurück, auch, weil die beruflichen Perspektiven fehlen.

Was unterscheidet ländliche Regionen auf dem Festland vom Inselleben?

Sie müssen sich vorstellen, die Insulaner können nicht einfach weiterradeln, bis sie irgendwann umfallen. Soziologisch ist das sehr interessant, dieses Gefühl von Begrenztheit, das alle Inselbewohner verbindet. Das gibt einerseits Sicherheit und Übersichtlichkeit, andererseits kann es auch umschlagen - in den berühmten Inselkoller.

Hatten Sie den auch schon mal?

Ja. Man kriegt schon mal die Krise, wenn das Versorgungsschiff wieder nicht das Produkt mitgebracht hat, wofür man schon dreimal zum Supermarkt gelaufen ist.

Trotzdem leben in Europa 20 Millionen Menschen auf Inseln.

Es gibt zum Glück immer Leute, die sagen, ich gehöre da hin, auch wenn es logistisch anstrengender ist. Ihnen ist der Zusammenhalt wichtig. Das Sozialkapital ist auf Inseln sehr hoch, man hilft sich gegenseitig. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Helgoland evakuiert. Viele Insulaner haben nur darauf gewartet, bis sie endlich wieder "auf ihren Felsen", wie sie sagen, zurückkonnten.

© SZ vom 26.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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