Der Sinn des Lebens:Pinselbegabung

Philipp Humm war Topmanager, bis er sich zu einer Kehrtwende entschloss: Er kündigte, um Maler und Bildhauer zu werden. Und jetzt hat er auch noch Goethes "Faust" verfilmt.

Von Alexander Menden

Schießt da etwa eine MiG den Sonnenwagen ab? "Nein", korrigiert Philipp Humm, "das ist eine F16." Ob man nun genau weiß, welches Jagdflugzeug sich da von der oberen rechten Ecke ins Bild schiebt, oder nicht - der Gesamteindruck des großformatigen Gemäldes an der Wand ist erstaunlich: Vor nachtblauem Himmel stürzt in einem Knäuel aus Pferdeleibern, Damen in roten Badeanzügen und einem Herrn in gleichermaßen roter Badehose ein Wagen mit gebrochener Deichsel gen Erde. "Das ist meine Version des griechischen Mythos von Phaëthon", erklärt Humm. Der Sohn des Sonnengottes Helios lieh sich bekanntlich Papas Wagen, verlor die Kontrolle, entfachte einen Weltenbrand und konnte erst vom Göttervater Zeus mit einem gezielten Blitzschlag gestoppt werden. In Humms Fassung sitzt Zeus halt in einer F16. Das überraschendste an dieser Geschichte aber ist, dass einer wie Philipp Humm, 59, überhaupt eine eigene Version eines griechischen Mythos auf eine Leinwand bringt. Als hauptberufliche Tätigkeit, sozusagen.

Der gebürtige Saarbrücker war unter anderem in der Geschäftsleitung von Tengelmann, zwei Jahre lang Geschäftsführer von Amazon.de, dann, von 2005 an, in verschiedenen Top-Positionen bei der Deutschen Telekom, unter anderem CEO von T-Mobile USA. Zuletzt fungierte er als Chef von Vodafone in Europa. Und dann, 2015, gab er das alles auf. Und wurde Künstler, und man kann nun schon fragen, was genau so bemerkenswert daran ist, wenn einer, der es sich leisten kann, im letzten Lebensdrittel sein Hobby zur Hauptbeschäftigung macht. In Philipp Humms Fall lautet die Antwort: Weil sehr wenige diesen Richtungswechsel so radikal vollziehen. Bilder malen und Bronzestatuen gießen ist ja eine Sache. Als ehemaliger Topmanager aus dem Stand und ohne Vorkenntnisse auf eigene Kosten das bedeutendste Bühnenwerk der deutschen Literatur zu verfilmen, weil man denkt, dass das wirklich mal überfällig sei, eine ganz andere. Gemeint ist Goethes Faust, dazu später.

Nun braut Humm in einer großzügigen Wohnküche Kaffee und gibt angeregt Auskunft über den symbolischen Inhalt der Kunstwerke, welche die Einrichtung seines Hauses im Londoner Stadtteil Gospel Oak dominieren. Da ist zum Beispiel die Bronzestatue eines sich zusammenkrümmenden Mannes, daneben hängt ein Hochformat, in dem die Venus von Milo einer Gruppe von vier Herren Modell steht: "Da habe ich mir überlegt, was meine ideale Vorlage wäre und mit wem ich gerne mal zusammen malen würde: Damien Hirst, Jeff Koons, Andy Warhol." Der vierte Künstler, rechts im Bild, ist Philipp Humm selbst, was weniger überrascht, wenn man weiß, dass all diese Kunstwerke aus der Hand des Hausherrn selbst stammen.

Der Sinn des Lebens: Früher arbeitete Philipp Humm als CEO. Heute versucht er sich als Filmregisseur und als Maler (unten als Selbstporträt, neben Andy Warhol sitzend).

Früher arbeitete Philipp Humm als CEO. Heute versucht er sich als Filmregisseur und als Maler (unten als Selbstporträt, neben Andy Warhol sitzend).

