Der Mars naht:Überholjagd auf der Sternenbahn

In aller Welt machen die Hobby-Astronomen mobil: der Mars kommt der Erde so nahe wie zuletzt vor 59.619 Jahren.

Von Hubert Filser

(SZ vom 27.08.2003) - Auf der Erde herrscht Ausnahmezustand. "Bitte", sagt Rainer Bönninghausen, "bitte schreiben Sie, dass der Mars noch den ganzen September so schön zu sehen ist und nicht nur heute!" Während alle Blicke heute auf den Mars gerichtet sind, muss der stellvertretende Leiter der Bayerischen Volkssternwarte in München eher aufs Telefon achten.

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(Foto: Foto: ESA)

Das klingelt seit Tagen mit zunehmender Frequenz, so als wollte es die Ankunft der ersten Marsmenschen einläuten. Im Minutentakt muss Bönninghausen Fragen beantworten, 600 Menschen melden sich derzeit täglich. Mehr als 1000 sind in der vergangenen Woche abends zu den Teleskopen auf das Dach des Bürogebäudes in der Rosenheimer Straße gestiegen.

Die Mitarbeiter legen Extra-Schichten ein. Wenn sie sich nicht auch über das Interesse an der Sternenguckerei freuen würden, wären sie wohl dem Nervenzusammenbruch ein wenig näher. Denn niemanden der Anrufer und Besucher scheint es zu interessieren, dass der Hype eigentlich ziemlich übertrieben ist.

Ein Abstand von 55.758.006 Kilometer. Das ist alles.

Was zählt, ist griffig zu formulieren: Der Mars ist nah. So nah, wie ihn vor uns zuletzt die Neandertaler sahen im Sommer vor 59.619 Jahren. An diesem Mittwoch um 11.51 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit beträgt der Abstand zwischen den Zentren des roten und des blauen Planeten exakt 55.758.006 Kilometer. Das ist alles.

Die Schlagzeilen klingen indes bisweilen so dramatisch, als würden wie in Orson Welles' berühmter Radioreportage die Marsianer die Gelegenheit nützen, um auf dem Planeten Terra zu landen. Ähnlich wie wir Erdbewohner in den vergangenen Monaten die Gunst der Stunde nutzten und gleich vier Sonden Richtung Mars losschickten.

Der Mars ist der Science-Fiction-Planet. Vielleicht hoffen die vielen Menschen, die jetzt weltweit täglich in die Sternwarten strömen, wenn nicht Marsmännchen, so doch wenigstens etwas Spektakuläres zu sehen. Einen der angekündigten, heftigen Sandstürme vielleicht, die mit Tornadogeschwindigkeit über die Dünen und verästelten Canyons dort toben. Oder den 27 Kilometer aufragenden Vulkan Olympus Mons. Oder ein richtiges Marsgewitter.

Ufos im Süden

"Im Fernrohrobjektiv ist der Mars so, naja, ein oranges Scheibchen", sagt Rainer Bönninghausen. Er versteht den Trubel nicht ganz. "Saturn ist mit der schönste Planet, und Jupiter ist überhaupt der tollste mit seinen Wolkenbändern und den Monden."

Beim Mars sieht man nur die weißlich schimmernde untere Polkappe und ein paar hellere und dunklere Flächen. Doch, was hilft es? Jupiter und Saturn sind einfach zu weit weg für die menschliche Phantasie, da kann man eben nicht schnell mal "den kleinen grünen Männchen winken", wie der Wiener Standard schrieb.

Immerhin ist der Mars, obwohl von der Erde aus nicht wirklich spektakulär, der einzige Planet, den wir mit bloßem Auge sehen können. Er ist jetzt etwa 150 mal so weit weg wie der Mond.

Alt, unheimlich und glutrot

Was macht es da, dass er mit bloßem Auge nur so groß scheint wie eine Ein-Euro-Münze aus 150 Metern Entfernung, ein Zwanzigstel der Fläche des Vollmondes? Jeden Abend kurz vor 21 Uhr sieht man am südöstlichen Nachthimmel diesen kleinen, hellen, rötlichen Punkt knapp über dem Horizont.

Schade nur, dass gerade "Vollmars" herrscht. Die Bodenformationen werfen dann keine Schatten, weil das Sonnenlicht senkrecht auftrifft. Auf der Südhalbkugel erkennt man ihn besser, dort steht er im Zenit. Manchen macht dieses Leuchten Angst, immer mehr Menschen melden, sie hätten Ufos gesehen "im Süden". Auch Bönninghausen muss die Leute beruhigen.

Es ist der alte, unheimliche Teil, den der Mars verkörpert: Kriegsgott, Unheilsbote, glutrot und deshalb so emotionsbeladen. Gleichzeitig ist der rote Planet uns Menschen gefühlsmäßig nahe, weil er der Erde von allen Himmelskörpern am meisten ähnelt. Er hat eine Atmosphäre, und vielleicht gibt es sogar Wasser dort. Sogar die Umlaufbahn ist ähnlich geneigt wie die der Erde.

Auf Graswiesen gehen oder gleich hoch in die Berge

"Wie zwei Autos rasen Erde und Mars auf ihren Ellipsenbahnen um die Sonne", erzählt Bönninghausen. Und der blaue Planet gewinnt immer gegen den roten. Auf der Innenbahn schafft die Erde, der Sonne näher, zwei Runden, während der Mars gerade mal eine packt. Alle 26 Monate schießt die Erde von hinten heran und überholt den Mars. Das passiert gerade - wobei die Erde diesmal so nahe kommt wie lange nicht mehr.

Deshalb haben die Menschen so viele Fernrohre gekauft wie zuletzt beim Auftauchen des Halleyschen Kometen im Jahre 1986. Sie folgen den Ratschlägen von Fachleuten und fahren hinaus aus den Städten. "Fahren Sie nach Süden", sagt der Forscher Hans Ritter vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching.

"Dann liegen die störenden Lichter der Stadt hinter Ihnen." Genau wie das Flirren der Luft, wenn die aufgeheizte Erde nachts ihre Wärme an die kühle Nacht abgibt. Deshalb sollte man auf Graswiesen gehen oder gleich hoch in die Berge, wo die Luft klarer ist.

Der stille Triumph der Amateure

Hype hin oder her: Liebhaber ferner Welten zelebrieren solche Nächte. Dass die spektakuläreren Bilder nicht von der Erde aus zu sehen sind, sondern von weiter oben, von einer der zahlreichen Sonden oder vom Hubble-Teleskop in 612 Kilometern Höhe, scheint die meisten nicht zu stören.

Denn einen stillen Triumph haben all die Amateurastronomen: In der Masse sind sie auch wissenschaftlich so stark, dass in der Fachzeitschrift Sky and Telescope kürzlich der Aufruf zu lesen war, man möge doch gezielt nach den Aufhellungen Ausschau halten, die man beim letzten Mars-Erde-Rendezvous beobachtet habe. Vielleicht sei dieses Glitzern ein Hinweis auf spiegelnde Eisflächen.

Den Wissenschaftlern stehen die Weltraumteleskope nämlich oft nur Minuten zur Verfügung. Auch deswegen sind es die Nächte der Amateure. Der Begeisterung fügen sich denn auch Rainer Bönninghausen und seine Kollegen und öffnen ihre Sternwarte bis zwei Uhr nachts. Schließlich wird die Erde dem Mars erst wieder am 28. August 2287 so nahe sein.

(sueddeutsche.de)

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