Süddeutsche Zeitung

Der Fall Tristan:"Er wollte seine Tat ungeschehen machen"

Vor zehn Jahren wurde der 13 Jahre alte Tristan bestialisch ermordet. Nun hat die Polizei einen neuen Fahndungsansatz.

An Grausamkeit ist der zehn Jahre zurückliegende Mord an dem Schüler Tristan Brübach in Frankfurt-Höchst kaum zu überbieten. "Als ich die Fotos vom Tatort das erste Mal gesehen habe, ist es mir eiskalt den Rücken heruntergelaufen", sagt Kriminalhauptkommissar Uwe Fey, der als einziger Ermittler immer noch an dem Kriminalfall arbeitet.

Obwohl die kriminalistische Feinarbeit mit der Zeit immer schwieriger wird, hat der 46 Jahre alte Kriminaler die Hoffnung auf einen Treffer immer noch nicht aufgegeben. Mit einem neuen Fahndungsansatz geht die Kripo zum zehnten Jahrestag des Verbrechens an die Öffentlichkeit.

Die Details sind äußerst blutig: Der unbekannte Täter muss den 13 Jahre alten Jungen am helllichten Nachmittag erst heftig geschlagen und ihm dann mit einem tiefen Schnitt die Kehle durchtrennt haben. Was dann folgte, macht den Fall in der deutschen Kriminalgeschichte zu einem der grausigsten: Wie bei einem Stück Vieh schneidet der Mörder mit einem scharfen Messer Muskelfleisch in großen Stücken vom leblosen Körper Tristans, auch die Hoden schneidet er ab und nimmt sie wie das Fleisch im Rucksack des Schülers mit.

Das Blut lässt der Unbekannte dabei literweise in den Liederbach fließen und richtet hinterher die Leiche in aller Ruhe so her, dass alles nicht ganz so schlimm aussehen soll. "Er wollte seine Tat ungeschehen machen", lautet die Erklärung der Profiler, die den Fall nicht nur in Deutschland, sondern auch bei der US-Bundespolizei FBI analysiert haben. Parallelfälle lassen sich kaum finden, erst zwei Jahre später scheint es im schwäbischen Böblingen etwas Ähnliches zu geben, als der elf Jahre alte Tobias Dreher mit Dutzenden Messerstichen getötet wird und auch ihm die Hoden abgeschnitten werden. Dennoch: "Wir haben keine Zusammenhänge gefunden", sagt Fey.

54 Verweigerer

Überhaupt kann die Polizei im Fall Tristan auf eine beachtliche Zahl kalter Spuren und Fahndungs-Misserfolge zurückblicken. Als Fehlschlag erwies sich der Massentest unter der jüngeren männlichen Bevölkerung ganzer Stadtteile. Mehr als 10.000 Frankfurter sollten ihre Fingerabdrücke mit einem Print vergleichen lassen, den der Täter auf einem später zufällig im Wald gefundenen, mit Blut getränkten Schulbuch Tristans hinterlassen hatte.

Abgesehen von der hohen Fluktuation in einer großstädtischen Bevölkerung stießen die Polizisten auch bald an rechtliche Grenzen. Schon unter den gut 4600 ins Visier genommenen Bewohnern der beiden dem Tatort nächsten Stadtteile Höchst und Unterliederbach weigerten sich 54, an der freiwilligen Aktion teilzunehmen. Die Staatsanwaltschaft prüfte und fand keinen rechtlichen Ansatz, wie gegen diese Personen weiter ermittelt werden konnte. Vom Massentest erst gar nicht erfasst wurden Tausende Pendler, die jeden Tag auf dem Höchster Bahnhof umsteigen und die ebenfalls in die Tausende gehenden Beschäftigten des nahen Industrieparks Höchst.

Nach menschlichem Ermessen haben die Kriminaler dennoch kaum etwas unversucht gelassen, den grausamen Fall zu lösen. Neben dem üblichen, weltweiten Abgleich der Fingerspur haben sie unter anderem den verurteilten "Kannibalen von Rotenburg", Armin Meiwes, befragt und unter dessen dubiosen Internet-Bekanntschaften nach dem Täter gesucht.

Der letzte Tristan-Ermittler Fey hat daher die Fingerabdruck-Karteien links liegengelassen und sich den übrigen rund 10.000 Spuren gewidmet. Seine vorläufig letzte Hoffnung stützt sich auf zwei Zeugenaussagen, die er im Zusammenhang sieht und die er am 4. April in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY" präsentieren will. Dazu gehört ein Mädchen, das einen jungen Mann mit Pferdeschwanz ungefähr zur Tatzeit in der Nähe der Unterführung gesehen haben will.

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dpa/jüsc
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