(Foto: The Humm Collection)

Humm sagt, er sei halt ein "bunter Hund", der "nicht immer denselben Stiefel machen" könne, aber als Erklärung genügt das nicht ganz. Also holt Humm, den sein saarländischer Akzent in all den Jahrzehnten internationalen Wirtschaftskapitäntums nie verlassen hat, etwas weiter aus: Obwohl der Sohn eines Kinderarztes nicht aus einem überdurchschnittlich kunstbeflissenen Haushalt stammte, entdeckte er früh eine Neigung zum Zeichnen. Nach der Schule bewarb er sich 1979 sogar in Berlin für ein Kunststudium. Aber seine Bewerbungsmappe sei "wie Kraut und Rüben" gewesen, deshalb sei er abgelehnt worden. Die Idee, Fotograf zu werden, schlug er sich aus dem Kopf, nachdem er erlebt hatte, wie ein Fotograf in einer Werbeagentur heruntergeputzt worden war. Stattdessen betrat er den Pfad des Betriebswirtschaftlers.

Der Wandel vom Business-Saulus zum Kultur-Paulus erfolgte 2012. Humms Ehe wurde geschieden und er wechselte aus den USA nach London. Dort war er "extrem viel Kunst ausgesetzt", belegte Mal- und Zeichenkurse: "Ich habe angefangen, wie im Wahn zu zeichnen. Auch in Vorstandssitzungen. Da habe ich die Leute porträtiert - wenn der Chef so was macht, sagt keiner was." 2015 beschloss er, "voll ins Risiko zu gehen": Er ließ die Welt der mobilen Kommunikation zugunsten der hehren Kunst zurück. "Man kann entweder weiter Millionen verdienen und immer reicher werden. Oder man kann komfortabel von dem leben, das man schon verdient hat, und seiner Leidenschaft nachgehen", sagt Humm.

Obwohl er nach eigener Aussage bereits 30 Werke verkauft hat, privat und über eine Galerie, ist das Leben als Künstler rein finanziell betrachtet natürlich ein Verlustgeschäft. Das hat Philipp Humm aber nicht davon abgehalten, sein bisher mit Abstand ehrgeizigstes Projekt anzugehen, es vollständig aus eigener Tasche zu produzieren und vorzufinanzieren: Die Verfilmung von Goethes "Faust", und zwar Teil eins und zwei. Das Ganze entwickelte sich aus der Idee, eine Reihe von Faust-Zeichnungen anzufertigen, die an die Dante-Illustrationen von Salvador Dalí angelehnt waren.

Der Sinn des Lebens: Ein Gemälde von P. Humm

Ein Gemälde von P. Humm

(Foto: The Humm Collection)

Aus dem Quasi-Storyboard wurde ein Drehbuch. Auf straffe anderthalb Stunden eingedampft spielt Humms Faust in einer Silicon-Valley-Welt. Gretchen ist eine minderjährige Praktikantin eines Start-up-Unternehmens namens "Winestone Inc." ("Me-Too" lässt grüßen). Es wirkt, als wolle er die Geister jenes Universums austreiben, dem er den Rücken gekehrt hat. In seinen Zeichnungen hatte Humm Faust kurzerhand mit Christoph Waltz, Mephisto mit Ben Kingsley besetzt. In der soeben in nur 19 Tagen in London abgedrehten Filmversion haben der TV-Schauspieler Martin Hancock und der Bühnenveteran Glyn Dilley diese Rollen übernommen.

Erfahrung mit Film hatte Humm bis dahin nicht. Den Regisseur Dominik Wieschermann ergoogelte seine Lebensgefährtin, die Fotografin Danielle Mah, im Internet. Das fertige Produkt, das Humm im Schnelldurchlauf auf einem riesigen Computerbildschirm präsentiert, wirkt wie eine Mischung aus einer abgefilmten Avantgarde-Theaterinszenierung mit Achtzigerjahre-Charme und Tommy Wise aus Independent-Kultfilm "The Room". Philipp Humm hat noch keinen Vertrieb für den Film, die Suche läuft.

Und was sagen eigentlich Philipp Humms frühere Kollegen zu seinem Spurwechsel? "Ich weiß, dass viele auch gerne ihrer Passion so kompromisslos nachgehen würden", sagt er. "Aber sie trauen sich nicht." So bleibt ihnen nur die Reaktion, die sie mit nicht wenigen anderen teilen dürften, die mit Philipp Humms Kunst in Berührung kommen: ein bisschen Bewunderung, ein bisschen Kopfschütteln.

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